Klick-Heil im Weltnetz

Der Bombenanschlag von Düsseldorf hat die öffentliche Aufmerksamkeit wieder auf die deutsche Neonazi-Szene gelenkt. Auch im Internet soll der braune Spuk Besorgnis erregend zunehmen. Die Elite der New Economy nimmt die Herausforderung an und bläst zur Jagd auf Nazis im Netz.

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Führerbildchen, Skinhead-Rock oder Bastelanleitungen für Bomben: Nach aktuellen Presseberichten scheint das Internet derzeit ein Hort brauner Propaganda zu sein. Der Spiegel dokumentiert Screenshots mit Nazi-Kitschbildern. Die Welt macht mit einem ‘Klick Heil’ betitelten Bericht über die ‘Schleichpfade des Internet’ ungewollt Werbung für den gleichnamigen braunen Webring, und die Tagesschau widmet sich zur besten Sendezeit einem Exotenthema wie der umstrittenen Vergabe rechtsradikal anmutender Domain-Namen. Das Internet war lange nicht mehr so gruselig wie heute.

Eine Broschüre des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom Januar 2000 bilanziert die Entwicklung etwas nüchterner: Zwischen 1996 und 1999 hat sich demnach die Anzahl deutscher rechtsextremistischer Websites auf rund 330 verzehnfacht. Dazu kommen etwa 130 Websites europäischer und rund 200 Websites amerikanischer Neonazis. Während Skeptiker diese Zunahme auf den allgemeinen Anstieg von Internet-Nutzern zurückführen, sieht der Verfassungsschutz darin ‘einen realen Zuwachs’. Die rechtsextreme Szene, so ein Sprecher des Verfassungsschutzes, ersetze durch moderne technische Kommunikationsmittel wie Handys, Infotelefone und das Internet ‘ihre fehlende Vereinsstruktur’. Schließlich seien in den 90er Jahren fünfzehn rechtsextreme Vereine verboten worden.

Neben ‘ganz neuen Möglichkeiten, Personen anzusprechen’ - immerhin würden ‘vereinzelt auch über Websites neue Mitglieder geworben’ - sieht der VS besondere Gefahren in der ‘wachsenden Qualität’ der braunen Sites. Es gebe mittlerweile aufwändige Grafiken und Animationen, Propagandamaterial bis hin zu druckfertigen Flugblattvorlagen und kostenlose Skinhead-Musik. Von den etwa 330 ‘Heimatseiten’ deutscher Rechtsextremisten weisen laut VS etwa 80 der anonym über ausländische Provider eingestellten Sites Straftatbestände auf, wie beispielsweise Aufrufe zur Gewalt, Volksverhetzung oder die Verbreitung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Vereinzelt enthalten die Seiten auch härteren Stoff, etwa Mordaufrufe an politischen Gegnern oder detaillierte praktische Anleitungen zum Bombenbau wie das Programm ‘der kleine Sprengmeister’. Nachdem das Programm und auch fertig konstruierte Sprengsätze Ende Juli bei einer Hausdurchsuchung in Berlin gefunden wurden, versuchte der Verfassungsschutz, die Quelle zu stopfen - über einen US-Provider ist die gefährliche Software immer noch verfügbar.

Es sei ‘nicht zu verkennen’, klagen die Verfassungsschützer, ‘dass die wirksame Bekämpfung rechtsextremistischer Inhalte auch internationale Lösungen erfordert (...) So wurden strafbare Inhalte wie zum Beispiel ein Mordaufruf nur zögerlich und nach mehrfacher Intervention deutscher Stellen gelöscht’. Grundsätzlich schützt der Umweg über ausländische Provider zwar nicht vor Strafverfolgung durch die deutschen Behörden, aber der Verfassungsschutz konnte nur ‘bei rund einem Fünftel der bekannt gewordenen Fälle’ den Betreiber der Site tatsächlich identifizieren. So verweise beispielsweise das Webportal des eingegangenen Thule-Netzes auf eine umfangreiche Sammlung ‘strafrechtlich relevanter Inhalte’, wie etwa eine Sammlung verbotener oder indizierter Skinhead-Musik. Die Identität des Betreibers der Website, der unter dem Pseudonym Garfield auftreten soll, ist den Behörden nicht bekannt. Die braune Stimmungsmusik einschlägiger Bands wie Kraftschlag ist größtenteils auf dem Server der Website gespeichert - die Werke des ‘volkstreuen Barden’ Frank Rennicke, der als Integrationsfigur der rechten Szene gilt, werden allerdings auch ‘ganz normal’ bei mp3.com gehandelt. Die Geschäftsführung von mp3.com mochte dazu keine Stellungnahme abgeben.

Exemplarisch ist auch die Geschichte der Homepage der ‘Kameradschaft Gera’. Die ‘freie Kameradschaft’, die nach eigenen Angaben 50 Mitglieder hat, beteiligt sich rege an Neonazi-Aktivitäten in Thüringen - so ‘übergaben’ führende Nazi-Kader der jüdischen Gemeinde in Erfurt Schweineköpfe oder beteiligten sich an Organisation und Mobilisierung diverser Demonstrationen des so genannten ‘nationalen Widerstands’. Unter der auf ihren Führungskader Jörg Krautheim eingetragenen Domain kamgera.de veröffentlichten die Neonazis im Rahmen der so genannten ‘Anti-Antifa’ unter anderem einen Steckbrief des IG-Metall-Jugendsekretärs Sirko Matz. ‘Schon seit längerem’ heißt es dort, ‘fällt der 31-jährige Facharbeiter für Anlagentechnik Sirko Matz negativ auf.’ Auch wenn die Nazis ‘aus juristischen Gründen darauf aufmerksam’ machen, dass ‘mit diesem Bericht nicht zu Gewalt- bzw. Willkürakten gegen die Person Sirko Matz aufgerufen werden soll.’ Mittlerweile hat das Thüringer Oberlandesgericht (OLG) den Internet-Aufruf gegen den Gewerkschafter untersagt. Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung decke nicht die Anprangerung eines politischen Gegners, hieß es in der einstweiligen Verfügung (AZ 3 W 486/00) - der Text steht allerdings immer noch im Netz.

Während die US-Amerikaner gemäß ihres ‘First Amendment’, also dem hohen Gut der verfassungsmäßig garantierten freien Meinungsäußerung, kaum Anstoß an rechtsradikalen Angeboten im Web nehmen, schlagen hierzulande die Wellen der Entrüstung hoch. Kaum eine Internet-Firma, die sich in den vergangenen Wochen nicht gegen rechtsradikale Sites im Web ausgesprochen hat. Offensichtlich handeln die PR-Abteilungen frei nach dem Motto: ‘Wer schweigt, macht sich verdächtig’. Weil Strato die Domain heil-hitler.de zugelassen hat (siehe c't 17/2000, S. 28) und damit die ganze Diskussion erst richtig ins Rollen gekommen ist, stehen gerade die Web-Hoster im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Die Berliner Firma musste heil-hitler.de vom Netz nehmen, als sie im eigenen Kundenforum auf dessen Existenz hingewiesen worden war. Publikumswirksam vermeldete der Webspace-Provider daraufhin: ‘Mit unserem Vorgehen gegen neonazistische Internet-Domains haben wir als erster Domain-Hoster ein Zeichen gegen den Rechtsextremismus gesetzt.’

Am 18. August gründete Strato unter der Schirmherrschaft von Ex-RTL-Chef Helmut Thoma den ‘Verein gegen missbräuchliche Nutzung im Internet’ (N@IIN e.V.). Als Gründungsmitglieder konnte das Unternehmen prominente Namen wie Dr. Andreas Nachama, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, oder Cem Özdemir von Bündnis 90/Die Grünen gewinnen. Strato-Vorstandsmitglied Arthur Wetzel betonte, der Verein wolle sich erst mal auf Aufklärungsarbeit beschränken: ‘Wir verfolgen zunächst keinen technischen Ansatz’. Inhaltsscanner- und Filter müssten ‘noch evaluiert werden’, bevor man über ihren Einsatz nachdenken könne.

1&1-Puretec, nach Strato der zweitgrößte deutsche Webspace-Provider, hat sich ebenfalls an der Aktion beteiligt. Nach eigenen Angaben hat 1&1 schon seit längerem einen Ausschlussfilter hinter die Domain-Registrierung geschaltet, der verdächtige Namen an eine manuelle Nachkontrolle übergibt. Außerdem sei jeder Surfer dazu aufgerufen, über die E-Mail-Adresse netwatch@puretec.de anstößige Domain-Namen an 1&1 zu melden. Nur gemeinsam könne man gegen ‘neo-nazistische Umtriebe’ im Web vorgehen, da solche Angebote ‘das Image des Internet nachhaltig schädigen’ würden, teilte der Provider aus Montabaur in einer Pressemitteilung mit.

‘Rechtsradikale schädigen das Image des Internet’ - diese Aussage geht ebenso am Kern des Problems vorbei wie die Alarmmeldungen der Wirtschaft bezüglich der Gefahr des Standorts Deutschland durch rechtsradikale Gewalttaten. Entlang dieser Argumentationslinie verlaufen denn auch viele ‘Lösungsvorschläge’ der Politik. Wenn Markus Söder, Vorsitzender der CSU-Medienkommission allen Ernstes fordert, künftig die Vergabe von Domain-Namen öffentlich-rechtlich regeln zu lassen, dann zeigt er damit, dass ihm die historisch gewachsenen Prinzipien des Internet als Selbstverwaltungsapparat herzlich egal sind. Auch die Idee der Domain-Vergabestelle Denic und des Bundesjustizministeriums, alle anstößigen Adressen aufzukaufen und in eine Stiftung zu überführen, weist in eine bedenkliche Richtung: Zum einen stellt man hier die in den Gründerjahren des Internet so hochgehalten Regulierungsmechanismen in Frage; zum anderen muss sich auch eine solche Stiftung die Frage gefallen lassen, ob das Aus-dem-Verkehr-Ziehen von Begriffen im Web nicht eine - freilich sehr schwache - Art von Vorzensur darstellt.

Noch weiter geht die CDU-Initiative Netz gegen Gewalt: Sie unterstützt unter dem Titel Projekt Gatekeeper die Entwicklung eines globalen Filtersystems, das derzeit von der Bertelsmann-Stiftung in Zusammenarbeit mit der Internet Content Rating Association (ICRA) entwickelt wird. In den USA sollen diese Filter, die mit Negativlisten arbeiten, offensichtlich bei Zugangs-Providern installiert werden (siehe c't 8/2000, Seite 31). Die CDU betont, eine deutsche Variante soll nur zur freiwilligen Nutzung dienen. Kritiker dieser Ideen befürchten, solche Filter könnten zur Unterdrückung schlicht unliebsamer Inhalte genutzt werden. Gerade von internationalen Organisationen wie der ICRA entwickelte Filterkriterien, die in globalen Systemen eingesetzt werden sollen, lassen etwa diktatorischen Regimes jede Handhabe, die Kriterien nach ihrem Belieben auszulegen, befürchten Bürgerrechtsorganisationen. Die Einführung solcher Filtersysteme in Deutschland gegen rechtsradikale Websites könnte da schnell zum Präzedenzfall für die weltweite Einführung von Inhaltsfiltern im Internet werden.

Kaum irgendwo sonst auf der Welt existiert ein ähnlich strenges Strafrecht gegenüber rechtsradikalen Entgleisungen wie in der Bundesrepublik. Vernünftig ausgestattete und gut geschulte Polizisten sollten in der Lage sein, von Deutschland aus agierende Neonazis auch dann namentlich kenntlich zu machen, wenn diese ihre Sites im Ausland lagern. Anhand des Strafgesetzbuchs ist selbst für juristische Laien zu erkennen, wann Inhalte als rechtsradikal oder volksverhetzend anzusehen sind. Der Fall Strato hat gezeigt, dass die Rechtslage bei Domain-Namen noch nicht ausreichend geklärt ist. Überraschenderweise hat hier das ansonsten sehr zurückhaltende Denic als erstes reagiert und die Domain heil-hitler.de trotz unsicherer Rechtslage gelöscht. Ob tatsächlich ein strafrechtlich relevanter Tatbestand vorliegt, ist bisher keineswegs klar. Selbst wenn der Besitz dieser Domain per se strafbar sein sollte: Sowohl das Denic als auch die Web-Hoster weisen in einem solchen Fall jede Schuld weit von sich. Bei monatlich rund 200 000 .de-Domain-Registrierungen sei eine inhaltliche Überprüfung ‘technisch unzumutbar’, lamentieren sie und spielen ‘Schwarzer Peter’.

Jenseits all der berechtigten technischen Fragen darf nicht in Vergessenheit geraten, dass das Internet lediglich ein Kommunikationsraum von vielen ist. Alles, was dort drin geschieht, ist nichts genuin Neues, sondern legt den Zustand der Gesellschaft offen, die es vernetzt. Ein Verstärker spielt die Musik nicht, er gibt sie nur wieder. Umgekehrt kann sich die funktionierende Zivilgesellschaft besser durch Gegenrufe erwehren, als einfach den Saft abzudrehen. (hob) (hob)