Wieder allein

War wäre, wenn die Menschheit mit einem Mal die Erde verlassen würde? Der Wissenschaftsjournalist Alan Weisman beschreibt in einem faszinierenden Gedankenexperiment, wie sich die Natur den Planeten zurückerobern könnte.

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Eines dürfte klar sein: Die Menschheit hat seit Beginn ihrer intelligenten Existenz auf der Erde versucht, dem Planeten ihren Stempel aufzudrücken. Das Vorhaben kann als in größtmöglicher Breite gelungen gelten, der biblische Auftrag des "Macht Euch die Erde untertan" ist auf vielfältigste Kosten der Natur ausgeführt worden – für manchen Beobachter fast bis zum bitteren Ende.

Dieser Planet ist ohne den Menschen also nicht vorstellbar – mindestens jedenfalls für die Menschheit selbst. Doch was denkt die Natur darüber? Die ergibt sich in ihr Schicksal, schlägt höchstens in Katastrophenform hier und da zurück, wobei diese häufig ebenfalls menschengemacht sind. Die Spirale nach unten geht weiter.

Könnte aber eine Rückentwicklung hin zum Urwuchs des Lebens erfolgen, sollte der große Gestalter namens Mensch – einfach so – verschwinden? Was eigentlich nicht in den Kopf passt, hat der amerikanische Wissenschaftsjournalist Alan Weisman nun in ein höchst interessantes Gedankenexperiment verpackt. In seinem Buch mit dem Titel "The World Without Us" (dankenswerterweise bereits nach wenigen Monaten als "Die Welt ohne uns" bei Piper auf Deutsch erschienen) geht er der Frage nach, was in einer vom Menschen verlassenen Welt passieren könnte. Es ist auch eine Mahnung, nicht mit unserer eigenen Existenz auf diesem Planeten zu spielen.

Weisman ist die Beantwortung tiefgehender Fragen gewohnt. In seinem Buch "An Echo in My Blood" von 1999 suchte der Publizistikprofessor an der University of Arizona nach den jüdischen Wurzeln seiner Familie in der Ukraine, von denen ihm seine Eltern nur wenig erzählt hatten. Aus der Reise ins Selbst ist nun in "The World Without Us" eine in die Außenwelt geworden – in eine, in der sich der Planet wieder selbst überlassen ist.

Der Autor hat allerlei Strapazen für die Fertigstellung seines Werkes auf sich genommen, sprach mit Experten auf der ganzen Welt und betrachtete die Schauplätze, die wohl die meisten Veränderungen forttragen würden. Man mag das morbide nennen, spannend ist das sehr. Einen Haupt-Ausgangspunkt nennt Weisman nicht. Sondern viele: es könne ein Virus sein, der die Menschheit dahinrafft oder gar ein göttliches Eingreifen ("Rapture") kurz vorm jüngsten Gericht.

New York, die Stadt der Städte auf der Welt, ist ein hervorragender Beispielort für Weismans Gedankenspiel. Ganze zwei Tage nach dem Verschwinden der Menschheit würden die ausgefallenen Pumpstationen die U-Bahn der Stadt überfluten, was unweigerlich zu Unterspülungen und Zerstörungen an den Fundamenten großer Wolkenkratzer führt. Und nur sieben Tage später geben bereits die Dieselgeneratoren der Atomkraftwerke ohne menschliche Bediener ihren Geist aufgeben – das Kühlwasser zirkuliert nicht mehr, es kann zur Kernschmelze kommen. Aus den großen Avenues der Stadt werden Flüsse, innerhalb erstaunlich weniger Jahre kehrten erste Wildtiere ins Zentrum zurück. "Kojoten im Central Park" nennt Weisman das.

Man kann in dem Buch auch sonst einiges lernen. Wie lange halten sich die Objekte in einem Museum? Antwort: Keramik besonders gut, schließlich sind das auch nur Fossilien. Am schlimmsten aber sind die künstlichen organischen und anorganischen Verbindungen, die der Mensch sich schuf. Kunststoff wird die Natur nicht in mehreren Hundertausend Jahren verdauen können – außer sie entwickelt evolutionär neue Mikroben, die ihn zersetzen können. Und vom Uran-238 wollen wir erst gar nicht reden – Milliarden Jahre ist nur die Halbwertszeit.

So geht das weiter bis in unendliche Zeiten. Zuletzt stirbt im Buch der Planet eines natürlichen Todes durch die sich zerstörende Sonne. Doch es bleibt auch dann noch etwas übrig: Die von uns versendeten Funk- und Radiowellen, die ihre Reise in die Unendlichkeit unendlich fortsetzen. Irgendwie sterben wir also doch nicht.

Man kann sich des Gefühls nicht erwehren, dass Weisman eine gewisse kindliche Freude an seinem Doomsday-Szenario aller Doomsday-Szenarios hat. Andererseits sind wir selbst es ja, die in der Hand haben, es nicht so weit kommen zu lassen. Und die unglaubliche Dreistigkeit, mit der große Teile der Menschheit Natur verbrauchen, Natur zerstören und Natur mit niemals (oder fast nicht mehr) abbaubaren Materialien verschmutzen, gerät ins Schlaglicht. "The World Withous Us" ist ein Schocker mit heilsamem Wachrütteleffekt. (bsc)