Geldsorgen in Second Life

Die schwer gehypete 3D-Welt bleibt von kaum einem Problem der realen Welt verschont: Nun sorgen eine Bankenkrise und virtuelle Bankräuber für Aufruhr – und zeigen, auf welchem schwachen Fundament die virtuelle Ökonomie steht.

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Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Erica Naone

Eine lange Schlange von Avataren steht vor dem Geldautomaten der virtuellen Bank "Ginko Financial" in der 3D-Welt Second Life und wartet darauf, dass sie an ihr Geld kommt. Mehr als eine Woche lang verlangen sie schon das Geld aus ihren Konten zurück. Eine Bankenkrise wie einst in der großen Depression – jetzt hier im hippen Multiplayer-Internet?

Schuld an dem finanztechnischen Online-Malheur sind offenbar stark gestiegene Zinsen und ein kürzlich erlassenes Verbot für Glücksspiele in der 3D-Welt. Der Diebstahl von rund 12.000 Dollar aus der virtuellen Börse "Second Life World Stock Exchange" dürfte sein Übriges getan haben.

In Second Life, von der kalifornischen Firma Linden Lab betrieben, ist es seit Beginn möglich, alle Arten von virtuellen Produkten und Dienstleistungen zu kaufen und zu verkaufen. Diese Spiele-Wirtschaft basiert auf der künstlichen Währung "Linden Dollars", die auch einen realen Gegenwert besitzt: Für einen US-Dollar gibt es am so genannten Lindex-Markt rund 270 Dollar. Second Life wirbt gar mit dem Slogan, dass "Tausende von Bewohnern" einen Teil oder gar ihr gesamtes Auskommen aus Second Life-Geschäften beziehen. Derzeit sieht es so aus, dass von den aktuellen Vorfällen die gesamte Second Life-Wirtschaft in Mitleidenschaft gezogen wird – mit ihren 8,5 Millionen Mitgliedern, von denen allerdings nur ein Bruchteil sehr aktiv ist.

Obwohl die Finanzinstitute in Second Life gerne betonen, selbst nur ein "Spiel" zu sein, bieten einige äußerst lukrative Angebote – etwa einen jährlichen Sparzinssatz von satten 100 Prozent, wenn man ihnen seine "Lindens" zur Aufbewahrung gibt. Das zieht Interessenten an, schließlich kann man die künstliche Währung wie erwähnt zurück in Dollars tauschen. Neben dem recht zweifelhaften Versprechen, aus einer virtuellen Währung echte Reichtümer im "Real Life" zu generieren, würden einige der Second-Life-Banken jedoch nicht seriös geführt, meint Robert Bloomfield, Ökonom an der Cornell University, der nebenbei die Wirtschaft in der virtuellen Welt studiert.

"Der Durchschnittskunde einer echten Bank bekommt nicht mit, dass es im Hintergrund Behörden gibt, die dafür sorgen, dass das Institut immer genügend Reserven hat." Banken in Second Life seien dagegen ein unregulierter Wilder Westen. Ginko-Financial-Chef Andre Sanchez, der im brasilianischen Sao Paolo sitzt, weigert sich so beispielsweise, Investments und Finanzgeschichte seines Unternehmens offen zu legen. Klare Aussagen, wie er den Leuten nun ihr Geld zurückgeben will, hat er noch nicht geliefert.

"Die meisten dieser Probleme bauen sich über einen längeren Zeitraum auf", meint Benjamin Duranske, auf das Urheberrecht spezialisierter Anwalt, der die Second-Life-Banken im Nebengeschäft beobachtet. Er stimmt mit Bloomfield überein, dass das Glücksspielverbot die Second-Life-Bankenkrise ausgelöst habe. Ein Problem seien aber auch die hohen Zinsen von Ginko: "Da war das wohl unvermeidlich." Selbst heute noch, wo die Bank nicht zahlen kann, verspricht sie Neukunden nach wie vor, täglich 0,10 Prozent Zinsen zu vergüten, wenn sie ihre Linden Dollars dort parken. Macht zusammengerechnet gut 44 Prozent Zinsen pro Jahr – und es gibt 20 bis 30 weitere Banken in der 3D-Welt, die ähnliche wirtschaftlich desaströse Konditionen anbieten. "Diese Leute haben ja nicht einfach eine Methode entdeckt, die die professionellen Manager von Hedge- oder Investmentfonds noch nicht kennen", meint er.

Von Duranske dazu befragt, erklärt der keine 30 Jahre alte Sanchez, er habe sein Second-Life-Institut gestartet, nachdem er die Biographie eines berühmten Bankers gelesen habe. "Anfangs sah es so aus, dass ich auch dann, wenn etwas schief gehen würde, den Leuten ihr Geld einfach aus meinem persönlichen Einkommen zurückzahlen könnte." Das Problem: Die Idee skaliert nicht. Laut der Website von Ginko wurden inzwischen über 750.000 US-Dollar auf den Konten der virtuellen Bank geparkt – und so viel wird Sanchez wohl kaum aufbringen können.

Matthew Beller, der bei der US-Börsenaufsicht arbeitet und in seiner Freizeit über Second Life schreibt, glaubt, dass sich der aktuelle Boom in der 3D-Welt nicht halten wird. Weil dem Linden Dollar keine realen Werte gegenüber stünden, könne die Second-Life-Wirtschaft jederzeit crashen, wenn eine Marktnachricht nur schlimm genug ist. Obwohl die jüngsten Schocks nicht unbedingt Probleme mit der Währung selbst ausgelöst hätten, bliebe das Risiko solcher Vorfälle.

So lange die Finanzmärkte innerhalb von Second Life unreguliert und damit undurchschaubar bleiben, sei es keine gute Idee, hier zu investieren. Die Transparenz soll zwar gesteigert werden – so hat sich etwa eine "Second Life Exchange Commission" gebildet, die derzeit daran arbeitet, Standards für das Business in der virtuellen Welt festzulegen. Zudem ließen die Chefs der beiden wichtigsten Second Life-Börsen, der "International Stock Exchange" und der "Second Life Capital Exchange" zu, sich von Bloomfield in ihre Daten schauen zu lassen. Künftig soll es regelmäßige Börsenreports geben, wie man sie aus der echten Welt kennt.

Trotz der aktuellen Unruhen werde sich die Second-Life-Wirtschaft jedoch erhalten, meint Bloomfield, solange es ein kontinuierliches Wachstum bei der Nachfrage nach virtuellen Gütern und Dienstleistungen gäbe. Auch Services wie die Programmierung für Second Life blieben interessant. "Solche Faktoren sind für mich wesentlich wichtiger, um die Zukunft von Second Life zu bestimmen, als mich auf kleinere Zwischenfälle zu konzentrieren." (bsc)