Sind wir alle kriminell?

Noch ist das private Kopieren von Audio-CDs und Videos legal, doch das soll sich bald ändern. Eine EU-Richtlinie schreibt den Mitgliedsländern vor, die Umgehung von Kopierschutzmechanismen im Laufe des Jahres 2002 unter Strafe zu stellen. Schon lange setzen Software-Hersteller auf Schutzmaßnahmen, jetzt zieht auch die Audiobranche nach - DVDs waren schon von Anfang an gesichert. Muss man sich in Zukunft strafbar machen, um privat Musik oder Videos zu kopieren?

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Von
  • Gerald Himmelein

Im Prinzip ist die aktuelle Rechtslage relativ klar: Gekaufte Musik und Videos darf man zum privaten Gebrauch kopieren - auch wenn es darauf kein einklagbares Recht gibt. Bei Software darf der Besitzer eine Sicherheitskopie anfertigen, mehr aber auch nicht. Die Anbieter der Unterhaltungsmedien dürfen ihrerseits den Möchtegern-Kopierern mittels Kopierschutzverfahren so viele Steine in den Weg legen wie technisch möglich.

Dennoch haben die meisten Copy-Killer nur geringen Erfolg: Kurz nach der Veröffentlichung eines neuen Kopierschutzes haben findige Tüftler schon Methoden zur Umgehung herausgefunden - und gerade bei Audio-CDs ist der Handlungsspielraum der Industrie begrenzt. Schließlich will man zahlende Hörer nicht mit Scheiben vergrätzen, die im CD-Spieler nicht laufen. Bei Software-CDs gehen die Hersteller schon wesentlich rabiater vor und bohren gelegentlich sogar kleine Vampirzahnlöcher in die Medien.

Eine im Mai 2001 beschlossene EU-Richtlinie soll die Spielregeln ändern. Nach der Richtlinie 2001/29/EG ‘zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft’ soll die Umgehung von Kopierschutzverfahren unter Strafe gestellt werden; selbst die Veröffentlichung von Umgehungsmöglichkeiten soll verboten werden.

Dahinter stecken in erster Linie die Interessen der Rechteverwerter aus der Unterhaltungsindustrie, die sich schon seit Jahren von einer undankbaren Kundschaft ausgenutzt fühlt, die immer öfter kopiert statt dafür zu bezahlen. Bezeichnenderweise stellt die Richtlinie Rechteverwerter und Urheber erstmals auf eine Stufe.

Den zunehmenden Bedarf an Einschränkungen der Nutzungsrechte rechtfertigen die Unterhaltungskonzerne mit imposant wirkendem Zahlenmaterial. Einhellig jammern die Firmensprecher darüber, wie viel Geld sie durch Gelegenheitskopierer verlieren.

Dabei vergleichen sie gern die Zahl der verkauften CD-Rohlinge mit den Verkaufszahlen von Tonträgern und werfen ganz nebenbei Raubkopien, legale Kopien und Daten-Backups in einen Topf. Zudem setzen Hersteller gern die Anzahl mutmaßlicher Raubkopien 1:1 mit entgangenen Umsätzen gleich. Der Ansatz unterstellt, jeder Kopierer hätte sich sonst das Originalprodukt gekauft. Bei derartigen Milchmädchenrechnungen entstehen schnell atemberaubende Beträge - das mag PR-wirksam sein, hat mit der Realität aber wenig zu tun.

So verstieg sich etwa kürzlich der Sprecher einer Spieleschmiede zur Erklärung, Spiele-Raubkopierer würden sich ins eigene Fleisch schneiden: Es wären deutlich bessere Titel am Markt, wenn den Spieleproduzenten mehr Geld zur Verfügung stände. Aufgrund der Kopien müssten die Hersteller den Aufwand zur Spieleproduktion einschränken, das mindere wiederum die Qualität. Man stelle sich vor, ein Schriftsteller verspräche, er schriebe ganz bestimmt viel bessere Bücher, wenn sie nur von mehr Leuten gekauft würden. Der verlorene Umsatz durch Mitleser verhindere etwa aufwendige Vor-Ort-Recherchen.

Andererseits lässt sich das Fracksausen der Industrie durchaus nachvollziehen. Die Erlaubnis zur Erzeugung von Privatkopien stammt aus dem ‘analogen Zeitalter’, als Gesetzgeber und Unterhaltungskonzerne noch von anderen Randbedingungen ausgingen. Analoge Kopien verlieren mit jeder Generation an Qualität - dies mindert den Reiz und begrenzt die weitere Verbreitung von Kopien. Bei digitalen Aufnahmen entsprechen sich Kopie und Original im Regelfall bis aufs Bit; der Generationsverlust entfällt.

Das digitale Duplikat ist der Albtraum der Unterhaltungsindustrie: So lange Überspielungen stets Verluste nach sich zogen, gab es noch genug Gründe für die Konsumenten, später die Originale mit der optimalen Qualität nachzukaufen. Gleichen sich Kopie und Original, entfällt dieser Anreiz - nicht jeder Hörer legt Wert auf aufwendige Booklets und farbige Hüllen.

Hinzu kommt die ernüchternde Feststellung, dass sich die vermeintlich so anspruchsvolle Kundschaft auch mit deutlich reduzierter Qualität begnügt - zumindest so lange es nichts kostet. Das MP3-Format dampft CDs so effizient zusammen, dass sich plötzlich ganze Musiksammlungen per Internet tauschen lassen - ab bestimmten Bitraten erkennen nicht einmal mehr geschulte Ohren den Unterschied zwischen unkomprimierter Audio-CD und psychoakustisch komprimierter MP3-Datei [1, 2, 3].

DVD-Videos werden ins Hacker-Format DivX umkodiert - meist mit deutlich geringerer Bildauflösung und reduzierter Audioqualität, doch für den Fernseher im Schlafzimmer reicht’s allemal. Die fehlenden Menüs, das weggefallene Bonusmaterial und der meist auf Stereo reduzierte Surround-Sound stören nicht jedermann - dafür passt der Film auf eine 700-MByte-CD, während er vorher eine 8,4 GByte große DVD füllte. Diese Dateigrößen können Surfer mit DSL-Zugang nicht mehr schrecken.

So sieht sich die Unterhaltungsindustrie aus zwei Richtungen angegriffen: Auf der einen Seite stehen die Gelegenheitskopierer mit ihren Brennern, auf der anderen Seite die Internet-Sauger, die über Peer-To-Peer-Dienste haufenweise Musik und Videos austauschen.

Frühzeitig wurde der PC als gemeinsame Quelle für die unerwünschte Kopienflut ausgemacht: Bei der Entwicklung des CD-Standards hatte niemand daran gedacht, dass eines Tages jeder Besitzer eines CD-Brenners den kompletten Inhalt der Silberlinge ganz einfach auf die Festplatte kopieren könnte, geschweige denn die Möglichkeit der Reduktion der Datenmenge auf ein Zehntel und die unkontrollierte Verbreitung über das Internet.

Seitdem zielen die Rechteinhaber konsequent darauf, den ungebetenen Zaungästen mit ihren vermaledeiten digitalen Kopiermaschinen das Handwerk zu legen. Dabei schießen die Unternehmen jedoch auch des Öfteren über das erklärte Ziel hinaus: So erschweren ihre Gegenmittel nicht nur Raubkopierern das Handwerk, sondern schränken auch die legale Verwendung ein.

Nach den ersten verstreuten Feldversuchen mit Kopierschutztechniken wollen sowohl große als auch kleine Musik-Label ihre CDs in naher Zukunft durchgehend mit unterschiedlichen Kopiersperren versehen. Im CD-Spieler laufen diese CDs meist ohne Probleme, doch CD-ROM-Laufwerke und DVD-Drives bekommen ebenso Schluckauf wie einige DVD-Player und bestimmte CD-Autoradios - sie verweigern die Wiedergabe.

Neue Audioformate bringen von Anfang an Mechanismen zum ‘Digital Rights Management’ (DRM) mit, um die Nutzung technisch einzugrenzen. So behält der Urheber auch nach dem Verkauf die Kontrolle über sein Werk: Einschränken lassen sich sowohl Ort als auch Zeitraum der Wiedergabe, die Weitergabe sowieso.

Die Software-Branche ist schon weiter: Insbesondere die schnelllebige Spieleindustrie lässt sich monatlich neue Schikanen einfallen, um CD-Brenner zu blockieren. Die Filmstudios sichern ihre Video-DVDs schon seit der Einführung des Formats mit mehreren Schutzmechanismen, in erster Linie durch das Verschlüsselungssystem CSS (Content Scrambling System).

Der Artikel ‘Klonverbot’ gibt ab Seite 90 einen Überblick über aktuelle Kopierschutzverfahren, mit denen Audio- und Software-CDs vor der Vervielfältigung geschützt werden sollen - und welche Umgehungsmöglichkeiten es gibt, schließlich ist das private Kopieren derzeit noch rechtens.

Doch welches Recht haben Privatanwender überhaupt auf Kopien und wo endet dieses Recht? Unklar ist auch, welche praktischen Folgen die bevorstehende Umsetzung der erwähnten EU-Richtlinie haben kann. Zum Redaktionsschluss lagen zwar noch keine konkreten Gesetzentwürfe vor, doch ist damit zu rechnen, dass die Lobby der Unterhaltungsindustrie alles tun wird, um ihre Interessen durchzusetzen (ab Seite 82).

Allerdings haben die digitalen Kopiersperren für Audio und Video eine wesentliche Schwäche: Noch nehmen Fernseher und Verstärker das Signal meist analog entgegen, und das bei hoher Wiedergabetreue. Nicht nur Fans des digitalen Zeitalters rümpfen beim Gedanken an analoge Aufnahmen zunächst verächtlich die Nase. Die unmittelbaren Assoziationen sind verrauschte Musikkassetten, knisternde Vinyl-Schallplatten und Bandsalat im Video-Recorder.

Doch was passiert, wenn man eine digitale Quelle über einen analogen Anschluss wieder digital aufnimmt? Puristen verweisen sofort auf den unausweichlichen Verlust von Rauschabstand und Dynamik bei der zweifachen Umwandlung des Tonsignals - zuerst von digital nach analog, dann wieder zurück. Bei radio-optimierter Charts-Musik mag das keine Rolle spielen, doch bei Klassik und Jazz erkennt auch das ungeschulte Ohr schnell die Kopie. Soweit die Theorie: Die Probe aufs Exempel brachte durchaus kontroverse Ergebnisse hervor. Auch analog kopierte DVDs sehen besser aus, als man annimmt. Zwar sollte das Videosignal eigentlich mit dem bereits von VHS-Kassetten bekannten Signal-Störfeuer Macrovision geschützt sein, doch in der Praxis ist es relativ leicht zu umgehen. Näheres ab Seite 86.

Doch Macrovision ist nur der Anfang. Die Industrie bereitet bereits das Ende der analogen Kopie vor: Bei kommenden Formaten sollen Wasserzeichen in das Video- oder Audiosignal eingewebt werden, die auch analoge Reproduktionen überdauern. Mit Erkennungsschaltkreisen ausgestattete Digital-Recorder und PCs würden das Wasserzeichen erkennen und die Aufnahme verweigern. Da passt gut ins Programm, dass Microsoft kürzlich ein Patent auf ein Betriebssystem mit integriertem DRM verliehen bekam. Das Ziel: eine Verkettung von gesicherten Komponenten, um den Missbrauch jeglicher Mediendaten von vornherein auszuschließen. Was Missbrauch ist, entscheidet der Hersteller. Doch derzeit ist das noch düstere Zukunftsmusik. (ghi)

"Kopien im Kreuzfeuer"

Weitere Artikel zum Thema Kopierschutz finden Sie in der c't 2/2002:

Kopien: Recht und Unrecht S. 82
CDs und DVDs über analoge Kanäle kopieren S. 86
Kopiersperren und Gegenmaßnahmen S. 90

[1] Carsten Meyer: Doppelt blind, MP3 gegen CD: Der Hörtest, c't 3/00, S. 144

[2] Carsten Meyer: Kreuzverhörtest, Der c't-Leser-Hörtest: MP3 gegen CD, c't 6/00, S. 92

[3] Dr. Volker Zota, Andree Buschmann: Konkurrierende Klangkonserven, Verlustbehaftete Audioformate im Vergleich, c't 23/00, S. 152 (ghi)