Atomkraft: Zu spät und zu teuer

In Großbritannien bröckelt die Front der AKW-Befürworter. Geld solle besser in andere Energieträger investiert werden

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Das geplante britische Atomkraftwerk Hinkley Point hat in gewisser Weise manches mit dem Berliner Phantom-Flughafen BER gemeinsam: Es wird teurer und teurer und der Tag der Inbetriebnahme rückt in immer weitere Ferne. Nur dass der eine bereits seit langem im Bau ist und Pfusch an Pfusch reiht, während beim Letzteren noch jederzeit die Notbremse gezogen werden könnte.

Genau das fordern jetzt einige seiner bisherigen Befürworter. George Monbiot, Mark Lynass und Chris Goodall sind sozusagen grüne Konvertiten. Bekannt für ihr Engagement im Umweltschutz haben sie vor einigen Jahren angefangen, die Werbetrommel für neue Atomkraftwerke zur rühren. Doch nun wenden sie sich in einem offenen Brief gegen den im Südwesten des Landes geplanten Neubau. "Wir sind für Atomkraft, aber Hinkley C muss kassiert werden", ist ihr von der Zeitung Guardian veröffentlichter Text überschrieben.

Die jüngst angekündigte weitere Verzögerung des Projekts sollte zum Anlass genommen werden, so die Autoren, es gänzlich aufzugeben. Sie verweisen darauf, dass in Hinkley ein sogenannter EPR, ein European Pressurized Reactor (Europäischer Druckwasserreaktor), gebaut werden soll. Für diesen gelte: „The European pressurised reactor is a proven design all right – a proven formula for chaos." (Der EPR hat ein erprobtes Design – eine erprobte Formel für Chaos.)

Die Autoren führen die Erfahrungen von den beiden bisherigen EPR-Baustellen in Europa an. Im finnischen Olkiluoto werde seit 2005 gebaut. Die Inbetriebnahme hätte 2009 sein sollen und wird derzeit mit 2018 angegeben. Auch dies sei aber nicht gewiss. Im westfranzösischen Flamanville hat der Bau 2007 angefangen und sollte 2012 abgeschlossen sein. Inzwischen ist auch dort von 2018 die Rede. In Finnland haben sich die Kosten bisher vervierfacht, in Frankreich verdreifacht.

(Hört sich wirklich alles ganz nach BER oder Elbphilharmonie an, nur in Stuttgart, wo der Protest besonders brutal weggeprügelt wurde, läuft es natürlich ganz anders, nicht wahr?)

Den Betreibern würde für 35 Jahre ein Abnahmepreis von 92,50 Pfund (126 Euro) pro Megawattstunde (12,6 Cent pro Kilowattstunde) garantiert, inklusive einer Erhöhung des Garantiepreises entsprechend der Inflationsrate. (Bei den deutschen Einspeisevergütungen handelt es sich hingegen immer um fixe Beträge, die also real mit zunehmender Inflation über die Jahre absinken.) "Astronomisch" ist der Preis für die Autoren. Er würde das Doppelte des derzeitigen Großhandelspreises betragen und läge über dem, was in Großbritannien derzeit für Solarstrom gezahlt würde. Der würde sich in den kommenden Jahren jedoch weiter verbilligen, während der Atomstrom der Inflationsrate folgend teurer würde.

Nach derzeitigen Preisen entspräche die Regierungsgarantie einer jährlichen Subvention von einer Milliarde Pfund (1,3 Milliarden Euro). Hinzu käme, dass über weitere Regierungsgarantien der Steuerzahler auch noch den größeren Teil der Baukosten (17 Milliarden von 24,5 Milliarden Pfund, 23 Milliarden von 33,4 Milliarden Euro) übernehmen müsste, sollte das Projekt scheitern. Die Autoren schlussfolgern daher, dieses Geld solle besser in die die Entwicklung erneuerbarer Energieträger und anderer nuklearer Optionen gesteckt werden.