Dumme Frage, gute Antwort

Wie stellt man einen Faustkeil her? Wie verhindere ich, dass ein Gerät mich duzt? Alles kein Problem: Die Internet-Ratgeberpower hilft.

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Von
  • Peter Glaser

Wie stellt man einen Faustkeil her? Wie verhindere ich, dass ein Gerät mich duzt? Alles kein Problem: Die Internet-Ratgeberpower hilft.

Anleitungen haben einen Haken, vor allem, wenn man eine Software oder ein Gerät das erste Mal in der Hand hat oder wenn man nur ein kleines Detail in einem riesigen Funktionskomplex wissen möchte: Sie sind zu ausführlich, zu umfassend, zu vollständigkeitsversessen. Klassische Handbücher versuchen immer etwas Paradoxes. Sie wollen einem zu dem Zeitpunkt, zu dem man am wenigsten weiß, am meisten vermitteln.

Prinzipiell ist es natürlich erwünscht, sämtliche Möglichkeiten dessen, was man da erworben hat, auch kennenzulernen; zugleich hat sich das Schreckensinbild der blinkenden Uhrzeitanzeige am Videorekorder, mit deren Justierung sich keiner befassen möchte, auch ins volldigitale Zeitalter herübergerettet. Dabei funktioniert ein Neunutzer recht einfach: Er möchte das Frustrationspotential niedrig halten und nicht vor Hard- oder Software kapitulieren müssen, sondern ein paar kleine Erfolge zum Einstieg verzeichnen können. Komplettes Manual lesen (es sei denn, es handelt sich um ein Faltblatt mit drei, vier Seiten) gehört nicht dazu.

Beispiel Smartphone. Ein Neuling wird davon ausgehen, dass es sich dabei um ein modernisiertes Handy handelt und erstmal wissen wollen, wie man damit telefoniert. Wie nehme ich einen Anruf entgegen? Wie beende ich ihn? Puh. Geschafft. Wie kann ich eine Nummer speichern? Wow! Dass es sich bei dem Apparat, den man in der Hand hält, um etwas ganz anderes als ein gewöhnliches Telefon handelt, und man damit, wenn man es richtig handzuhaben gelernt hat, bis zum Mond fliegen kann, steht auf einem anderen Blatt, genauer gesagt: auf vielen, vielen anderen Blättern, nämlich in der Anleitung, den Hilfedateien, usw. Der Quickshot aber – Gespräch annehmen, auflegen, hey, ich kann telefonieren! – wird einem mit großer Wahrscheinlichkeit durch ein Tutorial oder seine benachbarten Formate vermittelt.

Ich vermisse skalierbare Anleitungen, die sich nach meinem Kenntnisstand richten. Wie lange arbeiten Sie schon mit dem Programm? Sie möchten gesiezt werden, ok, wir kennen uns ja noch kaum... Ach, du kennst dich schon einigermaßen aus? Gibt es etwas, das dich speziell interessiert? Aha, wie man einen lebenden Kolumnentitel in einer Standardvorlage für eine Doppelseite unterbringt? Mal sehen... Auch nach 40 Jahren PC-Entwicklung scheint es, was Anleitungen angeht, nach wie vor nur die binäre Option Alles oder Nichts zu geben.

Wären da nicht die Tutorials.

Tutorials sind ein großer Schritt auf dem Weg ins Kleine. Sie verfolgen nicht den großen Generalplan über alles, sondern einen pragmatischen Zugang zum Thema. Sie versuchen, einfach zu sein. Und wenn sie wirklich gut sind, meinen sie die Aufforderung "Es gibt keine dummen Fragen" ernst. Als ich klein war, dachte ich, Tutorials haben – wegen dem Tut – etwas mit Autos oder Musik zu tun, später dachte ich, dass es Tutoren nur in englischen Internaten gibt und inzwischen weiß ich, dass Tutorials eine urdemokratische und praktische Art der Knowhow-Vermittlung für jedermann sind.

Die Tradition ist wahrscheinlich so alt wie die Menschheit. Als jemand den Faustkeil erfunden hat, wollte sicher jemand anderer von ihm wissen, wie er das gemacht hat. Wer nicht fragt, der muß weiter Beeren sammeln im Wald, und auch der Steinzeitmensch war mit Sicherheit dafür dankbar, dass ihm nicht die komplette Faustkeilherstellung auf einmal erläutert wurde, sondern erstmal, wie man diese nützlichen Absplitterungen am Rand so hinkriegen kann, dass der Rand schön scharf wird.

Das Problem dabei ist, dass immer neue Neandertaler nachkommen, die immer wieder dasselbe fragen. Für dieses Problem hat man im digitalen Zeitalter eine wunderbare, tutorialhafte Lösung gefunden: die Frequently Asked Questions, kurz FAQs. Konzentrierte Informationen zum Thema. Geistige Maggiwürfel aus Gemeinschaftswissen. Das erste Online-FAQ verfaßte 1982 der NASA-Mitarbeiter Eugene Miya, nachdem er sich in einer Space-Newsgroup lange genug über blöde Antworten auf immer wiederkehrende Fragen geärgert hatte; zumal sinnvolle Antworten meist an den Fragestellern vorbeigegangen waren. Gewöhnlich faßt ein FAQ-Betreuer die Hinweise aus dem Netz zusammen und stellt die aktuelle Fassung regelmäßig online.

Ein Tutorial ist sozusagen dasselbe in Grün, manchmal nicht so umfassend wie ein FAQ und sehr gerne auch ein Video. Jeder Dritte Onlinedeutsche schaut sich einer Bitkom-Umfrage zufolge gern Video-Tutorials im Netz an. Schon 20 Millionen Menschen haben sich aus solchen visuellen Darbietungen Anregungen zu Haushalt, Handwerk, Hard- und Software sowie Bildung ganz allgemein geholt. Die Leitfäden sind in allen Altersgruppen ähnlich beliebt: 39 Prozent der 14- bis 29-Jährigen haben sich schon mal solche Videos angesehen, von den über 64-jährigen immerhin noch 32 Prozent. Online-Tutorials helfen auch bei speziellen Fragen.

Es handelt sich um eine Art Ein-Mann- respektive Ein-Frau-FAQs, bei denen nicht Gemeinschaftswissen aggregiert wird, sondern Privatpersonen die Videos unspektakulär produzieren, um ihr Fachwissen mit der Gemeinschaft zu teilen. Männer (36 Prozent) und Frauen (38 Prozent) nutzen diese Tutorials übrigens etwa gleich häufig. Erst bei den Themen scheiden sich die Geister. Während sich die einen über Themen wie Kochen, Backen, Fleckenentfernung oder Makeup informieren, suchen die anderen Rat zu Fragen rund um die Bedienung von Laptops, Tablets oder Smartphones oder zu handwerklichen Themen vom Möbelbau bis zur Autoreparatur.

Und natürlich gibt es auch Video-Tutorials dafür, wie man Video-Tutorials macht – zum Beispiel hier und hier. (bsc)