Abgas-Skandal: Was überschrittene Grenzwerte anderer Hersteller bedeuten

Immer wieder tauchen nach Bekanntwerden des VW-Abgasbetrugs Berichte auf, dass auch bei anderen Herstellern im Fahrbetrieb überhöhte Abgaswerte festgestellt wurden. Wie sind diese NOx-Berichte zu bewerten?

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Auspuff, VW, Volkswagen, Abgas-Skandal
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Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Seit Volkswagen in den USA den Verstoß gegen die dortigen Zulassungsbestimmungen zugegeben hat, folgten sehr viele Artikel, die weitere krasse Überschreitungen verschiedener Grenzwerte im selben Fahrwasser anprangerten.

Andere Themen wie "die Verbrauchswerte sind auch unrealistisch" einmal außen vor: Warum wird Volkswagen von den Behörden in die Mangel genommen und andere Hersteller nicht, obwohl man auch bei ihnen Stickoxid-Werte im Abgas messen kann, die die offiziellen Grenzwerte zigfach übersteigen?

Der Abgas-Skandal bei VW

Erst einmal ist wichtig zu verstehen, wie die Hürden einer Zulassung aussehen. Die Bedingungen der Zulassungstests sind der Fairness halber ebenso eindeutig wie detailliert vorgeschrieben, und in diesen Bedingungen müssen dann die Grenzwerte erreicht werden. Ein Analogon: Für eine Eins in Sport muss Ihr Sohn hundert Meter in unter 15 Sekunden aus einem Start in der Hocke laufen. Er zieht seine Sportkleidung an und schafft seine Eins.

Zwei Tage später treffe ich ihn auf der Straße und möchte seine Leistung überprüfen. Er läuft 100 Meter in Jeans, Pulli und spitzen Ausgehschuhen aus Leder. Es reicht nur für eine Drei. Der Junge behält dennoch seine Eins, weil die Messbedingungen allen Schülern leichte Kleidung und Laufschuhe erlauben. Die aktuellen Nachmess-Nachrichten passierten bisher alle in der Stadt mit den Ausgehschuhen. Deshalb steht in guten davon der Hinweis: "Ein Betrugsversuch wie bei Volkswagen wurde nicht erkannt."

Volkswagens Software erkennt automatisch, ob sich das Auto auf einem Prüfstand befindet und schaltet die Abgasreinigung in die "Dyno Calibration", in der alle Grenzwerte eingehalten werden. Auf der Straße schaltet der Wagen in die "Road Calibration", deaktiviert also die Abgasreinigung großenteils.

Die Universität West Virginia hat für das Institut ICCT auf der Straße daher auch versucht, die Zyklen des Prüfstands möglichst genau nachzustellen. Die VW-Autos erreichten nie auch nur ansatzweise die Werte der Zulassung. Auf dem Prüfstand dann erreichten sie diese Werte bei ganz ähnlichen Lastprofilen sofort. Hieraus entstand der Verdacht, der Volkswagen letztendlich in die jetzige Bredouille brachte.

Analogon fortgesetzt: Wenn ich den Sohn treffe, ihm seine Sportausrüstung gebe und neu messe, wobei er nie unter 30 Sekunden kommt, obwohl er nach eigenen Angaben kerngesund ist, dann zweifle ich als Sportlehrer doch, ob der Einserschüler seine Note verdient hat. Wir gehen auf den Sportplatz. 12 Sekunden. Wir verlassen den Sportplatz. Er braucht plötzlich bis zu 8 Minuten für dieselbe Strecke. Sehr seltsam. Ich rufe seine Eltern an.

Die Messungen im ADAC Ecotest und von unabhängigen Instituten weltweit decken also lediglich auf, dass außerhalb der Bedingungen für die Zulassung höhere NOx-Werte gemessen werden können. Das ist legal. Im Zuge vieler Messungen fordert der ADAC schon lange, dass die Labortests näher an der Realität liegen sollen und marschiert mit dem sehr teuren eigenen Ecotest voran, den man Leuten vor der Abgaskrise antragen musste wie saures Bier.

Neue Testmethoden vereinbaren ist ein langwieriger politischer Prozess, den Volkswagen durch seinen Betrug wahrscheinlich stark beschleunigt hat. Es wäre zum Beispiel realistisch und schön, wenn sowohl bei Abgas- als auch bei Verbrauchstests eine volle Beschleunigung vorgeschrieben wäre, damit schwere, starke Autos in realistischem Licht gegenüber leichten, kleinen, schwachen Autos dastehen. Aktuell ist das nicht der Fall, es wird nur bei geringer Last gemessen.

Gegenwärtig deaktivieren Autos ganz legal bei Last Teile der Abgasreinigung. Das Vorgehen entsteht auch gar nicht zuerst aus bösem Willen, sondern resultiert aus einem Zielkonflikt der Dieselmotorauslegung.

Beispiel Abgasrückführung: Wenn ich viel Abgas in den Brennraum zurückführe, sinkt der Stickoxid-Ausstoß stark. Dafür steigt der Rußanteil im Abgas. Für beide Zielwerte gelten aber strenge Grenzen. Ich entscheide mich dafür, bei Last das Abgasrückführungsventil zu schließen, damit mein Auto keine unschönen Beschleunigungsrußwolken produziert und nehme damit in Kauf, dass der Stickoxid-Ausstoß unter Last stark steigt.

Der vom ICCT mitgetestete BMW X5 überstieg zum Beispiel auf der Bergstrecke unter Last die erlaubten NOx-Werte um das Zehnfache. Im Teillastbereich jedoch blieb er unter oder nahe der Grenzwerte, was die Messtechniker der Universität als erwartet normales Verhalten registrierten.

Die US-Umweltbehörde EPA hat gerade angefangen, alle Fabrikate von Diesel-PKW in den USA auf ähnliche Mechanismen wie Volkswagens Dieselautos zu testen. Bis jetzt hat sie noch keine Auffälligkeiten gefunden und erwartet nach eigenen Angaben nicht, flächendeckend Betrug vorzufinden. Man sehe jetzt nur sehr genau hin.

Dass Volkswagen mit so einem technisch trivialen Trick so lange unbelangt blieb, liegt auch daran, dass die US-Behörden die Messungen für die Zulassungen den Autoherstellern überlassen und nur "zu einem gewissen Prozentsatz" überhaupt selbst etwas nachmessen. Die Messung des unabhängigen ICCT war ein Zufallstreffer.

Das soll sich jetzt ändern, und die EPA will außerdem "viel unvorhersehbarer" werden. Man wolle die Details nicht verraten, damit Betrug erschwert werde, aber das neue Testregime sehe außer Labortests auch mobile Tests wie von der Uni West Virginia durchgeführt vor.

Zu den technischen Hintergründen der VW-Abgasaffäre siehe:

Von der Anhörung von VW im US-Kongress hat heise Autos die interessantesten Fragen und Aussagen übersetzt und veröffentlicht:

(jk)