Beharrliche Kulturtechniken

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Von
  • Carsten Meyer

Beharrliche Kulturtechniken

Große Heiterkeit in der Redaktionskonferenz: Teilzeitunternehmer Bernhard Kux hat uns einige Musterexemplare seiner neuesten Produktidee zukommen lassen. "Mopi", die Monitor-Pinwand, wird mit Klebepunkten am Bildschirmrand befestigt. Vier Pins gestatten das reversible und rückstandsfreie (weil formschlüssige) Anbringen von Zeitungsschnipseln, Fotos, Geldscheinen und Gummibärchentüten in unmittelbarer Griff- und Sichtnähe des Anwenders. Und noch bevor das Gelächter verklingt, finden die schlichten Korkmatten bei den Kollegen reißenden Absatz.

An funktionaler Technik lieben wir das Kugelschreiber-Prinzip: Man drückt oben auf einen Knopf, und unten erscheint die schreibbereite Mine - alles ganz intuitiv. Kein Booten, kein Defragmentieren, ohne Virusgefahr und Werbebanner. Einfach das Adressbüchlein aufschlagen, einen Zettel ausreißen und losschreiben, mit optimaler Response-Latenz und erprobter Usability. Überall und ohne Reader-Software zu betrachten, andruckdynamisch, grafikfähig und umweltfreundlich zu entsorgen. Wie viele Kernkraftwerke sich einsparen ließen, müsste man zum Nachschlagen einer einzigen Anschrift nicht immer den Rechner hochfahren.

Mopi hat Recht - mit unseren Kulturtechniken geht der PC immer noch nicht konform. Stichwort Bürokommunikation: Belanglosigkeiten hinterlässt man notfalls als Spruch auf der Voice-Mailbox der hochmodernen ISDN-Anlage, obwohl das immer etwas Unbehagen bereitet - schon wegen der autodidaktisch nicht mehr zu bewältigenden Bedienung des Front-Ends (einst hieß das Telefon und dank simpler Wählscheibe verinnerlichten auch Oma und Opa die Kulturtechnik des Fernsprechens aus dem Stand). Meldungen mittlerer Dringlichkeit - etwa der Konsens über den Austragungsort des montäglichen Schnitzelessens - vertrauen wir durchaus dem Medium E-Mail an.

Wirklich wichtige Mitteilungen wie eine kurzfristige Heftplan-Änderung oder einen abgelehnten Urlaubsantrag bekommt man dagegen als Zettel an den Rechner-Monitor geklebt. Das garantiert auch bei spontaner Dysfunktion des ebenso komplexen wie anfälligen Arbeitsmittels die gebührende Beachtung, und adhäsive Reste des Tesa-Streifens auf der rauchentspiegelten Röhre gemahnen nebenbei zur längst fälligen Nikotin-Entschichtung.

Outlook- und Organizer-Dissidenten kleben gar selbst und verteilen Termine für ein halbes Jahr rund um die Bildfläche - unterstützt von der für Ausreden so wertvollen Eigenschaft der Post-it-Zettelchen, vor Erreichen wichtiger Termine von selbst abzufallen. Sympathisch, diese überall zu beobachtenden Gepflogenheiten: Bis man endlich den Profi-Bohrhammer samt passenden Dübeln im Keller gefunden hat und der Helfer mit Staubsauger bereitsteht, hängt das Bild längst am Nagel. So einfach ist das.

Neulich stattete ich meinem vertrauten Computer-Fachgeschäft einen Besuch ab. Auf seinem 5000 Mark teuren, Gigaflop-schnellen Power Mac stellte mir der Chef persönlich den Auftrag zusammen - um zum Ausrechnen meines Barzahler-Rabatts dann doch in der Schreibtischschublade nach einem alten Casio-Taschenrechner zu kramen. Ich werde ihm zum Dank ein Mopi-Set vorbeibringen.

Carsten Meyer

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