Puppenkiste

Wie die nächste Generation von Rendering- und Animationssoftware aussehen und funktionieren wird, konnte man auf der CeBIT bei Autodesk sehen, dem Hersteller des Klassikers 3D Studio.

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Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Tom Schröter

Obwohl von Namen her nicht zu vermuten, ist Autodesks neues Produkt, 3D Studio MAX, keine simple Portierung der DOS-Software 3D Studio auf Windows NT, sondern eine komplett neue Entwicklung. Es nutzt die Vorteile von NT, zum Beispiel die Multiprozessor-Unterstützung. Denn MAX führt mehrere Aufgaben innerhalb eines Programms gleichzeitig aus (Multithreading): selbst, wenn eine Animation im Bildschirmfenster läuft, lassen sich die daran beteiligten Körper interaktiv verändern. Natürlich setzt dieser Komfort erhebliche Hardware-Resourcen voraus: als Minimalsystem empfiehlt Autodesk einen 133-MHz- Pentium mit 32 MByte RAM und 4-MByte-Grafikkarte.

Dem Stand der Technik entspricht, daß MAX die Szene auf dem Bildschirm nicht als simples Drahtmodell darstellt, sondern als schattierten Vollkörper. Es zeigt Texturen auf Körpern und erlaubt, sie interaktiv zu verschieben und/oder zu skalieren. 3D Studio enthält eine spezielle Renderengine namens HEIDI, die der Geschwindigkeit halber nicht wie OpenGL das Bild einer Szene immer wieder komplett neu berechnet, sondern lediglich den Teil des Bilds, der sich verändert hat. Zwei 3D-Beschleunigerkarten mit HEIDI- Unterstützung sind bereits auf dem Markt: Gloria von ELSA und Fire GL von SPEA. Daß Autocad nicht auf OpenGL setzt, den 3D-Standard von Windows NT, ist ein weiterer unschöner Beitrag zur Verwirrung des Markts für 3D-Beschleunigerkarten.

MAX ist ein offenes, objektorientiertes 3D-System. Alle Funktionen in MAX sind als Plug-Ins ausgeführt, die bei Bedarf beliebig erweitert werden können. Diese Erweiterungen integrieren sich nathlos in die Oberfläche, als wären sie ein Teil von ihr. Das Arbeiten mit MAX findet immer auf derselben Oberfläche statt, lästiges Umschalten zwischen verschiedenen Modulen entfällt. Vom alten 3D Studio liebgewonnene Konstruktionstools wie der Lofter wurden beibehalten und erweitert. Das Modellieren in MAX erfolgt prinzipiell auf Basis von Spline-Flächen, die sich organisch weich in jede Form biegen lassen - in Echtzeit per Vollkörperdarstellung kontrolliert. Alle Modifikationen und Bewegungen eines Körpers sind ihrerseits Objekte. MAX legt sie in einem Stapel ab, in dem sie jederzeit zugänglich und editierbar bleiben. Das erfordert einiges an Umdenken und Disziplin, entpuppt sich aber als mächtiges Werkzeug.

Der Renderer von 3D Studio MAX arbeitet wie der des alten 3D Studio nicht als Ray-Tracer. (Man beachte: auch `Toy Story' kam ohne Ray-Tracing aus.) Auch wenn demnächst sicher Ray-Tracer als Plug-Ins von Drittanbietern erscheinen werden, beherrscht der MAX-Renderer einige Effekte, die das zeitaufwendige Ray-Tracing überflüssig machen: So wird der Brechungsindex von transparenten Materialien beachtet, Lichter durch bunte Gläser erzeugen echte farbige Schatten, sogar mehrfache Spiegelungen werden unterstützt, so daß man das Spiegelbild eines Spiegelbilds sehen kann. Echte Atmosphären mit wabernden Nebelschwaben und sichtbare Lichtkegel, in die Körper Schatten werfen, erzeugt MAX wohl als erstes Progamm dieser Preisklasse.

Neu sind auch die `Space Warps' - Kraftfelder, die Körper verformen. Damit ist eine breite Palette von Effekten möglich, die bisher Kopfschmerzen verursachten. Wie wär's mit einem schwarzen Loch, der Druckwelle einer Explosion oder einer Kugel, die durch einen zu engen Gummischlauch wandert? Inverse Kinematik (`funktionierende' Gelenkketten) ist in MAX genauso selbstverständlich wie Partikelsysteme (Regen, Schaum, Luftblasen ... ). Die Partikel konnen durch eine beliebige Anzahl von Gravitationsquellen, Deflektoren und Windstärken beeinflußt werden. Selbst während die Partikelanimation testweise läuft, lassen sich ihre Einstellungen in Echtzeit ändern. Das aufwendige Suchen nach den richtigen Parametern mit Versuch, Testrendering und Irrtum gehört der Vergangenheit an.

Auf der CeBIT wurde bereits ein Plug-In vorgeführt, das nicht zum Lieferumfang der Grundversion gehört: das Character Designer Kit aus den zwei Modulen Biped und Physique zur Animation von zweifüßigen Figuren. Biped ist ein Expertensystem mit biomechanischer Datenbank. Ihm gibt man eine Fußspur aus einzelnen Fußstapfen vor, daraus errechnet es eine passende Bewegung der kompletten Figur von der Ferse über den Brustkorb bis zu den Fingerspitzen. Treppensteigen, Kurzstreckenlauf und Cha-cha-cha: Biped schafft es, die Fußstapfen-Choreographie in eine äußerst natürliche Bewegung des gesamten Körpers zu übersetzen. So lernt der Raptor aus Jurassic Park tanzen.

Angesichts des Preises von 7 350 DM für das Grundpaket wird 3D Studio MAX der mehr als doppelt so teuren Konkurrenz Softimage aus dem Hause Microsoft gehörig Dampf machen, auch wenn Softimage das eine oder andere Feature mehr beherrscht (Clay Modeling, physikalische Simulationen nicht nur für Partikel_). Mit der erstklassigen Bildqualität und vor allem der gelungenen Einbettung von Konstruktions- und Animationsfunktionen in ein objektorientiertes, Windows-gemäßes Konzept kann MAX sich sehen lassen. (jl) ()