Hauptsache: technisch

Ein EU-Richtlinienentwurf soll einen Kompromiss in der umstrittenen Frage bringen, ob Software und Geschäfts-methoden patentierbar sind. Kritiker sehen auf Europa eine Patentinflation amerikanischen Ausmaßes zurollen, die Wettbewerb und Innovation gefährden könnte.

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Nach langem Ringen ist in Brüssel ein Richtlinienentwurf ‘über die Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen’ zu Stande gekommen. Der Einleitungstext zählt Programme zur Datenverarbeitung ‘als solche’ nicht zu den patentierbaren Erfindungen. Der Vorstoß scheint das Europäische Patentübereinkommen (EPÜ), das mit genau dieser Formulierung Software-Patente eigentlich ausschließt, zu bestätigen.

Dieser Eindruck schwindet jedoch, wenn man den Vorschlag genauer betrachtet: Laut Artikel 4 kann sehr wohl ein Patent vergeben werden, wenn einer Erfindung ein ‘technischer Beitrag’ zugrunde liegt, der sich ‘vom Stand der Technik abhebt’. Entscheidend soll das Know-how einer ‘fachkundigen Person’ sein. Nach diesem nicht näher definierten Kriterium will die Kommission Neuerungen auf Patentierbarkeit prüfen.

So hofft der EU-Kommissar für Fragen der Informationsgesellschaft, Erkki Liikanen, den ‘Umfang und die Qualität von Patenten auf vertretbarem Niveau zu halten.’ Sein Gegenspieler, der konzernfreundliche Binnenmarkt-Kommissar Frits Bolkestein, ist ebenfalls zufrieden: Er sieht Gewissheit für die ‘Milliarden Euro schwere Softwareindustrie’ geschaffen, ‘was patentierbar ist und was nicht’.

Der entsprechende Artikel 52 im EPÜ hat das Europäische Patentamt (EPA) in München allerdings bislang nicht davon abgehalten, rund 30 000 Patente auf Algorithmen und Computerprogramme zu erteilen.

Dabei ist der volkswirtschaftliche Nutzen aus Patenten äußerst strittig, denn viele Konzerne nutzen diese mit Hilfe geschulter Patentanwälte als Kassenfüller und Wettbewerbssperre. Die mittelständische Wirtschaft bleibt dabei häufig außen vor [1]. Die Open-Source-Szene, die mit ihren offenen Lizenzen die Einnahmen so mancher großen Softwareschmiede schmälert, hatte im Vorfeld der Brüsseler Initiative 100 000 Surfer für eine Petition der Allianz Eurolinux gegen Softwarepatente [2] gewinnen können.

Die Kommission hat diese aber ebenso ignoriert wie das ‘Gruselkabinett’ [3] der vom EPA vergebenen Software-Patente und eine vom Bundeswirtschaftsministerium in Auftrag gegebene Studie zu ‘mikro- und makroökonomischen Implikationen der Patentierbarkeit von Softwareinnovationen’, die keine wirklichen Vorteile von Software-Patenten finden konnte.

Ungereimtheiten im Patentrecht stellen die Brüsseler Juristen vor ernste Probleme. Denn einerseits wird im Richtlinienentwurf die Ansicht vertreten, dass die Europäische Gemeinschaft ‘zumindest vorläufig auf der erreichten Stufe verharren und den Patentschutz für computerimplementierte Erfindungen nicht ausweiten sollte’. Wichtig seien vor allem die ‘Auswirkungen patentierter Geschäftsmethoden auf die Wirtschaft im Allgemeinen und den elektronischen Geschäftsverkehr im Besonderen’.

In der Erklärung zu Artikel 4 ist aber auch nachzulesen, dass sogar die eigentlich vom EPÜ ausgeschlossenen Geschäftsme-thoden ‘dennoch patentfähig’ sein sollen. Voraussetzung ist wie bei den Computerprogrammen ein ‘technischer Beitrag’. Das erinnert an Horrorgeschichten wie das Amazon.com in den USA gewährte ‘1-Click-Patent’ oder die Patent-Ansprüche der British Telecom für Hyperlinks.

Die IT-Großindustrie hatte sich über ihren amerikanischen Verband Business Software Alliance (BSA) auch in Europa kräftig für Softwarepatente engagiert. Der Mittelstand und die Open-Source-Szene betrachten diesen Standpunkt jedoch bislang mit Skepsis.

Der Linux-Verband sieht ‘allen Grund zur Besorgnis’. Sein Justiziar Jürgen Siepmann warnt: Sollte der Vorschlag vom Europäischen Parlament und dem Ministerrat abgesegnet werden, gebe es ‘keine greifbare Einschränkung’ der Patentierbarkeit mehr. Dann werde deutlich, dass die EU-Kommission ‘nicht die Interessen der europäischen Softwareindustrie, geschweige denn die der europäischen Gesellschaft vertritt’. Völlig offen sei, was mit den Zehntausenden ‘gegen geltendes Recht’ vom EPA erteilten Patenten geschehen solle, die zu etwa 90 Prozent in den Händen außereuropäischer Unternehmen lägen. Für Siepmann trägt der Vorschlag klar die Handschrift der US-Softwarekonzerne und der BSA. Nutznießer seien Firmen, die mit großem Kapitaleinsatz für Patentstreitigkeiten Mitbewerber einschüchtern können.

Kathrin Bremer vom Industrie-Verband Bitkom sieht mit dem EU-Entwurf die ‘von den meisten Mitgliedsunternehmen begrüßte Praxis’ der Patentämter bestätigt, ähnlich der Präsident der Gesellschaft für Informatik, Heinrich Mayr: ‘Der Vorschlag erkennt die seit langem gängige Ansicht an, dass Software einen technischen Beitrag in einem Prozess leistet.’

Der Berliner Informatikprofessor Bernd Lutterbeck, ein Skeptiker des Patentregimes, verbucht es als ‘Anfangserfolg’, dass die Kommission mit ihrem politischen Willen die Gepflogenheiten des EPA zumindest nicht bestärkt. Das Brüsseler Kriterium ‘Technizität’ hält er jedoch für beliebig interpretierbar und völlig unzureichend. (hps)

[1] R. Sietmann, Wettbewerb im Gerichtssaal, c't 17/00, S. 170

[2] Petition zu Software-Patenten

[3] Patent-Panoptikum (hps)