Kann es einen Weg jenseits von Euro und EU geben?

Die Debatten darüber wird von vielen gefordert. Die Flüchtlingsfrage könnte zur Scheidelinie zwischen einer emanzipatorischen und einer nationalistischen EU-Kritik werden

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Um Griechenland ist es ruhig geworden in den deutschen Medien und in der Politik. Das ist ganz im Sinne von Merkel und den deutschen Politikern. Schließlich wollen sie schnell vergessen machen, dass es im Wesentlichen die deutsche Regierung war, die das Austeritätsdiktat gegen den Willen der griechischen Bevölkerung durchsetzte.

In den entscheidenden Tagen, als der griechische Ministerpräsident zur Zustimmung zum Diktat erpresst wurde, begannen in europäischen Ländern breitere Kreise zu ahnen, dass Deutschland wieder ein Machtblock ist, der seine Interessen mit allen Mitteln durchsetzen wird. Die deutsche Vergangenheit ist kein Hinderungsgrund mehr. Im Gegenteil dient diese Vergangenheit als besonderes Drohpotential.

Mag die deutsche Öffentlichkeit und Politik schnell zur Tagesordnung übergehen. In vielen Ländern Europas ist die Lektion der Julitage 2015 sehr präsent. Dabei wird auch gefragt, wie es dazu kommen konnte, dass die griechische Regierung der Erpressung von "Deutsch-Europa" so wenig entgegen setzen konnte. Dabei wird neben der mangelnden Solidarität im EU-Raum vor allem der fehlende Plan B, der Tsipras-Regierung genannt.

Sie betonte immer, dass sie für einen Austritt aus dem Euro kein Mandat von den Wählern habe und stimmte dann einem Austeritätsprogramm zu, zu dem sie ganz bestimmt kein Mandat hatte. In den entscheidenden Tagen hätte die griechische Regierung angetrieben von einer linken Massenbewegung dann eben deutlich machen müssen, dass sie nicht um jeden Preis im Euro bleiben will. Das Ergebnis ist ein neuer Wahlkampf in Griechenland, wo es links von der Tsipras-Syriza gleich drei Parteien gibt, die diese EU-Kritik artikulieren.

Die Kommunistische Partei Griechenland bleibt bei ihrer grundsätzlichen Kritik an EU und Kapitalismus, ist allerdings weiterhin zu keiner Bündnispolitik in der Lage und bereit. So wird die Partei Volkseinheit erstmals kandidieren, die das ursprüngliche Syriza-Programm verteidigt, die dem Kampf gegen die Austerität den zentralen Stellenwert gibt und dafür einen Euro-Austritt in Kauf nimmt.

Daneben kandidiert weiterhin das ebenfalls EU-kritische Antarsya-Bündnis, das in den ersten Wochen die Syriza-Regierung mit kritischer Solidarität unterstützte, aber in Opposition ging, als sich abzeichnete, dass die Tsipras-Syriza den sozialdemokratischen Weg gehen wird. Die Zersplitterung bei den EU-Kritikern auf der linken Seite könnte allerdings auch rechten EU-Gegnern nutzen. Die nazistischen Goldenen Morgenröten werden natürlich versuchen, daraus Kapital zu schlagen.

Notfalls ohne EU und Euro

Für Gegner der Austeritätspolitik in vielen anderen Ländern hat das Beispiel Griechenland auch gezeigt, dass ein Vertrauen in die EU und den Euro illusionär ist. So hat die irische Anti-Austeritäts-Alliance keinerlei Vertrauen in die EU. Dieses Bündnis hat in den letzten Monaten gegen die Zumutungen der Austeritätspolitik Zulauf bekommen. Vor allem die Proteste gegen die Erhöhung der Wassergebühren reißen in Irland nicht ab.

Von den Austeritätspolitikern wurde gerade Irland als das leuchtende Beispiel eines Landes vorgestellt, das bereit ist, Opfer zu bringen. Dass sie damit längst nicht für alle irischen Bewohner gesprochen haben, zeigen die wachsenden Proteste. Auch an Slowenien wird nicht sofort gedacht, wenn vom Widerstand gegen die europäische Austeritätspolitik gesprochen wird.

Doch auch dort haben eine soziale Bewegung und auch die Initiative für einen demokratischen Sozialismus den Protest gegen die Austerität in den Mittelpunkt gestellt. Deren Mitbegründer, der Ökonom Luka Mesec erklärte bereits vor zwei Jahren in einem Interview die Haltung zur EU so.

Auf die Frage "Sehen Sie eine Alternative innerhalb der EU?" antwortete er:

Wir sind nicht für einen Austritt aus der EU, aber wir kämpfen für ein anderes Entwicklungsmodell. Wir diskutieren darüber, wie wir es schaffen, die Zwangsjacke der Maastricht-Kriterien wieder loszuwerden.

Die Frage, ob linke Bewegungen und Parteien dazu wirklich in der Lage, sind, beantwortete er so:

Im Moment sicher nicht. Die linken Parteien und Bewegungen sind noch immer nationalstaatlich organisiert. Wir haben noch keine starke europäische Linke. Das ist momentan unsere größte Herausforderung.

Mesic hat hier ein Dilemma benannt, das auch heute die europäische Bewegung gegen die Austeritätspolitik behindert und mit für die Kapitulation der griechischen Regierung verantwortlich war. Eine linke Bewegung, die auch bereit ist, ein besseres Leben jenseits von EU und Euro zu suchen, darf gerade nicht in nationalstaatlichen Bahnen denken und sich auf ein Land konzentrieren.

Sie muss eine transnationale Bewegung kreieren und den Nationalstaat überwinden. Nur so kann sie sich von rechten und nationalistischen Anti-EU-Bewegungen inhaltlich abgrenzen. Eine solche Bewegung würde die Konzepte und Vorstellungen von Antifaschisten aufgreifen, die die Idee eines Vereinten Europas im Widerstand gegen deutschen NS und italienischen Faschismus bereits in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts entwickelten.

Diese Vorstellungen werden auch linken Kritikern der aktuellen "Deutsch-EU" gerne entgegen gehalten. Linke EU-Kritiker müssten nun genau dieses Erbe antreten und damit deutlich machen, dass die real existierende EU mit diesen Konzepten genau so wenig zu tun hatte wie der sowjetische Nominalsozialismus mit den Vorstellungen von Karl Marx und Friedrich Engels.

"Wir brauchen einen Plan B"

Eine emanzipatorische, EU-kritische Bewegung muss daher auch in der Flüchtlingsfrage gegen Abschottung und für offene Grenzen eintreten. Gerade hier wird der Widerspruch zwischen EU-Propaganda und Realität besonders deutlich. Einerseits wird die EU mit offenen Grenzen assoziiert während im Budapester Ostbahnhof in den letzten Tagen hunderte Menschen am Weiterreisen gehindert wurden, obwohl sie Tickets besitzen. Sie haben nur den falschen Pass.

Die Polizisten, die die Menschen am Weiterreisen hindern, begründen ihren Einsatz mit der Durchsetzung des EU-Rechts. Schon sehen Politiker wie der Ex-Außenminister Josef Fischer in der Flüchtlingsfrage einen Sprengsatz für die EU. Tatsächlich versucht Deutschland auch hier mit Drohungen und Druck die anderem EU-Länder auf seine Linie zu bringen.

Wenn sich eine EU-kritische Bewegung hier auf Seiten der Geflüchteten positioniert, liefert sie auch praktisch den Beweis, dass sie nichts mit nationalistischen Abschottungsvorstellungen zu tun hat. Diese Vorwürfe werden die EU-kritische Bewegung immer begleiten und das hat auch Gründe.

Als vor einigen Wochen der Linkspartei-Politiker Oskar Lafontaine mit nachvollziehbaren Elementen nach den Erfahrungen der griechischen Linksregierung ebenfalls eine neue Diskussion über die EU anregte werden sich viele erinnert haben, dass er auch schon mal gegen angebliche Fremdarbeiter wetterte und nationaler Abschottung das Wort geredet hat.

So wichtig es ist, hier auf eine klare Trennlinien zu achten, so gibt es aber keinen Grund, jeder EU-Kritik auch auf Seiten der Linkspartei gleich mit dem Nationalismusvorwurf zu begegnen. So ist es völlig plausibel, wenn Sarah Wagenknecht in einem Kommentar in der Frankfurter Rundschau einen "Plan B" fordert, wenn vielleicht in Spanien oder einem anderen Land eine linke Regierung abermals von Deutsch-Europa mit dem EU-Austritt erpresst wird.

Wo immer in Europa eine Regierung gewählt wird, die sich dem neoliberalen Mainstream verweigern will, stünde sie vor dem gleichen Dilemma. Wie die Erpressungspolitik der Europäischen Zentralbank ist auch die griechische Tragödie wiederholbar. Und wem diese Aussicht noch nicht genügt, um über einen Plan B zur Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit demokratisch gewählter Regierungen nachzudenken, dem sei das Papier der "Fünf Präsidenten" Juncker, Draghi, Dijsselbloem, Tusk und Schulz zur "Vollendung" der Währungsunion unbedingt zur Lektüre empfohlen.

Es wird sich zeigen, ob auch die außerparlamentarische Linke sich der Diskussion um emanzipatorische Wege jenseits von EU und Euro stellt. Beim bundesweiten Blockupy-Treffen am zweiten Sonntag in Berlin gäbe es in Berlin Gelegenheit dazu. Dabei soll der Widerstand beim EU-Gipfel in Brüssel vom 15. bis 17. Oktober eine wichtige Rolle spielen. Doch wichtiger als die Neuauflage von Gipfelprotesten wäre eine Diskussion über die Stellung einer emanzipatorischen Linken zu EU und Euro.