Pornowächter versus Internet

Die einen schätzen am Internet die totale Meinungsfreiheit, für andere stellt es einen bedrohlichen rechtsfreien Raum dar. Während die US-Regierung noch an Gesetzen bastelt, welche die Kontrolle des internationalen Datennetzes ermöglichen sollen, ist hierzulande bereits die Staatsanwaltschaft eingeschritten. Als daraufhin der Online-Anbieter CompuServe rund 250 Newsgroups für seine Kunden sperrte, kam es weltweit zu Protesten.

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Lesezeit: 12 Min.
Von
  • Axel Kossel
  • Frank Möcke
Inhaltsverzeichnis

Die Sperrung einzelner Newsgroups ist eigentlich nichts Spektakuläres. Auch die Online-Dienste America Online und T-Online achten darauf, ihr Angebot "sauber" zu halten. CompuServe geriet jedoch durch die wahllose Zensur ins Kreuzfeuer der Kritik. Neben den Foren von Päderasten und Nekrophilen fielen ihr auch solche zum Opfer, in denen ernsthaft über Religion und Sexualität, die Probleme Behinderter, Aids oder die politische Gleichberechtigung von Mann und Frau diskutiert wird. Andererseits blieben Newsgroups verschont, in denen etwa die "Ausschwitz-Lüge" verbreitet wird.

In den USA, wo die Wogen der Empörung am höchsten schlagen, behauptete CompuServe, die Sperrung des Zugriffs auf die Newsgroups sei auf einen direkten Auftrag der deutschen Staatsanwaltschaft hin erfolgt. Die deutschen Behörden hätten angeblich jede einzelne der gesperrten Newsgroups als nach deutschem Strafrecht illegal gekennzeichnet, und CompuServe sei an der Auswahl der gesperrten Gruppen nicht beteiligt gewesen. Man verweist gar auf Beamte der deutschen Regierung, die CompuServe angewiesen hätten, "hinsichtlich der angegebenen Newsgroups die notwendigen Schritte einzuleiten."

Die deutsche Pressemitteilung von CompuServe kommt dem tatsächlichen Geschehen näher; die Presseagentur spricht von einem "bedauerlichen Übersetzungsfehler". Der Oberstaatsanwalt Manfred Wick beim Landgericht München I hatte auf eine Anzeige des Polizeipräsidiums hin gegen die Verantwortlichen von CompuServe Deutschland ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Verbreitung kinderpornographischer Schriften eröffnet und beim Amtsgericht einen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluß für die Geschäftsräume in Unterhaching erwirkt. Bei der Durchsuchung am 22. November hat Geschäftsführer Felix Somm dann erklärt, CompuServe werde die in Betracht kommenden Newsgroups aus dem Angebot streichen.

Das Polizeipräsidium München übergab CompuServe daraufhin am 8. Dezember eine eilends zusammengestellte Liste mit knapp 250 Newsgroups "zur Überprüfung". Die Entscheidung, ob und welche Newsgroups aus dem Angebot gestrichen werden, blieb CompuServe überlassen. Damit hatte der Online-Anbieter den Schwarzen Peter. Denn, so führt Bernhard Böhm, Sprecher des Bundesjustizministeriums, aus: Online-Dienste können nach deutschem Recht dann zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie "so etwas wissentlich und willentlich verbreiten".

CompuServe war offiziell informiert worden, handelte also von nun an wissentlich. Anstatt die Inhalte der Newsgroups einer Prüfung zu unterziehen, entschloß man sich zu einer generellen Zugangssperre. Die mußte aus technischen Gründen zunächst weltweit erfolgen. Erst unter dem Druck seiner Kunden, die scharenweise mit der Kündigung ihrer Verträge drohten, entwickelte CompuServe eine Möglichkeit, regional unterschiedliche Inhalte anzubieten beziehungsweise zu sperren. Firmensprecher Jeff Shafer rechnet damit, daß es auch noch in anderen Ländern zu Konflikten zwischen Internet-Inhalten und nationalen Gesetzen kommen und man die neue Technik häufiger benötigen wird.

Bis die Ermittlungen abgeschlossen sind, will CompuServe die Sperre für seine deutschen Kunden aufrechterhalten. Die bayerische Staatsanwaltschaft hat ein Gutachten in Auftrag gegeben, das klären soll, welche technischen Möglichkeiten CompuServe hat, um auf den vermittelten Datenbestand aus dem Internet einzuwirken.

Doch egal, zu welchem Schluß die Gutachter kommen, eine "Zensur" des Internet gleicht dem Versuch, ein großes Sieb mit dem Daumen abzudichten. Das Konzept des Internet ist so ausgelegt, daß es auch nach einem atomaren Erstschlag noch funktionieren soll. Die bayerische Datensperre kann ihm nichts anhaben.

Schließlich sind die Teilnehmer nicht auf die Dienste ihres Anbieters angewiesen, sondern können über ihren Internet-Zugang auf öffentlich verfügbare News-Server in der ganzen Welt zugreifen. Solange einer davon noch Päderasten-Foren zugänglich macht, nutzt alle Zensur wenig. Wir fanden die Newsgroup "alt.sex.pedophilia" sogar bei einer deutschen Universität, wo man sie auch als CompuServe-Kunde nach wie vor abrufen kann.

Ferner ist fragwürdig, was nach Meinung der bayerischen Staatsanwaltschaft zensiert werden soll. Von den rund 16.000 Newsgroups im Internet enthält ungefähr ein Prozent "Schmuddelkram". Der Löwenanteil davon unterscheidet sich nicht von dem, was an Kiosken offen ausliegt oder was diverse Fernsehkanäle im Spätprogramm ausstrahlen. Ein Zusammenhang mit Kinderpornographie, um die es der Münchner Staatsanwaltschaft geht, findet sich allenfalls in etwa zwölf Gruppen. Dort wird illegales Material zum Kauf oder Tausch angeboten.

Gelegentlich tauchen jedoch auch Bilddateien auf, die den sexuellen Mißbrauch von Kindern darstellen. Dies erfüllt einen kriminellen Strafbestand, so daß jeder Staatsanwalt ermitteln muß, der davon Kenntnis erlangt. Dann geraten allerdings alle Zugangsanbieter in den Verdacht, verbotene Inhalte anzubieten. Die lehnen eine inhaltliche Verantwortung ab. IBM-Pressereferent Christoph von Gamm: "Die IBM spricht sich gegen jede Zensur der Internet-Inhalte aus, auch angesichts der Möglichkeit, daß dadurch anstößige Inhalte transportiert werden könnten. Wir sehen es nicht als die Aufgabe der Netzbetreiber an, auf die in Form von Bits und Bytes weitergeleiteten Inhalte Einfluß zu nehmen. Die Reaktion von CompuServe halten wir für unangebracht."

Hier stellt sich also die Frage nach dem rechtlichen Status der Internet-Provider: Sind sie wie die Rundfunkanstalten für die von ihnen transportierten Inhalte verantwortlich, oder kann man sie nicht eher mit der Post oder Telekom vergleichen, denen es egal sein kann, was durch ihre Kanäle fließt? Für letzteres plädieren Franz Wegener und Stefan Laurin, zwei Ratsherren der Fraktion Bündnis 90/Grüne in Gladbeck, sowie Eva-Maria Stuckel, Vorsitzende des Kulturfördervereins Ruhrgebiet.

Um zu demonstrieren, wie absurd der Fall CompuServe in ihren Augen ist, haben sie Anzeige gegen die Deutsche Post AG erstattet, weil nach diversen Medienberichten unter anderem skandinavische Versandunternehmen auf dem Postwege Kinderpornographie an deutsche Kunden vertreiben. Sie erhalten Rückendeckung von Dr. Manuel Kiper, dem postpolitischen Sprecher der Fraktion von Bündnis 90/ Grüne im Bundestag. Er wirft der bayerischen Polizei Strafvereitelung im Amt vor, sofern sie nur CompuServe als Boten der Nachricht verfolge, nicht aber den Urheber der Kinderpornos.

Seit 1993 ist auch der Besitz von Kinderpornographie strafbar. Gleiches gilt in England, wo Anfang Januar ein 44jähriger Mann wegen des Besitzes unsittlicher Bilder, die den Mißbrauch von etwa sechsjährigen Kindern durch Erwachsene darstellten, angeklagt wurde. Er hatte sich die Bilder über das Internet besorgt und wurde zu drei Monaten Gefängnis verurteilt. Bereits im Juli war ein Mann aus Didsbury, Manchester, wegen des Besitzes von Kinderpornographie aus dem Internet zu einer Geldstrafe von 9000 Pfund verurteilt worden.

Die inhaltliche Verantwortung der Online-Dienste bejaht hingegen der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), Hubert Engeroff. Er äußerte im Saarländischen Rundfunk die Überzeugung, Netzanbieter wie CompuServe seien presserechtlich verantwortlich für die Inhalte, die sie im Internet verbreiten. Er schlägt dem unbequemen Massenmedium, in dem beispielsweise die Nachricht von der Abrechnungspanne der Telekom bei der Tarifumstellung am 1.Januar früher auftauchte als in Rundfunk und Presse, eine freiwillige Selbstkontrolle vor.

Der vorliegende Fall hat jedenfalls belegt, daß voreilige Zensurmaßnahmen immer die Falschen treffen. Das hatte auch schon America Online feststellen müssen, als es Anfang Dezember alle Texte löschte, in denen das Wort "breast" (Brust) vorkam. Nach Protesten von Brustkrebspatientinnen, die über den Online-Dienst Erfahrungen und Informationen zu neuen medizinischen Entwicklungen ausgetauscht hatten, hob der Dienst die Sperrung schnell wieder auf. Von der CompuServe-Zensur fühlen sich nun unter anderem Homosexuelle benachteiligt, deren Diskussionsforen ebenfalls gesperrt wurden. Der Schwulenverband in Deutschland (SVD) rügt CompuServe, weil der Online-Dienst im "vorauseilenden Gehorsam" vorbehaltlos die Angaben der Münchner Staatsanwaltschaft übernommen habe.

In den USA glaubt "Americans for Gay Rights", eine kleine Bewegung für die Rechte Schwuler, der Behauptung von CompuServe, die deutsche Staatsanwaltschaft habe die Sperrung ihrer Foren angeordnet. Ihr Sprecher Michael Petrelis rief alle Homosexuellen und alle Amerikaner auf, deutsches Bier zu boykottieren. Die Aktion begann vor dem Goethe Institut in San Francisco, wo vor laufenden Kameras der Inhalt von 48 Flaschen Becks-Bier den Weg in die städtische Kanalisation antrat.

Dabei liegen die Verhältnisse in den USA um keinen Deut klarer als in Deutschland. Zwar hält sich die dortige Polizei derzeit noch an die Urheber krimineller Inhalte im Internet und konnte im Frühherbst letzten Jahres zwölf Personen wegen online verbreiteter Kinderpornographie in Haft nehmen. Doch die Legislative ringt um eine Gesetzesvorlage, durch die auch den Online-Providern die Verantwortung für die transportierten Inhalte drohen könnte.

Obwohl das US-Repräsentantenhaus Mitte des Jahres gegen die Gesetzesvorlage des Senats gestimmt hat, droht dem Netz nun doch die staatliche Kontrolle. Ein gemeinsamer Vermittlungsausschuß von Repräsentantenhaus und Senat, der die beiden Gesetzgebungskammern auf eine einheitliche Linie einschwören soll, hat sich für eine staatliche Regelung ausgesprochen. Der Kompromiß bedroht Personen, die offen gezeigte Sexualität und anderes "unzüchtiges Material" an Personen unter 18 Jahren weitergeben, mit Gefängnis bis zu zwei Jahren und stellt Geldstrafen bis zu 100.000 Dollar in Aussicht.

Mit heftigen Protesten reagieren die Internet-Anhänger auf die Zensurbemühungen. In San Francisco gingen mehrere hundert Menschen aufgebracht in die Öffentlichkeit und verbrannten symbolisch ein Transparent mit dem Schriftzug "first amendment". Dieser Zusatz der US-Verfassung garantiert in den USA die Meinungsfreiheit. In Washington beschwerten sich binnen eines Tages 18.000 Cybersurfer per Telefon und Fax bei den zuständigen Politikern.

Was nun im einzelnen als "unzüchtig" angesehen wird, ist im puritanisch-prüden Amerika nicht so einfach auszumachen. Zwar hat der Republikaner Rick White gegenüber Associated Press klargestellt, daß im Grunde nur das, was Radio und Fernsehen nicht verbreiten dürfen, auch im Internet verboten sein solle. Doch die sehr allgemein gehaltene Definition dessen, was unter die neue Regelung fällt - jede schriftliche oder bildliche Äußerung, die offen oder in Anspielungen sexuelle oder schmutzige Dinge widerspiegelt - läßt viel Spielraum für verklemmte oder überempfindliche Sittenwächter, die sich bemüßigt fühlen könnten, den eisernen Besen hervorzukramen.

Bereits 1973 war es in den USA zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung um den Begriff "unzüchtig" gekommen. Nachdem eine Rundfunkstation das Hörspiel "Seven Dirty Words" ausgestrahlt hatte, schritt die staatliche Aufsichtsbehörde ein - zu Recht, wie 1978 schließlich der Oberste Gerichtshof entschied. Der hat seinerzeit sieben "schmutzige Wörter" moniert: "cocksucker, cunt, fuck, motherfucker, piss, shit" und "tits".

Die Kampagne gegen Schmutz im Internet hatte vor anderthalb Jahren Nebraskas Senator James Exon losgetreten. Aufgeschreckt durch einen Fernsehbericht über online verbreitetes pädophiles Gedankengut witterte er Handlungsbedarf, ließ das, was an Schmutz im Internet umhergeisterte oder von ihm als unanständig empfunden wurde, herausdestillieren und führte die Sammlung dem Senat vor - mit dem Aufruf, die im Gesetzgebungsprozeß steckenden Regelungen zur Reinhaltung des Telefonverkehrs bedürften dringend einer Ergänzung hinsichtlich der Online-Aktivitäten.

Exon forderte drastische Strafen und weitreichende Vollmachten für die Behörden. Staatliche Aufsicht sollte im Internet herrschen, und auch die Online-Provider gerieten in die Bredouille: sie sollten die Verantwortung tragen für das, was ihre Kunden im Netz veröffentlichen.

Der Senat konnte sich für diesen Vorschlag erwärmen; 84:16 lautete das Abstimmungsergebnis. Doch im Repräsentantenhaus lagen die Verhältnisse anders. Ein Gegenentwurf der Abgeordneten Cox und Wyden stellte die Provider von der Verantwortung frei und sprach sich gegen die staatliche Aufsicht aus. Angereichert durch weitere Vorschläge, lief die Initiative darauf hinaus, die Verbreitung des anstößigen Materials an Jugendliche zu untersagen.

Um die Einigung voranzutreiben, wurde ein Vermittlungsausschuß ins Leben gerufen, doch der lud Cox und Wyden gar nicht erst hinzu, statt dessen aber den Hardliner Exon und seine Anhänger. Immerhin entstand ein relativ gemäßigter Kompromiß, der versuchte, möglichst genau zu spezifizieren, wovor eine Mehrheit der Online-User geschützt werden sollte.

Ende letzten Jahres verwarf der Ausschuß dann den vorgeschlagenen Terminus "von einigen als unanständig empfunden" als zu ungenau und schlug statt dessen das umstrittene "unzüchtig" vor. Diese Formulierung ist kaum präziser und öffnet einer allgemeinen Hatz Tür und Tor. Der Ausschuß versteht darunter alles, "was als Rede, Frage, Anspielung, Begehren, Bildmaterial oder sonstwie geeignet ist, nach allgemeinem Ermessen Anstoß zu erregen, indem es sexuelle oder schmutzige Dinge enthält". Immerhin entbindet der Kompromiß die Online-Provider von der inhaltlichen Verantwortung - sofern das Beispiel der Münchner Staatsanwaltschaft die US-Regierung nicht noch zur Nachahmung anregt. (ad/fm) (ole)