Service total

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Montag Morgen und der Redaktionsschluss rückt unaufhaltsam näher. Ein Kaffee, den Rechner anwerfen und die Textverarbeitung starten. Statt der gewohnten Arbeitsfläche geht ein Fenster auf: "Die Lizenz Ihrer Textverarbeitung ist abgelaufen. Um die Lizenz zu verlängern, wählen Sie bitte die Seite www.beispielsoft.com." Leider ist das nicht so ohne weiteres möglich, denn auch die Lizenz des Web-Browsers ist abgelaufen; wir hätten wohl doch nicht das supergünstige Komplett-Office-Paket nehmen sollen. Die Dame vom Telefonservice verspricht Rettung: Natürlich könnte beispielsoft das Office-Paket gegen eine Bearbeitungsgebühr wieder freischalten, aber wir hätten seit einem Monat keinen Virencheck mehr durchgeführt. Bevor die Software freigeschaltet werden kann, muss beispielsoft erst das Quarantäne- und Analysetool über unser komplettes System laufen lassen. Die Vertraulichkeit unserer Daten wäre selbstverständlich gewährleistet. Ich will entrüstet widersprechen, da fällt mir ein, dass ich nicht den beispielsoft-Virenscanner genommen habe, sondern ein besseres Programm aus dem Netz - aber das sollte ich vielleicht jetzt doch nicht sagen.

Ein Alptraum, der schon nächstes Jahr Realität werden könnte. Die US-Gesetzesinitiative mit dem malerischen Namen UCITA (siehe S. 28) machts möglich: Wenn der Lizenzvertrag abgelaufen ist, kann der Software-Hersteller die betreffenden Programme online löschen oder sperren. Auch die Gewährleistung von Garantieansprüchen soll mit Verpflichtungen des Kunden verknüpft werden - beispielsweise könnte die Garantie erlöschen, wenn "nicht kompatible" Software des Konkurrenzunternehmens installiert wird. Natürlich glaubt auch die Software-Industrie grundsätzlich an das Gute im Menschen, aber sie will ganz sichergehen, dass der Kunde nicht versehentlich auf die schiefe Bahn gerät.

Weil findige Benutzer versuchen könnten, Software mit eingebautem Verfallsdatum auszutricksen, könnte zum Lieferumfang schon bald ein Überwachungstool für die Systemuhr gehören. Natürlich könnten auch solche Wächter mit Patches aus dem Internet "versehentlich" lahm gelegt werden - wenn solche Patches erst im Umlauf sind, muss der fürsorgliche Software-Hersteller den Kundenrechner gründlich überprüfen, sobald der Kunde via Netz das neueste Update einspielen will. Wenn das auch nicht hilft, wird der Kundenrechner eben ständig online überwacht. Alles zum Besten des Kunden und um eine reibungslose Zusammenarbeit zu gewährleisten. Wenns sein muss, kommt der freundliche "Lizenzhelfer" gern auch persönlich vorbei.

Die Tatsache, dass US-Gesetze zunächst einmal nur in den USA gelten, ist genauso wenig beruhigend wie der Einwand, niemand werde gezwungen, solche Verträge zu unterschreiben.

Falls wir nicht aufpassen, wird sich die "normative Kraft des Faktischen", wie die 68er das genannt hätten, unaufhaltsam Bahn brechen. Nehmen wir mal an, ein namhaftes Betriebssystem wird in zwei Jahren nur noch über Internet vertrieben - mit UCITA-Lizenz. Dann werden wir alle unsere Anwendungs-Software auf den Müll werfen und auf ein neues Betriebssystem umsteigen. Klar.

Dr. Wolfgang Stieler

(wst)