Premiere entschleiert

Premiere-Verschlüsselung geknackt - Pay-TV zum Nulltarif? Ganz so einfach ist es nicht: Der Hack ist unvollkommen und könnte Schadensersatzansprüche nach sich ziehen.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Norbert Luckhardt
  • Stefan Jaeger

Wer bei Premiere in der ersten Reihe sitzen möchte, muß für gutes Geld einen Decoder mieten: die Zeilen des Fernsehbildes kommen verwürfelt durch das Kabel - erst der Decoder bringt sie wieder in die richtige Reihenfolge. Allerdings ist der Premiere-Algorithmus so schwach, daß ein moderner Computer mit TV-Karte die Fernsehbilder auch ausschließlich per Software rekonstruieren kann.

Zumindest im Prinzip: Bei allen Versuchen, die wir beobachtet haben, ließ die Bildqualität zu wünschen übrig; die genauen Ergebnisse hängen deutlich von der verwendeten Hardware ab. Auf einem 166-MHz-Prozessor erreichte die DOS-Version des Hacks im Schwarzweiß-Modus zwar mit 25 Frames pro Sekunde TV-Geschwindigkeit. Dabei blieben in den Auflösungen 800 x 600 und 640 x 480 aber schwarze Zeilen im Bild. Ein leuchtkräftiges durchgängiges Bild erschien erst nach einer `Zeilenvervielfachung´, die aber die Darstellungsrate etwas drückte. Gelegentliche Ruckler schienen unumgänglich.

In Farbe wurde es deutlich unansehnlicher: Ein einigermaßen flüssiges Bild war mit einem 166er-Prozessor lediglich in der selbst für TV-Verhältnisse beschränkten Auflösung von 400 x 300 Pixeln möglich. Die Farben zeigten sich zudem recht flau und das Bild wurde durch Interferenzmuster (Moiré) beeinträchtigt.

Entsprechend gelassen sieht Premiere das Ganze: Ihre Kunden wollten Spielfilme in Spielfilmqualität, erklärte uns ein Unternehmenssprecher. Die technischen Voraussetzungen für die Hacksoftware seien nur bei einem kleinen Kreis von Computernutzern gegeben und die Ergebnisse nicht überzeugend.

Zur Verschlüsselungstechnik (Syster/Nagravision) selbst gibt Premiere keine Auskünfte. Nach den vorliegenden Informationen scheint es sich um eine Permutation (Vertauschung) der Bildzeilen zu handeln, die pro Frame (Halbbild) durch einen 15-Bit-Schlüssel gesteuert wird. Der Schlüsselraum ist mit 32 768 Möglichkeiten also recht `übersichtlich´. Den richtigen Schlüssel erkennt das Hackprogramm durch Bildverarbeitung: im Bild übereinanderliegende Punkte haben meist nur geringfügig verschiedene Helligkeitswerte. Wenn ausreichend viele Zeilen `vertikal´ nur wenig voneinander abweichen, ist der zugehörige Schlüssel mit hoher Wahrscheinlichkeit korrekt. Diese Bewertungen stellt die Software für jeden Frame an.

Der Nagravision-Algorithmus ermittelt die zu einem Schlüssel gehörige Permutation anscheinend mit Hilfe einer sogenannten S-Box (substitution box), die 8-Bit-Eingaben auf 5-Bit-Ausgaben abbildet. Diese Funktion wird durch eine Tabelle beschrieben, die nicht Bestandteil der Hack-Software ist, sondern quasi als Master-Key dient. Durch diese Initialisierung können im Syster-Verfahren verschiedene TV-Sender mit demselben Algorithmus unterschiedlich kodiert werden, so daß der Abonnent eines Kanals nicht automatisch die anderen entschlüsseln könnte.

Erstaunlicherweise ist die Frage, woher die Informationen über den Algorithmus und diesen Master-Key stammen, von zentraler Bedeutung bei der juristischen Bewertung: Das bloße Zurücksortieren der Bildzeilen könnte schwerlich strafrechtliche Folgen nach sich ziehen. Würde das Programm also alle möglichen Permutationen bewerten und dann die richtige auswählen, statt anhand des mutmaßlichen Premiere-Algorithmus eine Vorauswahl von 32 768 Möglichkeiten zu treffen, wären vermutlich weder der Hack noch seine Anwendung strafbar.

Wenn die Informationen (Algorithmus und Masterkey), die letztlich zum dekodierten Bild führen, aber beispielsweise durch Auswertung eines Premiere-Decoders (Reverse Engineering) zustandekommen oder der Hack einen urheberrechtlich geschützten Algorithmus verwendet, dann hätte Premiere gegen die Hacker starke Argumente: strafbares Ausspähen von Daten (§ 202 a StGB), das Urheberrecht (§ 69 a-g UrhG) und das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, das Betriebsgeheimnisse schützt (§ 17 UWG). Auch der Anwender eines solchen Programms würde vermutlich schadensersatzpflichtig, Weitergabe oder Vertrieb könnten sogar mit Freiheitsstrafe geahndet werden.

Gegen eine Hack-Software, die ohne geschützte Algorithmen auskommt, gäbe es aber wahrscheinlich keine rechtliche Handhabe; ebensowenig gegen ihre Anwendung zum `Schwarzsehen´. Vermutlich wäre eine solche Software möglich: Eine einmalige, wenn auch langwierige Analyse der gesendeten Bilddaten dürfte letztlich die Menge der tatsächlich verwendeten Permutationen offenbaren; auch ohne Kenntnis des eigentlichen Kodierungsverfahrens. Mit einer solchen Tabelle wäre dann die zügige Rekonstruktion der Frames möglich. (nl) (ole)