‘Rechtsradikale Propaganda ist nützlich’

Die jüngst hitzig geführte Debatte um den Umgang mit rechtsradikalen Inhalten im Netz hat einmal mehr die grundsätzliche Frage aufgeworfen, wie es denn nun mit der Meinungsfreiheit im Internet bestellt sein sollte. Wann wird eine Meinungsäußerung zur Gewaltverherrlichung? Was können und müssen Staat und Gesellschaft tolerieren? Ist Repression als Abschreckungsmaßnahme die beste Antwort?

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Die CDU sieht einen möglichen Ansatz in freiwillig zu installierenden Filtersystemen wie dem der Internet Content Rating Association (ICRA). Mit ihrer Gatekeeper-Kampagne (www.netzgegengewalt.de) wirbt sie für den ICRA-Filter und das Prinzip der freiwilligen Selbstkontrolle der Inhaltsanbieter. CDU-Internetsprecher Thomas Heilmann, seit Mai im Amt und selbst aktiver Internetunternehmer, unterstützt diese Aktion ausdrücklich. Andy Müller-Maguhn, sein gegenüber im c't-Gespräch, hält dererlei Maßnahmen für ‘sinnfrei’ und ‘peinlich’. Der Sprecher des Chaos Computer Club (CCC) und Kandidat für einen ICANN-Direktorenposten plädiert für ein filter- und repressionsfreies Netz.

c't: Herr Müller-Maguhn, sollte im Internet jeder Inhalt erlaubt sein?

Müller-Maguhn: Das Internet ist ein globaler Kulturraum, in dem viele Auffassungen zusammenkommen. Amerikaner definieren das Recht auf Meinungsfreiheit anders als etwa Asiaten. Und dann unterscheiden sich nationale Empfindlichkeiten von globalen. Bei Kinderpornografie herrscht weltweit Einigkeit darüber, dass der Urheber der Bilder verantwortlich ist. Geht es aber um rechtsradikales Gedankengut, klaffen die Auffassungen wieder weit auseinander. Wir wissen, dass Rechtsradikale sich auf skandinavischen oder amerikanischen Servern verbreiten, wenn ihnen hier eine Strafe droht.

Müller-Maguhn: ‘Filtersysteme sind nur Scheinmaßnahmen.’

Eine Kontrolle kann also nicht funktionieren, die Inhalte werden immer abrufbar sein. Daher bin ich der Auffassung, dass eine Immunität gegen Rechts nur durch Medienkompetenz entstehen kann. Ohnehin gibt es meiner Meinung nach gar keine schädlichen Informationen. Auch rechtsradikale Propaganda ist als Information nützlich. Sie verweist auf gesellschaftliche Probleme, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen. So etwas kann man nicht ausblenden oder filtern. Daher plädiere ich dafür, die Informationsfreiheit aufrechtzuerhalten statt wie in der CDU-Aktion ‘Netz gegen Gewalt’ mit Zensurmaßnahmen gegen sie vorzugehen. Man muss die Medienkompetenz fördern, statt zur Zensur zu greifen.

Heilmann: Da bin ich ganz anderer Meinung. Ich finde, Naziliteratur muss sowohl im Netz als auch in der realen Welt verboten werden. Auch alle Schriften zur Anleitung oder Gutheißung von Mord wie ‘So begehe ich das perfekte Sprengstoffattentat’ gehören verboten. Natürlich werden Sie die Spinner dadurch nicht von ihren Gedanken abhalten. Mit einer Verbotsgrenze signalisieren Sie hier einen Rahmen, in dem pluralistisch diskutiert werden kann. Alles, was sich außerhalb dieses Rahmens bewegt, akzeptiert unsere Gesellschaft nicht. Daher kann ich Ihre These, Naziliteratur gehört in Deutschland nicht verboten, nicht nachvollziehen.

Müller-Maguhn: Aber sie streiten nicht ab, dass es einen Unterschied gibt zwischen nationalen und globalen Empfindlichkeiten?

Heilmann: Es gibt diese Unterschiede. Sie wissen, dass im antiken Griechenland Päderastie gesellschaftsfähig war, das ist nach unserer Auffassung heute nicht mehr so. Natürlich muss man Unterschiede respektieren, das macht die Sache schwierig, weil das Internet eigentlich nur weltweit einheitliche Antworten geben kann.

c't: Herr Müller-Maguhn, gibt es für Sie Grenzen der Informationsfreiheit im Internet?

Müller-Maguhn: Die Frage ist, ob es ‘schädliche’ Informationen gibt. Das beantworte ich mit einem klaren ‘Nein’ - es gibt nur nützliche Informationen. Auch Kinderpornografie im Web, so bitter das klingt, zeigt gesellschaftliche Probleme, mit denen wir uns auseinander setzen müssen. Offenbar gibt es kranke Leute unter uns. Auch wenn es um rechtsradikales Gedankengut geht, müssen wir uns fragen, woher das kommt, wie es wirkt, warum Leute ihre Minderwertigkeitskomplexe an Schwächeren ausleben müssen und wie wir damit umgehen.

Wenn die CDU, Herr Heilmann, zum Thema Rechtsradikalismus im Internet fordert, das Material zu verbieten oder zu filtern, dann werfe ich Ihnen vor, die Probleme nicht sehen zu wollen. Und lassen Sie mich noch etwas ausführen: Es ist doch nicht so, dass rechtsradikale Seiten einfach so unkommentiert im Netz stehen. Vielmehr diskutieren die Netzteilnehmer in Foren sehr kontrovers darüber. Durch Filter schränken Sie diese Möglichkeiten ein.

Heilmann: Anders als Sie halte ich nicht jede Meinung für eine nützliche Information, die allgemein zugänglich sein sollte. Daher bin ich nicht für eine uneingeschränkte Meinungsfreiheit im Internet. Ich darf Sie ja auch nicht beliebig beleidigen, weder im Netz noch real ...

Müller-Maguhn: Ich bin da nicht so empfindlich. Nur müssen Sie damit rechnen, dass ich mir dann Ihnen gegenüber ebenfalls dieses Recht herausnehme.

Heilmann: Sehen Sie, hier sind wir beim Kern der Debatte: Meiner Auffassung nach ist die Freiheit eben nicht grenzenlos, sondern sie endet da, wo die Freiheit anderer verletzt oder bedroht wird. Das hat jetzt erstmal nichts mit dem Internet zu tun, sondern gilt immer. Sie greifen mit Ihrer Argumentation diesen Rechtsgrundsatz an.

Müller-Maguhn: Sie verhindern doch das Angreifen fremder Meinungen nicht dadurch, dass Sie bestimmte Meinungsäußerungen ausblenden. Die Meinungen sind doch nach wie vor da. Sie schränken nur die Auseinandersetzung ein. Wenn auch nur ein Mensch nach der Aufnahme von rechtsradikalen Meinungen loszieht und Ausländer verprügelt oder Wohnheime anzündet, dann stellt sich für mich nicht in erster Linie die Frage, was er da gelesen hat. Ich frage mich vielmehr, was so ein Mensch vorher im Kopf hatte und mit welchem Bewusstsein er durch die Welt läuft.

Heilmann: ‘Die Wehrhaftigkeit von Bürgern darf man nicht überschätzen.’

Heilmann: In anderen Ländern Europas gibt es mehr Rechtsradikale als in Deutschland, weil wir sehr repressiv mit diesem Thema umgehen. Das halte ich für richtig. Ich bin immer ein Gegner des Staatssystems der DDR gewesen, aber die Repressionen in der DDR haben auch dazu geführt, dass es rechtsradikale Taten und Gedanken nicht in dem Maße gegeben hat, wie wir das heute kennen. Anders als Sie halte ich nämlich nicht alle Menschen für klug, vernünftig und weise genug, um mit solchen Informationen richtig umgehen zu können.

Und das Thema Beleidigungen zeigt es auch: Auch wenn Herabsetzungen verboten sind, ändern sie die negative Auffassung des potenziellen Beleidigers nicht. Trotzdem sind sie zu Recht verboten. Einig sind wir uns, dass man die Medienkompetenz viel stärker fördern muss. Übrigens sind die CDU-regierten Länder vorne, was die Ausstattung der Schulen mit Internetanschlüssen angeht.

Müller-Maguhn: Wir reden hier aber doch von Medienkompetenz, nicht von Technikkompetenz. Der Umgang mit dem Computer ist ein völlig anderes Thema als der richtige Umgang mit Medien.

Heilmann: Das Thema Medienkompetenz ist in den Schulen und Hochschulen noch lange nicht da, wo es sein muss, stimmt. Aber ohne Internetanschluss kann ich keine entsprechende Nutzung lernen.

c't: Lassen Sie uns wieder zum Internet zurückgehen. Herr Heilmann, zu welchen Maßnahmen kann man hier greifen, um dem Problem Rechtsradikalismus wirksam zu begegnen?

Heilmann: Rechtsradikale - und übrigens auch linksradikale - Propaganda gehört, wenn Sie verfassungsfeindlich ist, auch im Internet verboten. Das praktische Problem dabei ist bekannt: Die deutsche Jurisdiktion reicht nicht ins Ausland. Ohne überstaatliche Vereinbarungen wird es deshalb leider nicht gehen. Die wird es aber kurzfristig nicht geben können. Es bleibt also erst einmal nur die Chance, sich auf nationaler Ebene inhaltlich mit den Dingen auseinander zu setzen. Dazu gehört, dass Eltern ihren Kindern den Zugang zu den entsprechenden Themen mittels Filtersoftware zumindest erschweren können, damit sich die Kinder nicht zu früh mit etwas beschäftigen, das sie nicht umfassend einschätzen können. Es hat ja auch seinen Grund, dass man erst mit 18 wählen darf.

Müller-Maguhn: Sie sagen, es sei ein schwieriger Prozess, sich weltweit darüber zu einigen, dass rechtsradikales Gedankengut keine tolle Sache ist. Was aber tun wir, um diesem Problem zu begegnen? Filtersysteme sind doch nur Scheinmaßnahmen, weil sie ohnehin umgangen werden können. Die medienpolitische Antwort kann doch nur sein, sich mit dem Thema Rechtsradikalismus selbst auseinander zu setzen. Und dabei muss dann mehr rüberkommen als Sätze wie: ‘Das muss man alles verbieten’. Auch Sie wissen, dass rechtsradikale Literatur in anderen Ländern gedruckt und von dort aus hier verbreitet werden kann.

Heilmann: Das war schon immer ein Problem. Die Einfuhr verbotener Literatur war aber auch schon immer verboten. Wenn die Zugänglichkeit solcher Schriften durch das Internet aber stark erleichtert wird, ist das Ausmaß des Problems aber ein ganz anderes. Früher musste der Interessent solcher Veröffentlichungen genau wissen, woher er die Bücher bekommt. Beim Surfen müssen Sie weniger Energie aufwenden und alles ist leichter zu bestellen.

c't: Es gibt laut Verfassungsschutz etwa 350 Websites von deutschen Rechtsextremisten. Ist das nicht angesichts von drei Millionen eingetragenen .de-Domains ein sehr geringer Anteil? Herr Heilmann, gehen Sie davon aus, dass Jugendliche zufällig über solche Seiten stolpern und so von rechtsradikalem Gedankengut ‘infiziert’ werden?

Heilmann: Es gibt im Internet Leute, die ihre Meinungen geschickt vertreten, und solche, die das nicht können. Nehmen wir das Beispiel der Holocaust-Lüge. Sie können mit falschen Tatsachen Leute überzeugen, das ist nun mal so.

Müller-Maguhn: Wenn Sie sehr viele Websites haben, wo der Holocaust und alles, was dort passiert ist, mit Texten und Bilddokumenten beschrieben ist und es gibt eine Seite, auf der behauptet wird, das sei alles frei erfunden und erlogen, dann ist doch eines völlig klar: Die Argumentationskraft desjenigen, der Tatsachen verleugnet, ist einfach verschwindend gering.

Heilmann: Zum Thema Holocaust gibt es weitaus mehr als 350 deutsche Sites. Ich habe übrigens selbst an einer mitgewirkt. Sie können doch nicht behaupten, dass das Problem erledigt ist, wenn es 4000 Seiten gibt, die alles korrekt beschreiben. Das ist doch albern. Um eine Lüge auf den Weg zu bringen, genügt eine Äußerung. Um diese dann wieder auszuräumen, benötigt man sehr viel Energie.

Müller-Maguhn: Aber ich kann doch demjenigen, der Tatsachen leugnet, nicht das Recht nehmen, sich lächerlich zu machen. Das soll und kann er doch gerne tun.

c't: Reden wir von technischen Maßnahmen. Die CDU schlägt ein freiwilliges Filtersystem vor. In den USA wird offensichtlich derzeit angedacht, Filter bei Zugangsanbietern zwangsweise zu installieren. Wie stehen Sie dazu?

Heilmann: Ich bin gegen Zwang und für freiwillige Selbstkontrolle. Filtersoftware ist immer eine Krücke, weil sie umgangen werden kann. Sie ist eine technisch wenig intelligente Lösung für das Problem, aber es gibt im Moment keine bessere. Ich bin übrigens für Zwangsfilterung in Schulen. Jugendliche in einem bestimmten Alter müssen vor solchem Gedankengut bewahrt werden. Je älter die Leute werden, desto kleiner wird das Problem, oder haben sie schon einmal eine ausländerfeindliche Demonstration von 60-jährigen vor einem Asylantenheim gesehen?

c't: Was halten Sie davon, so genannte Blacklists zu erstellen, die als Grundlage zur Überprüfung von Websites dienen? Der Verfassungsschutz etwa erstellt solche Listen im Geheimen und das BKA gibt seine bereits an Firmen weiter. Wer kontrolliert diese Kontrolleure?

Müller-Maguhn: Welchen gesellschaftlichen Wert kann es haben, Leute oder Inhalte zu benennen und wegzufiltern? Gerade in Schulen, wo der Netzzugriff hoffentlich betreut erfolgt, dürfen keine Filter installiert werden. Hier haben die Jugendlichen Ansprechpartner und können darüber reden, was sie wahrnehmen. Für mich sind solche Listen Verschwendung von Steuergeldern. Sie verhindern, dass wir uns mit dem Problem beschäftigen. Außerdem frage ich mich, ob der Verfassungsschutz die geeignete Institution ist, um sich mit dem Thema Rechtsradikalismus auseinander zu setzen. Nicht erst nach den Vorgängen in Thüringen, wo der Verfassungsschutz rechte Gruppierungen massiv finanziert hat, um sie dann auszuspähen, fragt man sich doch, ob gerade er dazu geeignet ist, die notwendige Transparenz zu erzeugen.

Heilmann: Sie haben gefragt, wer die Kontrolleure kontrolliert. Dazu gibt es doch schon eine Reihe von Erfahrungen, zum Beispiel bei jugendgefährdenden Schriften oder bei der Indizierung von Kinofilmen. So etwas kann rechtsstaatlich geregelt werden. Und dann muss es auch immer die gerichtliche Kontrolle geben.

Herr Müller-Maguhn, wir haben ein unterschiedliches Menschenbild: Sie glauben an den rationalen, abwägenden Bürger. Ich persönlich glaube daran, dass es auch Leute gibt, die Fundamentalopposition betreiben, weil sie beispielsweise ein Verbot anregen oder schlicht Aufmerksamkeit erregen wollen. Diese Menschen erreichen Sie mit Sachargumenten nicht. Und genau diesen Menschen möchte ich gerne die organisatorische Basis entziehen, weil sie eine sehr schädliche Wirkung haben und auch eine Bedrohung von Ausländern darstellen. Es gibt auch schlechte Menschen, Herr Müller-Maguhn, und deshalb brauchen wir eine exekutive Gewalt. Ich kann mir schlicht nicht vorstellen, dass ich mit sachlicher Aufklärung einen KZ-Wächter von seinem Tun hätte abhalten können.

c't: Aber regen Verbote nicht auch erst recht zu Straftaten an?

Heilmann: Natürlich wirkt alles, was verboten ist, interessant. Aber Verbote wirken im Endeffekt dennoch straftatverhütend. Ansonsten sagen Sie doch: Ich verbiete Mord und rege damit zu Mord an.

c't: Für viele Netzuser bedeutet die ‘Gatekeeper’-Aktion der CDU einen Anschlag auf die Meinungsfreiheit als hehres Grundprinzip des Internet. Ihre Vorschläge würden nicht zum Netzgedanken passen. Sie machen das Netz kaputt, lautet der Vorwurf.

Heilmann: Nicht wir, sondern die Rechtsradikalen missbrauchen das Netz. Wir versuchen nur, uns dagegen zur Wehr zu setzen. Das Internet beschleunigt die Meinungsbildung - auch innerhalb bestimmter Gruppen - und schafft damit neue Möglichkeiten, die wir unbedingt nutzen sollten. Wir können damit viel schneller diskutieren und zu Ergebnissen kommen. Im Übrigen ist das Internet auch eine intelligente Plattform für vernünftige Freizeitbetätigungen wie zum Beispiel Chatten.

Müller-Maguhn: Das Internet bietet sehr viel bessere Möglichkeiten, gesellschaftliche Zustände zu erkennen, als das Fernsehen oder die Zeitungen, die nur sehr partiell und durch Abhängigkeiten gefärbte und beschnittene Wahrnehmungen vermitteln. Die Bertelsmann Stiftung ließ vor kurzem im Zusammenhang mit ihrer neuen Filtersoftware wissen, dass sie mit ihrem System dafür sorgen will, dass zum Beispiel Mütter mit dem ‘Produkt Internet’ nicht mehr Bombenbauanleitungen und Rechtsradikalismus assoziieren.

Ich habe die Befürchtung, dass das Internet mehr und mehr als Produkt oder Plattform für Werbetreibende betrachtet wird. Diese Art, mit dem Medium umzugehen, nämlich die gesellschaftswiderspiegelnde Funktion zu deaktivieren, halte ich für falsch. Das Netz darf meiner Meinung nach nicht zur ‘Brave New World’ werden, einem reinen Schaufenster für tolle, liebe Menschen, die Superlaune haben, Superprodukte verkaufen und einen Wahnsinnsspaß am Konsumieren haben.

Heilmann: Aber so etwas droht doch auch gar nicht. Jedes Medium hat Stärken und Schwächen, was die Abbildung der Realität betrifft. Das Schöne am Internet ist, dass hier alles nebeneinander existieren kann, also die Werbebotschaft neben der politischen Nachricht oder der Meinungsäußerung. Und es lässt jeden demokratisch auswählen, was er davon haben möchte. Es handelt sich doch beim Internet immer noch um ein Pull-Medium, das heißt, es gibt einen Wettstreit um die Wahrnehmung der Einzelnen.

c't: Aber etwas mehr Ordnung und Rechtssaatlichkeit wollen Sie schon einkehren lassen, oder? Wäre ein Internet, in dem jeder einen digitalen Personalausweis besitzen muss, noch dasselbe Internet wie heute?

Heilmann: Freiheit braucht Schutz, das Internet muss vor Missbrauch geschützt werden. Das gilt genauso für Virenprogrammierer wie für Anbieter rechtsradikaler Inhalte.

Müller-Maguhn: Wir brauchen bessere Betriebssysteme, dann haben wir auch keine Virenprobleme mehr ...

c't: ... das ist aber jetzt eine ganz andere Geschichte.

Müller-Maguhn: Nein, eben nicht. Es geht hier um Immunität vor schädlichen Informationen, egal ob das jetzt Viren oder rechtsradikale Gedanken sind. Entweder wir verbieten Viren, dann haben wir nichts gewonnen; oder wir erschaffen eine Immunität, dann haben wir selbst für den Fall sichere Systeme, dass jemand trotz eines Verbots Viren programmiert. Kurz: Wir brauchen ein neues Gesellschafts-Betriebssystem.

Heilmann: Sie haben eine sehr elitäre Vorstellung von den Methoden, wie man das erreichen kann. Es gibt doch stets einen Wettbewerb von Menschen, die versuchen, auch ein perfektes Betriebssystem zu stören. Es wird auch immer Leute geben, denen das gelingen wird. Die Form von Perfektion, die Sie offensichtlich anstreben, ist im Denken sehr totalitär und im Ergebnis unerreichbar.

Aber um bei Ihrem Beispiel zu bleiben: Wir müssen versuchen, das Betriebssystem zu verbessern und immun zu machen. Das wird allerdings dauern. Das perfekte Betriebssystem gibt es einfach nicht, weder im Internet noch außerhalb des Internet.

Müller-Maguhn: Dann nennen Sie mir mal eine CDU-Aktion in Zusammenhang mit dem Internet, die dem Thema Rechtsradikalismus offensiv und in einer Immunität erzeugenden Art und Weise gerecht wird.

Heilmann: Sie überschätzen die Rolle von Parteien. Die Aufgabe einer Partei ist es, an der politischen Willensbildung mitzuwirken, und keineswegs, die Gesellschaft gegen irgend etwas zu immunisieren. Staatsgebilde, die in dieser Weise von Parteien dominiert wurden, sind aus meiner Sicht grundsätzlich von Übel. Aber selbstverständlich haben wir uns mit der Frage Rechtsstaatlichkeit und Antirechtsradikalismus intensiv auseinander gesetzt. Ich kann Sie totschmeißen mit entsprechenden Schriften, die übrigens auch im Internet abgelegt sind.

c't: Gewisse Diskussionsforen im Internet sollen von Rechtsradikalen geradezu geentert worden sein. Ist das Netz überhaupt selbst in der Lage, ‘Reinigungsmechanismen’, zu entwickeln, die Eingriffe von außen überflüssig machen könnten?

Müller-Maguhn: Ich kenne eine Menge Foren im Internet, in denen sich Rechtsradikale selbst der Lächerlichkeit preisgegeben haben, indem sie einer rationalen Hinterfragung ihrer Argumente oder Parolen nicht standgehalten haben. Da kommt dann irgendwann nur noch ‘Ausländer raus!’. Spätestens dann wird klar, dass da jemand sitzt, der nur noch Cut-and-Paste betreibt, anstatt selbst zu denken. Wenn die Teilnehmer am Netzgeschehen ein Bewusstsein dafür entwickeln, was Rationalität überhaupt ist und sich mit dem rechten Gedankengut auseinander setzen, dann kann man es doch durchaus ertragen, dass bestimmte Leute sich einfach nicht belehren lassen und weiterhin ihre Sprüche verbreiten.

Heilmann: Ich bin ihrer Meinung: Man muss das leider hinnehmen. Nur: Wenn Leute schon zugucken, wie ein Ausländer in der U-Bahn verprügelt wird und nicht eingreifen, ...

Müller-Maguhn: ... das ist aber was anderes ...

Heilmann: ... dann brauchen wir uns auch nicht zu wundern, dass es viele Leute gibt, die im Netz surfen und sich nicht an den Debatten um rechtsradikale Inhalte beteiligen, obwohl sie eigentlich dagegen sind. Die Wehrhaftigkeit von Bürgern darf man nicht überschätzen. Wenn die Leute schon in der U-Bahn nicht eingreifen, dann greifen sie erst recht nicht ein, wenn jemand eine Schwachsinnsparole ins Netz stellt.

Müller-Maguhn: Das ist doch ge-nau anders herum: In der U-Bahn riskiert derjenige, der in eine gewalttätige Aktion eingreift, ‘körperlich’ etwas. Die Hemmschwelle rührt aus der Angst der Leute, ‘selbst eins in die Fresse zu bekommen’, um es mal plastisch zu formulieren. Im Netz ist die Hemmschwelle, sich an einer Diskussion zu beteiligen und offensiv eine andere Meinung zu bekennen, deutlich geringer, weil es hier Möglichkeiten wie Anonymisierung gibt.

Heilmann: Was sie verlangen, ist Courage. Die ist aber leider kein Allgemeingut.

Müller-Maguhn: Ich verlange nichts. Ich überlege nur, was man fördern muss und in welche Richtung die Aktivitäten gehen sollten. Und da vermisse ich gerade von der CDU einiges. Projekte wie Ihr Filtersystem Gatekeeper entbehren nicht einer gewissen Sinnlosigkeit.

Heilmann: Wir haben nie gesagt, dass wir damit das Problem lösen wollen oder können. Wir leisten nur Beiträge im Rahmen unserer Möglichkeiten. Wir zeigen Gesicht.

Müller-Maguhn: Gesicht zeigen würden sie, wenn sie sich als Partei in die Debatten einklinken würden. Rechtsradikale verabreden sich regelrecht, um Foren zu ‘stürmen’, und mit ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit kaum noch jemand zu Wort kommen lassen. Genau das könnte die CDU mit ihren Mitgliedern im Internet auch tun, vorausgesetzt, sie sind in der Lage, antifaschistische Themen auch dort zu vertreten.

Heilmann: Die CDU beteiligt sich doch an der Debatte. Sie setzt allerdings nicht die Macht ihrer Mitgliederzahl ein, um andere Debatten ‘physisch’ zu dominieren, weil wir das für ein relativ unzivilisiertes Verhalten halten. Man muss doch nicht mit denselben Mitteln antworten.

(hob) (hob)