Troll-Jäger

In den dunklen Ecken des Internets bedrohen und beschimpfen sogenannte Trolle andere Menschen und hetzen gegen Minderheiten. Recherchegruppen versuchen, die Demagogen zu enttarnen. Gehen sie dabei zu weit?

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Von
  • Adrian Chen
  • Uwe Sievers
Inhaltsverzeichnis

In den dunklen Ecken des Internets bedrohen und beschimpfen sogenannte Trolle andere Menschen und hetzen gegen Minderheiten. Recherchegruppen versuchen, die Demagogen zu enttarnen. Gehen sie dabei zu weit?

Warum ausgerechnet Schweden? Das Land gilt nicht nur als Bastion der Liberalität und des Feminismus. Es ist auch eine Art digitales Utopia, Geburtsstätte der Piratenpartei, die das Internet als Quelle der Demokratisierung begreift – ein Mittel, das Frieden und Wohlstand für alle bringen soll. 95 Prozent aller Haushalte in Schweden haben einen Internetanschluss, das ist laut Internationaler Fernmeldeunion die vierthöchste "Internet-Penetrationsrate" der Welt – nach den Falkland-Inseln, Island und Norwegen. Die florierende Software-Industrie brachte Kultmarken wie Spotify und Minecraft hervor. Ausgerechnet dieses Land hat ein eigenes Wort für das Verächtlichmachen, Beschimpfen und Bedrohen von Menschen im Netz geprägt: Näthat – Hass im Internet.

Sozialwissenschaftler nennen dieses Phänomen "gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" – die absichtliche, verletzende Herabsetzung von Menschen augrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder Subkultur. Natürlich ist dieses Problem nicht nur auf das Internet beschränkt. Aber im Internet scheint der Hass besonders gut zu gedeihen. So schreibt Twitter-Chef Dick Costolo laut dem Online-Dienst "The Verge" in einem Memo: "Wir sind total unfähig, mit Beschimpfungen und Trollen umzugehen, und das schon seit Jahren".

Das Problem zu lösen dürfte aber schwer werden. Denn die Online-Plattform erlaubt ihren Usern, sich hinter frei gewählten Pseudonymen zu verstecken. Beschwert sich ein User über Tweets, wird der Troll-Account zwar gesperrt – der Netzhasser kann sich aber ganz schnell ein neues Pseudonym zulegen. Bleibt die Variante, Tweets mit Beschimpfungen und Drohungen automatisch zu löschen. Der Informatiker Jerry Zhu von der University of Wisconsin-Madison hat solche Filtersysteme entwickelt. Sie greifen aber nicht, wenn der Troll nur implizit droht und beleidigt. "Da stoßen wir gegenwärtig an die Grenze der künstlichen Intelligenz", sagt Zhu.

Im Internet – nicht nur bei Twitter – kommt dazu aber eine ganz spezifische Gruppendynamik: Hass scheint Hass anzuziehen. Trolle treten gern in Rudeln auf. So wurde beispielsweise die Videobloggerin Anita Sarkeesian, die Sexismus in Computerspielen kritisiert, massiv mit Beschimpfungen, Gewalt- und Vergewaltigungsandrohungen bombardiert. Die Juristin Danielle Citron von der University of Maryland nennt das Netz in ihrem neuen Buch "Hate Crimes in Cyberspace" deswegen ein "Schlachtfeld", auf dem die Zukunft der Bürgerrechte entschieden werde.

Der Kampf breitet sich von der Straße ins Netz aus. Ganz offen kämpfen ihn islamistische Extremisten. In ihnen sieht das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) derzeit die „Hauptgefahr“. Und um sie zu beobachten, hat es zusammen mit anderen Behörden in Berlin das „Gemeinsame Internetzentrum“ eingerichtet.

"Viele islamistische Fundamentalisten wollen sich produzieren und verstecken sich nicht“, sagt eine BfV-Sprecherin. Statt Facebook oder Twitter werde WhatsApp genutzt. Das verwendeten sie verstärkt zur Live-Berichterstattung aus Krisenregionen. Dahinter stehe eine neue Form der Propaganda: "Der Trend geht zum live Miterleben."

Doch die weit größere Gruppe im Netz dürfte unerkannt bleiben wollen. Eines der bekanntesten Beispiele der letzten Zeit ist der ehemalige Pegida-Sprecher Lutz Bachmann. In der Öffentlichkeit gab Bachmann gern den besorgten Bürger – Ende Januar veröffentlichte die "Dresdner Morgenpost" Auszüge aus einem privaten Facebook-Chat, in dem Bachmann Asylbewerber als "Dreckspack" und "Gelumpe" bezeichnete, und ein Foto, das den Pegida-Mitgründer in Hitler-Aufmachung zeigt. Wenig später trat Bachmann als Sprecher von Pegida zurück.

Hacker wollen Fälle wie diese systematisch ans Licht zerren. In kaum einem Land sind sie so aktiv wie derzeit in Schweden. Ein Team freiwilliger Online-Ermittler namens "Researchgruppen" folgt dort den Datenspuren anonymer Internet-Störenfriede und enttarnt sie. Bei ihrer bisher größten Trolljagd wertete Researchgruppen den Kommentarbereich der rechtsgerichteten Online-Publikation Avpixlat aus und destillierte daraus eine riesige Datenbank mit Inhalten und User-Informationen. Ausgehend von diesen Daten gelang es, die eifrigsten Kommentatoren zu identifizieren.

Das Kollektiv reichte die Liste weiter an "Expressen", eine der beiden großen Boulevardzeitungen Schwedens. Im Dezember 2013 deckte "Expressen" in einer Serie von Titelgeschichten auf, dass Dutzende prominenter Mitbürger – darunter Politiker und Funktionäre der aufstrebenden Rechtspartei "Sverigedemokraterna" – rassistische, sexistische und anderweitig hetzerische Kommentare anonym gepostet hatten.

Es war eine der größten Sensationsmeldungen des Jahres, denn die Schwedendemokraten hatten seit Längerem versucht, sich von ihren Neonazi-Wurzeln zu distanzieren, indem sie den publizistisch gefälligeren "Schutz der schwedischen Kultur" propagierten. Doch nun hatten Mitglieder und Unterstützer den Holocaust heruntergespielt und muslimische Einwanderer als "Heuschrecken" diffamiert. Eine Reihe von Politikern und Funktionären musste zurücktreten.

Martin Fredriksson ist Mitbegründer von Researchgruppen und de facto ihr Anführer. Er ist ein schlaksiger 34-Jähriger mit kurz geschorenen Haaren und einem leisen, aber energischen Auftreten. Lediglich seine gelegentlichen Ausbrüche auf Twitter deuten auf eine Vergangenheit als militanter Anti-Rassismus-Aktivist hin. Seine Jugend fiel mit dem Aufstieg der Neonazi-Bewegung in den 1990er-Jahren zusammen – er stand als Punk-Rocker auf der anderen Seite.

In Fredrikssons südschwedischer Heimatstadt gerieten er und seine Freunde immer wieder mit einer Bande von Skinheads aneinander. "Ich war politisch sehr interessiert. Ich fasste einen Entschluss: Wenn ich mich mit Politik beschäftigen wollte, dann sollte es gegen die Nazi-Bedrohung gehen", sagt er. Er schloss sich der umstrittenen Linksgruppe Antifascistisk Aktion (AFA) an, die offen den Einsatz von Gewalt gegen Neonazis befürwortet. 2006 wurde er zu gemeinnütziger Arbeit verurteilt, weil er während eines Kampfes zwischen Neonazis und Antirassisten einen Mann verprügelt haben soll. "Er sagte, ich sei es gewesen. Das stimmt zwar nicht, aber ich hätte es sein können", sagt Fredriksson. Er kam schließlich zu der Auffassung, dass Gewalt falsch sei, sagt er; heute sei Information seine Waffe, nicht die Fäuste.

Wegen ihrer antirassistischen Arbeit gerieten Fredriksson und sein Freund Mathias Wåg jedoch zunächst selbst in das Visier militanter Neonazis – was letztendlich zur Gründung der Recherchegruppe führte. 2005 erfuhren die beiden, dass eine anonyme Person Informationen über Wåg von der Regierung angefordert hatte. Als Antwortadresse verwendete der Antragsteller ein Postfach in Stockholm. Daher blieb seine Identität zunächst im Dunkeln. Doch im darauffolgenden Jahr erhielten Fredriksson und Wåg eine Ausgabe einer Gefängniszeitschrift, in der ein Neonazi namens Hampus Hellekant inserierte, der für den Mord
an einem Gewerkschaftsfunktionär einsaß – unter derselben Postfachadresse.

Nachdem Hellekant 2007 freikam, tauchten pseudonyme Anfragen nach Informationen über Wåg und andere linke Aktivisten in Neonazi-Foren und -Websites auf. Drei Jahre lang verfolgten Fredriksson und einige gleichgesinnte Ermittler jeden Schritt Hellekants, online und offline. "Er fungierte mehr oder weniger als Nachrichtendienst der Nazi-Bewegung", sagt Fredriksson. Ihre Spionageabwehr-Operation baute auf eine Mischung aus traditionellen journalistischen Techniken und innovativer Datenanalyse.

Ein unerwarteter Durchbruch ergab sich aus Hellekants Angewohnheit, sein Auto in ganz Stockholm illegal zu parken. Fredrikssons Team forderte die Knöllchen-Datensätze von der Stadtverwaltung an. Es gelang ihnen, den Standort des Autos an bestimmten Tagen mit Uhrzeit und GPS-Metadaten von Bilddateien in Verbindung zu bringen, die Hellekant unter Pseudonym gepostet hatte. 2009 verkauften sie die Geschichte an eine linke Zeitung – und Researchgruppen war geboren.