Mikrobomben gegen Krebs

Philips-Forscher in Eindhoven wollen mit neuartigen Polymerblasen Krebsarzneien direkt zu Tumoren leitet, um diese besser abtöten zu können.

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Von
  • Jan Oliver Löfken

Zahlreiche Nanoforscher arbeiten derzeit an winzigen Wirkstoffcontainern, die Arzneien im Körper direkt zu den erkrankten Stellen transportieren sollen. Trotz viel versprechender Ansätze steckt diese Entwicklung, die etwa zur verbesserten Krebsbehandlung verwendet werden könnte, allerdings noch in den Kinderschuhen.

Ganz ohne solche Nanocontainer wollen hingegen Wissenschaftler vom Philips-Forschungszentrum in Eindhoven ein ähnliches Ziel erreichen - mit winzigen Gasblasen. Tumorzellen sollen dabei im Körper gezielt mit weniger Nebenwirkungen als bei einer klassischen Chemotherapie abgetötet werden. Erste Versuche in künstlichen Blutbahnen verliefen bereits erfolgreich.

Die Idee: Mit Wirkstoffen beladen sollen etwa fünf Mikrometer kleine Polymerblasen in die Blutbahn injiziert werden. Ausgestattet mit Biomarkern auf der Hülle können diese gezielt an Tumorzellen andocken. Dort werden sie mit kurzen Ultraschallpulsen angeregt und zum Platzen gebracht. Die Arznei, meistens eine zelltötende Substanz, kann dann direkt das Krebsgeschwulst zerstören.

"Mit schwachen Ultraschallwellen können wir die Blasen beobachten, mit starken sie dagegen zum Platzen bringen", erklärt Philips-Forscher Marcel Böhmer das Grundprinzip der Bläschen-Therapie. Im Beobachtungsmodus üben die fokussierten Ultraschallwellen einen Schalldruck von 100 bis 200 Kilopascal aus. Die reflektierten Wellen werden aufgefangen und zeigen den aktuellen Ort der Blasen in einer Blutbahn an. Das geht im Prinzip bis auf einen Millimeter genau, da die Blasen laut Böhmer eine ganz charakterische Signatur für die Ultraschallwellen zeigten.

Erhöht Böhmer den Schalldruck nun auf das Zehnfache (ein bis zwei Megapascal) dehnen sich die Bläschen binnen weniger Mikrosekunden um das Tausendfache aus und zerbersten. So sollen sie ihre heilende Fracht genau dort entladen, wo sie im Körper benötigt wird. Krebszellen werden abgetötet und gesunde Zellen so wenig wie möglich geschädigt. "Dadurch ließen sich möglicherweise die Nebenwirkungen senken", so Böhmer.

Reif für einen Einsatz an Krebspatienten ist diese Technologie heute aber noch nicht. "Wenn wir in fünf bis zehn Jahren klinische Tests starten können, sind wir froh", sagt Böhmer. Aber seine aktuellen Forschungsergebnisse stimmten ihn optimistisch. So gelang es ihm mit einer Technik, die er den Tintenstrahldruckern abgeschaut hat, winzige, gleich große Blasen mit einer Hülle aus einem Milchsäure-Polymer herzustellen.

Die Objekte, die kaum größer sind als ein rotes Blutkörperchen, ließen sich auch befüllen, so dass sie später Arzneistoffe transportieren könnten. An die Blasenhüllen heftete Böhmer geeignete Biomarker, die sich an Tumorzellen andocken können. Um die Wanderung und das Platzen der Blasen mit Ultraschallwellen zu beobachten, spritzte der Forscher diese in eine Durchflusszelle, die als Modell für eine Blutbahn dient.

Erste Tierversuche will Böhmer in Kürze in Zusammenarbeit mit der Universität Maastricht starten. Allerdings gilt es, noch ein zentrales Problem zu lösen. "Es ist sehr wichtig zu wissen, wieviel vom Wirkstoff transportiert wird." Denn trotz zielgenauen Zerplatzens treibt der Blutstrom auch mit dieser Methode noch einen Großteil des Wirkstoffs ab. "Es gibt keine Garantie, dass 100 Prozent des Wirkstoffs bei den Tumorzellen bleibt", gibt Böhmer zu.

Zufrieden wäre er schon, wenn nur ein gutes Zehntel bei den Krebszellen verbleibt und diese abtötet. Zum Vergleich: Bei der klassischen Chemotherapie zerstören weniger als ein Prozent der Arzneien tatsächlich Tumorzellen.

Gelingt Böhmer der Schritt aus dem Labor in die Klinik, sieht er auch Potenzial für die Behandlung weiterer Krankheiten. Gefährliche Verstopfungen von Blutgefäßen könnten mit diesen aufgeblasenen Arzneifrachtern vor Ort aufgelöst werden.

Dass Ultraschall zu mehr taugt als für Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus dem Körperinneren, zeigten bereits Wissenschaftler von der niederländischen Universität Twente. Auch das Team um Sascha Hilgenfeldt ließ winzige Blasen zerplatzen. Doch wollen sie die stark gebündelte Energie beim Blasenkollaps direkt zur Zerstörung von Zellen nutzen. Sie dosierten über exakt geregelte Ultraschallwellen die Schwingungen winziger Mikroblasen. Angedockt an Zellen können mit diesen Vibrationen mit einer Frequenz von 180 Kilohertz kleinste Löcher in die Zellmembranen gerissen werden. Auch diese "Sesam öffne Dich"-Methode könnte interessante Anwendungen für die Chemotherapie bei der Krebsbehandlung oder gar für zukünftige Gentherapien ergeben. (bsc)