Die schwierige Suche nach dem Minimalgenom

Die "Synthetic Biology 3.0" bringt drei Erkenntnisse: Der Biomaschinenbau steht erst am Anfang, das Venter-Institut ist nicht so weit wie vermutet - und während die Amerikaner ans Business denken, suchen die Europäer die Anfänge des Lebens.

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Von
  • Niels Boeing
Inhaltsverzeichnis

Während die Nanotechnik ihren ersten Hype gerade hinter sich hat, bahnt sich, noch unterhalb des Radars der öffentlichen Wahrnehmung, eine weitere technische Umwälzung an, die es in sich hat: die Synthetische Biologie. Eine Gruppe von Biologen, Bioinformatikern und Ingenieuren ist dabei, die Gentechnik aus dem Handwerksstadium in eine echte technische Disziplin zu verwandeln. Ihr Ziel: Zellen mit Hilfe biologischer Schaltkreise aus Proteinen und Enzymen so zu designen, dass sie sich als ausgeklügelte chemische Mikromaschinen nutzen lassen. Damit sollen sie schon bald seit längerem eingesetzte Bakterien etwa zur Insulinherstellung weit hinter sich lassen.

Den Unterschied zwischen Biologen und Bioingenieuren hat Tom Knight vom MIT, einer der Begründer des neuen Ansatzes, vor einiger Zeit so beschrieben: „Der Biologe geht in sein Labor, untersucht ein System und stellt fest, dass es viel komplexer, als man bislang dachte. Er freut sich, dass er nun viel Zeit damit zubringen kann, diese Komplexität zu erforschen und Papers darüber zu schreiben. Der Ingenieur geht in sein Labor und stellt dasselbe fest. Seine Reaktion ist: ‚Wie kann ich diese ganze Komplexität loswerden?’“

Für Sven Panke von der ETH Zürich bedeutet das, Antworten auf vier Fragen zu finden: „Wie kann man biologische Systeme modularisieren? Was sind sinnvolle Systemgrenzen? Was sind sinnvolle Standards für Schnittstellen zwischen Bauteilen? Wie kann man de novo DNA-Synthese so automatisieren, dass in der Tat komplexe Designs umgesetzt werden können?“ Fragen, die auch auf der gestern zuende gegangenen „Synthetic Biology 3.0“ im Raum standen.

Dabei stach ein Projekt heraus, von dem sich die neuen Bioingenieure entscheidende Erkenntnisse für ihr Vorhaben versprechen: die Suche nach einem „Minimal-Genom“. Sie wollen so herausfinden, wie viele Gene für ein Bakterium unerlässlich sind, um einen Stoffwechsel aufrechterhalten und sich reproduzieren zu können. Mit zusätzlichen Genen könnten diese Minimalzellen dann auf bestimmte Funktionen getrimmt werden.

Mehrere Forschungsgruppen in den USA und in Europa arbeiten derzeit daran. Am medienwirksamsten operiert dabei das J. Craig Venter Institute, benannt nach seinem Gründer, gerne auch als „Enfant terrible“ der Gentechnik gescholten. Im vergangenen Jahr veröffentlichte es einen ersten Kandidaten für ein solches Minimalgenom: 382 von 483 protein-codierenden Genen des kleinen Bakteriums Mycoplasma genitalium (das außerdem noch 43 so genannte RNA-Gene enthält). Ende Mai hat das Venter-Institut einen US-Patentantrag eingereicht, der unter anderem diese Gene sowie das Verfahren zur Herstellung eines Bakteriums, das sie als synthetisiertes Genom enthält, schützen soll.

Umso gespannter wartete die Konferenzgemeinde auf den Vortrag des Medizin-Nobelpreisträgers Hamilton Smith, der zum Forschungsteam des Instituts gehört. Was er zu sagen hatte, war dann nach dem jüngsten Wirbel um den Patentantrag allerdings eine Überraschung: „Ich glaube, man kann sagen, dass wir immer noch nicht wissen, was eine minimale Zelle ausmacht.“ Er gehe davon aus, dass die 382 genannten Gene nicht ausreichen würden. Es sei unwahrscheinlich, dass man die 101 restlichen, als unwesentlich identifizierten Gene einfach so auf einen Schlag weglassen könne, weil sie möglicherweise doch Aufgaben hätten, die im Zusammenspiel mit anderen Genen unverzichtbar seien. Auf Nachfrage versicherte er, dass man ein vollsynthetisches funktionierendes Minimalgenom bislang nicht realisiert habe – auch wenn das technisch bereits umsetzbar sei.

Ein weiteres Problem laut Smith: „Wir können mit unserem bisherigen Wissen noch kein Cytoplasma bauen.“ Das Cytoplasma ist das wässrige Medium im Innern einer Zelle, dass alle nötigen molekularen Bausteine enthält, um mit Hilfe der genetischen Information Proteinnetzwerke in Gang zu setzen. Das Verfahren, mit dem er und seine Kollegen einen Minimalzell-Prototypen hergestellt haben, unterschied sich denn auch von dem in der Patentschrift. Laut dieser wird das synthesierte Genom in eine leere „Geisterzelle“ implantiert, woraufhin die anfangen würde, ihre molekulare Maschinerie in Gang zu setzen.

In dem von Smith vorgestellten Verfahren, das am Freitag in Science veröffentlicht wird, ist hingegen ein synthetisiertes Genom zunächst einem lebenden Mycoplasma-Bakterium hinzugefügt worden: „Dort findet das Genom ein unverfälschtes Cytoplasma vor.“ Nach der Teilung habe dann die Tochterzelle das neue Genom enthalten, die Mutterzelle das ursprüngliche. Letztere lasse sich anschließend aus der Zellkultur entfernen. „Diese Art der Transplantation ist inzwischen eine verlässliche, reproduzierbare Prozedur“,sagte Smith. Das bedeutet aber: Von dem in der Patentschrift beschriebenen Verfahren ist das Venter-Institut noch ein gutes Stück entfernt.