Zwischen Euphorie und Realität

In der Linux-Gemeinde ist der Enthusiasmus um das freie Betriebssystem ungebrochen - das zeigte nicht zuletzt die letzte LinuxWorld-Konferenz Mitte August im kalifornischen San Jose. Im Mittelpunkt des Geschehens stand die Gründung der Gnome-Foundation.

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Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Dr. Sabine Cianciolo

Bei den Investoren im Aktienmarkt ist das Linux-Fieber gegenüber der Euphorie im letzten Sommer deutlich abgekühlt. Aufgrund von mangelnden Profiten sind die Aktienwerte von Senkrechtstartern wie Red Hat und VA Linux Systems nach Rekordhöhen um 240 beziehungsweise 150 US-$ wieder auf den Boden der Realität zurückgekehrt. Beide Kurse haben sich in der Nähe des ursprünglichen Werts zum IPO (Initial Public Offering) eingependelt.

Linux kann durchaus Erfolge verbuchen. Laut Marktforschungsunternehmen IDC ist die Anzahl der Linux-Installationen auf Servern von 1998 auf 1999 von 16 auf 24 Prozent gestiegen, während die Anzahl der Windows-NT-Installationen bei 38 Prozent stagnierte. Bei den Desktop-Betriebssystemen hält Windows allerdings unangefochten und mit großem Abstand die Spitze: 88 Prozent im Jahr 1999. Linux hat sich hier mit 4 Prozent Marktanteil aber bereits recht nah an MacOS herangepirscht, welches gegenwärtig 5 Prozent des Desktop-Segments hält. Diese IDC-Zahlen beziehen sich allerdings nur auf die kommerziellen Linux-Installationen. Da Linux jedoch kostenlos vom Internet heruntergeladen und kopiert werden kann, ist die tatsächliche Anzahl der Linux-Installationen sehr wahrscheinlich größer.

Auf der diesjährigen LinuxWorld ging es weniger um Aktienanteile und Geschäftsmodelle als um Anwendungen - zumindest an der Oberfläche. Zwei der Gründe, weshalb Linux beispielsweise auf dem Desktop bislang recht wenig Erfolg hatte, sind die relative Bedienungsunfreundlichkeit und der Mangel an Applikationen. Doch seit rund drei Jahren arbeiten die Entwickler des Gnome-Projektes an der Aufgabe, die Desktop-Oberfläche von Linux übersichtlicher und intuitiver zu gestalten.

Auf der LinuxWorld konnte das Gnome-Projekt einen Durchbruch feiern: Gemeinsam mit einer Reihe von Firmen gab es die Gründung der Gnome-Foundation bekannt. Diese will Gnome als den Standard-Desktop für Linux und Unix etablieren. Laut Miguel de Icaza, Gründer des Gnome-Projektes, dient die Foundation als Forum, in dem Gnome-Entwickler und Firmen Ideen austauschen und technische Schwerpunkte setzen können. Zu den Unterstützern des Gnome-Projekts gehören IT-Größen wie Compaq, HP, IBM und Sun, Linux-Firmen wie Red Hat, Turbo Linux und VA Linux, die Free Software Foundation und die Object Management Group. Diverse Startup-Companies wie Eazel, Gnumatic, Helix Code und Henzai sollen zu der Benutzerumgebung spezielle Anwendungen beisteuern. Auffällig ist, dass die KDE-Unterstützer Caldera, Corel und SuSE in dieser Liste fehlen.

Ein Schwerpunkt der zukünftigen Arbeit soll die Integration der OpenSource-Projekte OpenOffice und Mozilla in die Desktop-Umgebung sein. Unter OpenOffice firmieren die von Sun im Quellcode freigegebenen Teile der StarOffice-Suite. Mit Mozilla, dem Nachfolger des Netscape Communicator, will man Unix- und Linux-Benutzern einen modernen Browser mit Desktop-Integration bereitstellen.

Zu den signifikantesten Fortschritten des Gnome-Projektes zählt wohl die Unterstützung und Mitarbeit von Sun Microsystems und HP. Gnome soll der zukünftige Default-Desktop für Solaris werden. Damit geht man laut Sun in erster Linie auf die Wünsche von Kunden nach einer besseren Benutzerschnittstelle ein. Noch vor Ende dieses Jahres soll es ein Pre-Release des Gnome-GUI für Solaris geben, die offizielle Freigabe erfolgt dann in der ersten Jahreshälfte 2001.

HP will Gnome ebenfalls als Default-Desktop für HP-UX einsetzen. Sun und HP betonten jedoch, den bisherigen Desktop CDE weiterhin zu unterstützen und den Kunden die Wahl der Benutzerumgebung überlassen zu wollen. Das Gleiche trifft für KDE-Nutzer zu: Red Hat und VA Linux ließen keinen Zweifel an ihrem Support für KDE aufkommen. Wegen Gnome lasse man KDE nicht fallen, erklärten Vertreter beider Unternehmen auf der Gnome-Pressekonferenz.

Trotzdem werfen die aktuellen Ankündigungen die Frage auf, warum Firmen wie HP und Sun sich offensichtlich für Gnome und gegen KDE entschieden haben. Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass selbst innerhalb von Sun schon mancher Solaris-Benutzer sein CDE gegen das fortschrittlichere KDE eingetauscht hat. Außerdem kann die aktuelle Beta-Version von KDE 2.0 mit einem funktionierenden Komponentenmodell aufwarten. Dieses Feature ist für die Integration von Applikationen unverzichtbar und bei Gnome bisher kaum über die Planungsphase hinausgekommen. Weder Sun noch HP haben auf diesbezügliche Anfragen bisher geantwortet.

Obwohl es auf der LinuxWorld eine Reihe von Applikationen für den Desktop zu sehen gab, ist deren Anzahl verglichen mit den auf dem Markt angebotenen Windows-Programmen noch sehr gering. Ransom Love, Präsident und CEO von Caldera Systems, sieht dies als eine der größten Hürden für Linux. Er erklärte in seiner Keynote-Rede mit dem vielsagenden Titel ‘Linux and the Chasm’ (‘Linux und die Kluft’), dass Linux eine hundertprozentige Lösung anbieten müsse, um sich im Markt durchzusetzen. Dazu gehören seiner Meinung nach eine globale Infrastruktur, Distributionskanäle, offene Standards, ein Geschäftsmodell, Management-Tools, und natürlich jede Menge Anwendungen. Und natürlich konnte sich Love an dieser Stelle ein bisschen Eigenwerbung nicht verkneifen. Caldera - welche Überraschung - sei durch den Aufkauf von SCOs Server Software Devision und Professional Services Devision jetzt in der Lage, genau diese Kriterien zu erfüllen.

Letztendlich sind Firmen eben doch hauptsächlich am schnöden Mammon interessiert. Michael Dell erklärte in seiner Keynote-Rede ganz unverblümt, dass Dell Linux nicht aus reiner Menschenfreude unterstütze: ‘Wir sind Kapitalisten und wir entschuldigen uns nicht dafür, dass wir versuchen für unsere Aktionäre Gewinne einzufahren.’ (ju) (ole)