ICANN: Endspurt für die Übergabe der Netzaufsicht

Zum Jahreswechsel soll das letzte Puzzlestück für den Übergang der Aufsicht über die Rootzone und weitere zentrale Datenbanken fürs Netz fertig werden.

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Dublin der blauen Stunde

Dublin in der blauen Stunde

(Bild: icann.org)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Monika Ermert

Auf dem derzeit in Dublin tagenden ICANN-Treffen haben sich die Anwesenden am gestrigen Donnerstag auf einen Kompromiss für die künftige Aufsicht über die Rootzone geeinigt. Entgegen erster Vorschläge soll kein Mitgliedermodell entstehen, sondern eine indirekte Kontrolle durch die Selbstverwaltungsgremien die bisherige Aufsicht durch die US-Regierung ersetzen. Der endgültige Bericht zur zukünftigen Aufsicht der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers durch ihre "Community" soll zum Jahreswechsel fertig werden. So könnte der Wechsel nach der US-Präsidentenwahl vollzogen werden.

Der Mitgliedsstatus hätte den ICANN-Gremien nach kalifornischem Recht Recht erlaubt, direkt gegen Haushaltsentscheidungen oder andere wichtige Beschlüsse des Vorstands vorzugehen. Beim jetzt von der damit betrauten Arbeitsgruppe CCWG vorgeschlagenen "Designator-Modell" muss der Vorstand ein Haushaltsveto nicht akzeptieren. Zur Durchsetzung bleibt den Selbstverwaltungsgremien am Ende nur die Option, den widerborstigen Vorstand komplett zu entlassen. "Den Vorstand zu ersetzen, geht dabei allerdings praktisch über Nacht," sagt Thomas Rickert, eco-Anwalt und einer der Leiter der CCWG.

Rickert wirbt gleichzeitig für den in Dublin vorgestellten Prozess, der Streit zwischen den sieben Einzelgremien und dem Vorstand im Rahmen einer abgestuften Eskalation ausräumen soll. Während der amtierende ICANN-Vorstand signalisierte, dass an dieser Idee weitergearbeitet werden könne, warnen davor Kritiker wie Milton Mueller, Wissenschaftler am Georgia Institute of Technology und Gründer des Internet Governance Project. Noch nicht klar ist auch, was geschieht, wenn nicht alle sieben Gremien (generische Domains, nationale TLDs, IP-Adressen, Nutzervertreter, Regierungsvertreter, Vertreter der Rootserver, und Security Community) jeweils über alle Einsprüche mit befinden wollen.

Vielleicht der heikelste offene Punkt der Übergabe ist ein im Regierungslager schwelender Streit. Dabei geht es um eine von der CCWG vorgeschlagene Satzungsänderung, laut der Entscheidungen des Regierungsbeirats (GAC) nur dann besonderes Gehör finden sollen, wenn es einen GAC-Konsens dafür gibt. Der Streit betrifft letztlich die Rolle der Regierungen in der Selbstverwaltung. Während sich Länder wie Brasilien, Frankreich, Russland oder der Iran die Einmischung verbitten, verbaten sich die Mitarbeiter mehrerer US-Senatoren und -Abgeordneten in Dublin eine mögliche "Kaperung" der Selbstverwaltung durch Regierungen. Der vorzubeugen sei eine Vorbedingung für die Übergabe, sagte der Mitarbeiter des Vorsitzenden des Handelsausschusses im Senat. Würde der Regierungsrat zu Mehrheitsentscheidungen übergehen, könnte aus dem Regierungsbeirat, dem mittlerweile über 150 Staaten angehören, eine Art Mini-UN werden.

Brasilien pocht demgegenüber darauf, dass im Multi-Stakeholder-Modell Regierungen gleichberechtigte Partner sein sollten. Nach zähen Verhandlungen versuchte sich der Regierungsbeirat darin, eine Brücke für beide Seiten zu bauen und forderte seinerseits eine Satzungsänderung, dass GAC-Empfehlungen nur mit satter Zweidrittelmehrheit vom Vorstand zurückgewiesen werden können. Die Logik dahinter heißt wohl: Wenn sich die Regierungen schon auf einen Konsens einigen, muss ihm auch besonderes Gewicht beigemessen werden. Noch ist ungewiss, ob sich CCWG und Vorstand darauf einlassen. (anw)