Verhaltenes Frühlingserwachen

Herausragende Neuheiten suchte der Besucher auf der NetWorld+Interop im sonnigen Las Vegas Anfang April vergebens. Microsoft und Novell verzichteten darauf, Einblicke in ihre neuen Betriebssysteme NT 4.0 und NetWare 4.11 zu gewähren. So drehte sich das Gros der Ankündigungen insbesondere um Internet- sowie Netzwerkmanagement-Tools.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Eric Tierling

So ändern sich die Zeiten: Obwohl Novell mit dem Terminus 'NetWorld' den Namen der Veranstaltung immerhin zur Hälfte geprägt hat, hielt nicht etwa Bob Frankenberg, sondern Bill Gates die Eröffnungsrede der Netzwerkmesse. Anstatt jedoch wie üblich über die zukünftige Entwicklung der IT-Branche zu philosophieren, vergewaltigte der Microsoft-Chef die Messe-Keynote und machte daraus eine Produktvorstellung für seine neue EMail-Plattform 'Exchange' - was denn auch vielen Besuchern gegen den Strich ging, die daraufhin empört den Saal verließen.

Dem Interesse an dem Produkt tat dies allerdings keinen Abbruch: der überwiegend im Zeichen von Exchange stehende Microsoft-Stand mußte eine permanente Belagerung unzähliger Besucher verkraften. Zudem kündigten gleich mehrere Hersteller Add-ons an: Fenestrae stellte 'Faxination for Exchange' vor, das ebenso wie der von Optus demonstrierte 'Facsys Fax-Connector for Exchange' den Exchange-Server um Fax-Funktionalität für die einzelnen Clients erweitert. Deming zeigte mit 'Secure Messenger' einen auf der RSA-Verschlüsselungstechnologie basierenden Software-Aufsatz, der sicherstellen soll, daß mit Exchange versandte EMails nur von dem vorgesehenen Empfänger gelesen werden. Die in England beheimatete Software-Schmiede Paragon präsentierte eine Erweiterung, die für mobile Anwender den Zugriff auf Exchange auch über Mobilfunknetze einschließlich dem europäischen GSM-Standard erlaubt.

Microsoft hat den EMail-Markt wieder in Schwung gebracht, dem sich auch die Mitbewerber nicht entziehen: Lotus ließ Demo-CDs von Notes sogar von den Taxifahrern der Glitzermetropole verteilen, während Novell jedem aufstiegswilligen MS-Mail-Anwender offerierte, binnen 60 Tagen nach der Auslieferung von Exchange das konkurrierende GroupWise bis maximal 50 User kostenlos zu erhalten.

Die auch auf dieser Veranstaltung überdeutlich erkennbare Anziehungskraft von Windows NT sorgte dafür, daß inzwischen immer mehr ehemalige Novell-Weggefährten und MHS-Promotoren sich auf neue Märkte konzentrieren: Infinite beispielsweise präsentierte mit dem 'Mach2 Internet Server' einen Internet-Router, der sich nach Bedarf um EMail-Module etwa für WWW, SMTP, POP3 oder Remote-Access erweitern läßt. On Technology kündigte eine neue Version seines 'DaVinci'-EMail-Produkts an, das mit SMTP-, POP3- und MIME-Unterstützung der NetWare-Welt die Nutzung von Internet-EMail ermöglicht, ohne dafür TCP/IP auf den einzelnen Stationen installieren zu müssen - vielmehr übernehmen auf dem NetWare-Server ablaufende NLMs entsprechende Umsetzungsaufgaben.

Die wohl meisten Ankündigungen gab es für den Internet-/ Intranet-Bereich: American Internet plant für seinen NLM-basierenden WWW-Server 'SiteBuilder' - den Novell übrigens unter dem Namen 'NetWare Web Server' vermarktet - eine erweiterte 'Plus'-Ausführung, die dann auch HTML-Authoring-Tools umfassen soll. Frontier Technologies präsentierte mit 'CyberSearch 2.0' ein Tool, das die Offline-Suche im Internet mit Hilfe einer CD-ROM erleichtern und so Online-Zeiten reduzieren soll. Tympani Development hat einen WWW-Agent im Angebot, der Web-Seiten auf Änderungen prüft und anzeigt, wo diese stattgefunden haben. Neben der mit erweiterten Filtermöglichkeiten ausgestatteten Vollversion bietet der Hersteller auch eine abgespeckte kostenlos über das Internet an (http://www.tympani.com/store.html).

Internet Security Systems enthüllte mit seiner 'Internet Scanner SafeSuite' eine ganze Familie von Produkten, die Sicherheitslücken im hauseigenen Internet aufspüren sowie das Überwachen und selbsttätige Korrigieren von möglicherweise unsicheren Geräten erlauben soll. NetManage liefert mit dem 'IntraNet Server für NT' eine Collaboration-Plattform für Microsofts NT-Betriebssystem, das auf NNTP aufsetzt und den Anwendern virtuelle Konferenzräume bereitstellt. Netscapes Proxy-Server ist in der Version 2.0 inzwischen in Beta, soll allerdings zunächst für Unix und erst später für Windows NT erscheinen. Process Softwares 'Purveyor Intranet Transport Module for NetWare' stellt das IP-Protokoll Novell-Workstations zur Verfügung, die aber weiterhin lediglich mit IPX betrieben zu werden brauchen.

Ein ähnliches IP/IPX-Gateway für NetWare hat auch Sunsoft mit 'WebScout/NW' zu bieten, ebenso wie Quarterdeck, dessen 'IWare InternetSuite for NetWare' auf die Übernahme der Firma Internetware Mitte letzten Jahres zurückgeht. Spry kündigte mit 'Badger' ein für Windows für Workgroups 3.11 konzipiertes Tool an, das NetBIOS/TCP in PPP verpackt. Über den integrierten PPP-Dialer können sich WfW-Anwender sodann über einen PPP-Router in ihr Netzwerk einwählen und dennoch auf die gewohnten Workgroup-LAN-Res- sourcen zugreifen.

Auch die Hersteller von Produkten zur Verwaltung der immer größer und komplexer werdenden Netze waren in Las Vegas vertreten: So demonstrierte Bindview sein Enterprise-

Management-System 'EMS'. Im Gegensatz zu den bisherigen, entweder auf NetWare oder NT zugeschnittenen Bindview-Ausführungen kommt diese Lösung mit beiden Netzwerkbetriebssystemen zurecht und läßt sich modular erweitern.

Zwei Jahre nach der Vorstellung des 'Desktop Management Interface' kündigte die DMTF-Organisation auf der NetWorld+Interop die Verfügbarkeit der Version 2.0 an. Die neue Spezifikation bietet vor allem Möglichkeiten zum Remote-Management über RPCs (Remote Procedure Calls), die beispielsweise in den Betriebssystemen von Apple, IBM, Microsoft, Novell, SCO und Sun implementiert sind. Das erweiterte Event-Modell sieht nun Funktionen zur Filterung und Kategorisierung von Ereignissen zur Vereinfachung einer intelligenten Auswertung vor.

Seagates Software 'Desktop Management Suite' faßt die auch einzeln erhältlichen Produkte 'Frye LAN Directory', 'OnDemand WinInstall' sowie 'Funk Proxy' unter einer einheitlichen Oberfläche zusammen und erlaubt somit die Verwaltung, Software-Distribution sowie Fernsteuerung in lokalen Netzwerken, in denen NetWare, Windows 95 oder Windows NT zum Einsatz kommt.

Darüber hinaus spürte der Besucher den Stimmungswechsel bei ATM: Nachdem immer mehr Anwender erkennen, daß die 'Prime Time' dieser Technologie für den breiten LAN-Einsatz weder morgen noch übermorgen kommen wird und sich ein Abflauen der ATM-Hysterie abzeichnet, besannen sich viele wieder auf die Lösung ihrer heutigen Kapazitätsprobleme - Fast-Ethernet war daher in aller Munde: Kaum ein Hardware-Hersteller hatte nicht zumindest eine Karte, einen 100-MBit/s-Hub oder einen 10-MBit/s-Switch mit Fast-Ethernet-Uplink im Angebot. Die meisten Hersteller konzentrieren sich dabei auf das nur mit UTP5 arbeitende 100Base-TX. Während das auch über UTP3 laufende 100Base-T4 noch mit Startschwierigkeiten zu kämpfen hat, scheint das vor allem von HP favorisierte 100VG-AnyLAN zunehmend ins Hintertreffen zu geraten.

Wer den Durchsatz in seinem Netzwerk erhöhen will, ohne in neue Hardware zu investieren, sollte sich 'Shared LAN Cache' der Firma Measurement Techniques einmal ansehen. Diese Software-Lösung soll durch die Kombination von lokalen und Netzwerk-Cache den Durchsatz in langsamen LANs erheblich steigern. Der in NetWare-, NT- beziehungsweise LAN-Manager-, NFS- und Vines-Netzen lauffähige Client ist zunächst für DOS, Windows und Windows für Workgroups erhältlich, Versionen für Windows 95 und Windows NT folgen noch im zweiten Quartal. Optional bietet der Hersteller zudem eine Server-Ausführung an, die die Dateien entfernter Server zu cachen versucht. (ad) (ad)