Spooks, wohin man blickt

William Gibson, einer der einflussreichsten Science-Fiction-Autoren unserer Zeit, ist wieder da. "Spook Country" ist der zweite Roman des Cyberpunk-Erfinders.

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Auf der Rückseite von William Gibsons neuem Roman ist das Autorenporträt groß wie nie geraten. Nur Kopf und Rumpf sind abgebildet, kein Text, so dass man jede Falte im vom Leben gegerbten Gesicht des gut gealterten Cyberpunk-Heroen betrachten kann. Gibson, so kann es nun endlich jeder sehen, ist ein angenehmer Mann, der sich der Welt öffnet.

Das tut er in der Tat. War es zu Zeiten seines letzten Science-Fiction-Romans "All Tomorrow's Parties" 1999 selbst für Journalisten kaum möglich, außerhalb einer Buchtour an den Exil-Amerikaner mit Dauerwohnsitz Vancouver, Kanada, heranzukommen, bloggt er inzwischen seit mehreren Jahren eifrig (unterbrochen nur dann, wenn er an einem Buch arbeitet, um seine Aufmerksamkeit zu konzentrieren) und gibt freimütig und gut gelaunt Interviews. Nicht nur dem Magazin der New York Times, sondern auch eher profanen Publikationen wie Amazon.com (was man angesichts des Einflusses, den der E-Commerce-Gigant auf die Buchverkäufe hat, natürlich gut verstehen kann).

Passend zur Öffnung des Autors haben sich auch seine Bücher verändert. Nach Abschluss der Bridge-Trilogie mit dem erwähnten "All Tomorrow's Parties" konzentriert sich Gibson nun auf die Jetzt-Zeit, denn schließlich ist die Zukunft längst hier, nur eben ungleich verteilt, wie er im Juni 2000 dem "Economist" sagte. Man kann aus Gibsons Romanen nach wie vor viel lernen - wahrscheinlich viel mehr, als er mit seinen seltenen Sachtexten, ab und an in Wired & Co. nachzulesen, darzulegen im Stande wäre.

Ging es im ersten Post-Sci-Fi-Roman "Pattern Recognition" (2003) noch um die Jagd nach dem Ursprung mysteriöser Filmbilder und war die Welt nach dem 11. September noch eine Randerscheinung (die jedoch einen wichtigen psychologischen Einfluss hatte), ist Gibson mit Echtzeit-Roman Nummer zwei, "Spook Country", nun voll in dieser merkwürdigen Welt angekommen, in der wir uns bewegen. Im "Times Magazine"-Interview sagt er das ganz deutlich: "Wenn ich 1981 zu einem Verleger in New York gegangen wäre und hätte ihm einen Roman vorgeschlagen, der in einer Welt spielt, in der das Klima aus dem Tritt geraten ist, Terroristen aus dem Nahen Osten Flugzeuge entführen und die USA als Antwort in das falsche Land einmarschieren, wäre das wohl zu viel gewesen." Denn unsere Realität ist laut Gibson gerade dabei, sich mit düsteren Science-Fiction-Szenarien zu überschneiden. Das spiegelt sich auch in "Spook Country" wieder.

Einmal mehr gehört eine starke Frau zu den wichtigsten Charakteren: Hollis Henry, eine ehemalige Indie-Kultband-Musikerin, die sich als Kunst-Journalistin verdingt. Ihr Job erweist sich dann aber als versteckter Auftrag des Werbe-Tycoons Hubertus Bigend zum Auffinden eines mysteriösen Militär-Containers, der um die Welt schippert, aber nie an einem Hafen anzukommen scheint.

Was dabei herauskommt, ist ein echter Thriller mit dem Gibson-eigenen, atemlosen Perspektivwechsel. Nicht nur Henry ist Mitglied der neuen Agentenspezies, sondern auch Bobby Chombo, Helfershelfer der neuen Kunstform "Locative Art", der nebenbei als GPS-Experte für das Militär arbeitet, was ihn natürlich ideal für die Jagd auf den Container macht. Andere wichtige Charaktere, die wir treffen, sind der kubanisch-chinesische Spionageexperte Tito und der Junkie Milgrim, der von einem Agenten namens Brown festgehalten wird, der wahrscheinlich (oder wahrscheinlich nicht) für die US-Regierung arbeitet.

All das endet schließlich in Gibsons Heimat Vancouver, wo die Plotfäden zusammenlaufen. Dieser Welt, in der es keine wirklichen Grenzen mehr gibt, kann der Leser nicht entkommen. Die Zukunft, so scheint es, ist im Jetzt angekommen. Und das ist, kann man in "Spook Country", eine eher unschöne Vorstellung. "In den achtziger und neunziger Jahren hatten wir einen solchen Luxus der Stabilität", sagt Gibson im Amazon.com-Interview, "so merkwürdig es auch klingt, das zu sagen."

William Gibson: "Spook Country", 384 Seiten, Putnam Publishing Group (bsc)