Anpfiff

Von Schlagzeilen zu Netzwerkeinbrüchen gebeutelt hat Microsoft Ende Oktober die Flucht nach vorn angetreten und offiziell die erste Vorabversion des kommenden Windows angekündigt: Whistler, so der Code-Name des Projekts, soll sowohl Windows 9x und ME als auch Windows 2000 ablösen.

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Von
  • Peter Siering

Seit Jahr und Tag erzählt Microsoft davon, dass Windows 9x und Windows NT, die auf sehr unterschiedlichen Fundamenten ruhen, irgendwann einmal verschmolzen werden sollen. Mehrfach hat Microsoft diesen Plan verschoben, mit Whistler scheint man ihn aber endlich umsetzen zu wollen. Nur: Von Verschmelzen kann kaum die Rede sein. Vielmehr läuft es darauf hinaus, dass Microsoft die technische Basis von Windows 9x und ME auf dem Schrottplatz ablädt und das heutige Portfolio rund um Windows 2000 um eine weitere Darreichungsform ergänzt.

Die erste Beta (Build 2296) ist nicht nur als Professional oder Server erhältlich, sondern auch in einer so genannten ‘Personal Edition’: Sie soll vor allem für Privatkunden (Consumer) geeignet sein, während die Professional-Ausgabe für den geschäftlichen Einsatz gedacht ist. Ob Microsoft diese Personal Edition ad hoc einführen und Windows ME aus dem Programm nehmen wird, steht derzeit nicht fest. Sie wird aber die einzige Windows-Variante für Consumer sein, die Microsoft langfristig weiter entwickelt. Zu mittelfristigen Absichten äußert sich dort aber derzeit niemand - ein vierter Aufguss von Windows 9x nach ME scheint durchaus noch möglich ...

Mit Whistler testet Microsoft nicht nur die nächste Windows-Generation, sondern leitet für Windows auch das 64-Bit-Zeitalter ein: Es gibt die Beta sowohl für 32-Bit-x86-Systeme als auch für Intels zukünftige 64-Bit-Plattform ‘Itanium’. In Redmond schmiedet man Pläne, noch bevor Whistler auf den Markt kommt eine 64-Bit-Zwischenversion herauszubringen, so wissen gut unterrichtete Kreise. Die Itanium-Version dürfte dann von den Features her zwischen Windows 2000 und dem endgültigen Whistler rangieren, das im zweiten Halbjahr 2001 zumindest für den Consumer-PC (Personal) und für die Workstation (Professional) erscheinen soll. Die x86- respektive 32-Bit-Server-Varianten von Whistler sollen erst anschließend herauskommen, so Microsoft.

Auf den ersten Blick macht Whistler eine gute Figur. Verglichen mit Windows 2000 haben die Entwickler bei Microsoft vor allem Details ergänzt und verbessert. Besonders gilt das für die Bedienoberfläche. Das Start-Menü ist jetzt viel flächiger geraten. Die Optik erinnert an den Mac, Mac OS X und Javas Swing. Grundsätzliche Änderungen für das Bedienen der neuen Windows-Version haben sich aber kaum ergeben. Als erstes Windows dürfte Whistler mit einer renovierten Variante des Graphical Device Interface (GDI) daherkommen.

Zu GDI+, so der Name des GDI-Nachfolgers, hat Microsoft schon im März 1999 erste Details veröffentlicht [1]. Neben einer Integration von 2D- und 3D-Programmierschnittstellen schreibt sich GDI+ Gamma-Korrektur und 3D-Bedienoberflächen auf die Fahne. Natürlich dürfen durchsichtige Fenster à la Mac OS X nicht fehlen. ‘ClearType’, eine Technik, um Fonts vor allem für LC-Displays schönzurechnen, findet sich bereits in der Beta von Whistler. Angesichts dieser Änderungen darf man wohl kaum erwarten, dass Grafikkartentreiber für Windows 2000 mit Whistler funktionieren.

Eine Fülle weiterer Neuerungen lässt sich nur in Stichworten aufzählen: Whistler kann ohne Hilfe weiterer Software CD-R- und CD-RW-Medien beschreiben. Im Netz kann es als Bridge fungieren, etwa um ohne Access-Point zwischen Ethernet und Funknetz zu vermitteln. Treiber für den Internet-Zugang via DSL finden sich im Lieferumfang (PPP over Ethernet). Ferner bringt Whistler die Client-Software mit, die für den Zugriff auf die Dienste eines Terminal-Servers nötig ist. Das nicht von ungefähr: Mit diesem Programm ist auch der Zugriff auf eine Sitzung an einem anderen PC im Netz möglich, sofern er seinen Desktop für andere freigibt.

Praktisch ist eine Neuerung, die Microsoft bereits im April auf der WinHEC vorgeführt hatte: Ein Benutzer kann sich vorübergehend abmelden, seine Anwendungen laufen weiter. Andere können den PC derweil benutzen. Meldet sich der erste Benutzer wieder an, präsentiert ihm Whistler seinen Desktop mit allen offenen Applikationen und Dokumenten. Solange nicht der Speicher ausgeht, können dieses Spiel natürlich auch mehrere Nutzer im Wechsel treiben. Nach möglichen Anwendungsfällen braucht man nicht lange zu suchen: etwa ein von mehreren Benutzern verwendeter PC in der Familie oder am Bankschalter ...

Die Unterschiede zwischen Personal und Professional fallen derzeit marginal aus. Hier dürfte Microsoft noch einiges drehen, bis der Lieferumfang der endgültigen Versionen feststeht. Noch fehlt auch eine Stellungnahme Microsofts, ob die erste Beta von Whistler bereits alle Funktionen enthält. Es ist weder auszuschließen, dass weitere Funktionen hinzukommen, noch, dass es einige der hier erwähnten Dinge aus der ersten Beta nicht ins endgültige Produkt schaffen. Alles in allem scheint Whistler zumindest für heutige Benutzer von Windows 2000 ein lohnenswertes Update zu werden. (ps)

[1] Informationen zu GDI+

[2] Windows 2000 Application Compatibility Toolkit (ps)