Spin mit "Spinner"

Für das ZDF gilt Corbyn "nicht nur Konservativen als linker Spinner"

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Wer fremde despektierliche Äußerungen in wörtlicher Rede zitiert, riskiert Missverständnisse und die Zurechnung unangemessener Worte. Wegen eines entsprechenden Faux Pas sah sich etwa Bundestagspräsident Philip Jenninger 1988 zum Rücktritt veranlasst. Wie tückisch das Fehlen von Anführungszeichen in wörtlicher Rede sein kann, musste kürzlich etwa der bayrische Innenminister lernen, der Roberto Blanco ein denkbar ungeschicktes Kompliment machte.

Nun hat sich die ZDF-Nachrichtensendung "heute" (nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Satiresendung) eine zweifelhafte Formulierung geleistet. So berichtete der öffentlich-rechtliche Sender von der Wahl des neuen britischen Labour-Chefs Jeremy Corbyn, der so eine Art Ströbele ist: Er fährt Rad, ist Vegetarier und mag Militarismus nicht ganz so sehr wie andere Politiker des britischen Empire. Der heute-Beitrag über Corbyn (ab Minute 8:14) beginnt zunächst mit einer Vorstellung des neuen Labour-Chefs als Hoffnungsträger der Linken. So wird berichtet, dass seit Corbyns Kandidatur fast 15.000 Parteieintritte zu verzeichnen waren.

Dann aber thematisiert die Sprecherin auch die Position von Kritikern: "Der überzeugte Radfahrer und Vegetarier gilt nicht nur Konservativen als linker Spinner." Die Intonation der Sprecherin lässt distanzschaffende Pausen oder Betonungen vermissen und hört sich so an, als kommentiere sie von einer neutralen Position aus. Der Beitrag hört sich daher für viele Rezipienten so an, als mache sich die Redaktion den Begriff "Spinner" zu eigen. Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass das ZDF einzig einen Konservativen zitiert, nicht aber verrät, welcher sonstige möglicherweise reputable Kopf denn dessen abschätzige Ansicht teilen sollte.

Man wird sich in der Tat fragen dürfen, was denn in die Redaktion von "heute" gefahren ist, um einen unbescholtenen Politiker mal eben en passant ohne erkennbare Distanzierung als "Spinner" zu etikettieren und damit beim ZDF-Publikum einen Spin zu setzen. Denn primär leisten wir uns den teuren öffentlich-rechtlichen Rundfunk wegen dem Qualitätsanspruch an die Nachrichtensendungen, der möglichst staatsfern ausfallen soll. (Letzteres scheint bei Karrieren vom heute-Moderator zum Regierungssprecher und vom Regierungssprecher zum BR-Intendant aber ohnehin nur eine unverbindliche Richtline zu sein.)

Will man beim ZDF britische Politiker als "Spinner" bezeichnen, dann bitte solche, die für Militarismus und Folter eintreten oder den Nahen Osten destabilisieren, dann aber bei der Aufnahme von Kriegsflüchtlingen vornehme Zurückhaltung üben. Oder eine Seniorin, die sich für das Staatsoberhaupt von Australien und Kanada sowie der Kirche hält.