Schau mir in die Augen, Oma

Keine Frage, das gute alte Telefon wird sie nicht so schnell ablösen, doch die Videotelefonie übers Internet ist günstiger und macht viel mehr Spaß - ob mit den Kindern, einem Kollegen oder auch der Großmutti, die hunderte Kilometer entfernt wohnt und den Lieblingsenkel viel zu selten sieht.

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Inhaltsverzeichnis

Es ist gerade mal ein Jahr und drei Monate her, da titelte c't: „Man sieht sich!“ Und doch hat sich seit dem letzten Vergleichstest von Videotelefonieprogrammen [1] eine Menge getan. Die Video-Codecs wurden verbessert, die Programme überarbeitet, die PCs schneller. Kameras mit USB-2.0- oder FireWire-Anschluss, längst bei jedem Händler für wenig Geld zu haben, schaffen sogar ideale Voraussetzungen für die Videotelefonie (mehr über Webcams im Anschlussartikel). Und über dreieinhalb Millionen Deutsche besitzen einen DSL-Anschluss - eine Million mehr als seinerzeit. Ein Vielfaches surft zwar nur über ISDN, erzielt bei aktiviertem zweitem B-Kanal aber immerhin die gleiche Sendeleistung wie über DSL, doch dazu später mehr.

Während sich die nur akustische, recht komplizierte Voice-over-IP-Telefonie seit Jahren nicht so recht durchzusetzen vermag, mischen bei der Videotelefonie inzwischen auch namhafte Hersteller wie Microsoft und Apple mit. Indem sie ihre Programme verschenken oder ihren Betriebssystemen kostenlos beilegen, machen sie es zwar den kleineren Firmen schwer, vom Verkauf ihrer Software zu leben. Doch andererseits verhelfen erst die kostenlosen Tools der Videotelefonie zum Massenphänomen.

Lösungen, welche nur auf Basis sehr schneller Leitungen, etwa mit 2 MBit/s, funktionieren, haben wir außen vor gelassen. Sie bieten zwar professionelle Qualität, sind aber nur für Unternehmen interessant, deren Mitarbeiter regelmäßig Videokonferenzen abhalten. Weil sie zumeist spezielle Hardware - Mikrofon, Monitor, Lautsprecher und eine hochwertige Kamera - mitbringen, kommen sie den Privatanwender viel zu teuer zu stehen.

Stattdessen haben wir uns in diesem Testbericht auf Programme für den gemeinen PC oder Mac konzentriert. Außer einer einfachen Webcam setzen sie lediglich eine stehende Internet-Verbindung voraus. Das macht die Videotelefonie auch aus finanzieller Hinsicht attraktiv: Warum nicht mit Livebild plaudern, wenn man für die Online-Leitung wesentlich weniger zahlt als für ein Ortsgespräch - oder gar eine Flatrate besitzt?

Auf unserem Prüfstand fanden sich neben den spezialisierten Videotelefonieprogrammen Alice von AVM und li-com aus der gleichnamigen Softwareschmiede auch Video-Chat-Tools ein, die außer Bild und Ton noch Text und Daten übertragen. Unter diese Kategorie fallen ICUII von Cybration, iSpQ VideoChat und iVisit. Die dritte Riege von Werkzeugen setzt sich aus den Instant-Messengern Apple iChat AV, Microsoft MSN Messenger und dem Yahoo Messenger zusammen und erlaubt das Videotelefonieren quasi nebenbei - aber keineswegs schlecht. Sie installieren sich im System und regen sich, sobald sich ein Bekannter (an)meldet. Auf Mausklick initiieren sie zunächst nur einen Textchat. Erst, wenn beide Gesprächspartner einverstanden sind, schalten sie Mikrofon und Kamera ein. Das mag vielleicht manchem Teilnehmer lieber sein, weil er eventuell noch unfrisiert im Schlafanzug vor dem PC hockt und sich einem Anrufer lieber nicht zeigen möchte, nachher ist’s noch der Chef.

Programme, die seit dem letzten Test nicht weiterentwickelt wurden - DualView 4.0, InVDOChat 3.0 und NetMeeting 3.01 - haben wir nicht noch einmal getestet. Da T-Onlines Messenger TOM keine eigenen Videotelefoniefunktionen besitzt, sondern auch nur das betagte NetMeeting einklinkt, haben wir ihn gleichfalls außen vor gelassen. Ebenso bleibt CUworld, der Nachfolger von CUseeme, für den Rest des Textes unerwähnt. Diese Software kann man sich zwar kostenlos herunterladen, doch dann fallen happige Gebühren zwischen 4,95 und 29,95 Dollar pro Monat an. Der Hersteller will von einer Community leben, die sich regelmäßig auf dem zentralen CUworld-Server trifft, um neue Kontakte zu knüpfen. Videotelefonierer, die ab und an mit immer denselben Gesprächspartnern plaudern wollen, sind mit Programmen, die nichts kosten oder für wenig Geld verkauft werden, sicherlich besser beraten.

Einen viel versprechenden Vertreter konnten wir leider noch nicht testen: Die Abteilung Kommunikation und Kooperation des Fraunhofer Instituts für grafische Datenverarbeitung in Darmstadt bastelt derzeit an einem Programm mit dem Arbeitstitel CommuniTrust, das mit DivX-Videocodec, Verschlüsselungsmechanismen und SSL-Verbindungen neue Standards in der Videotelefonie definieren will. Einen Test reichen wir nach, sobald uns die Entwickler eine funktionstüchtige Version zur Verfügung stellen können.

Wieder draußen bleiben musste GnomeMeeting für Linux - es bringt regelmäßig unsere Testinstallationen zum Absturz; damit halten wir das NetMeeting-kompatible Programm für noch immer nicht massentauglich.

Leider verwenden fast alle Kandidaten unterschiedliche Verbindungsprotokolle (siehe Kasten auf Seite 108), sodass zwei Gesprächspartner nur zueinander finden, wenn sie die gleiche Software besitzen. Mit einer Ausnahme: Alice versteht sich dank H.323, eines offenen Standards für Videokonferenzen, auch mit NetMeeting.

Einige Programme laden ihre Videofonisten auf einen zentralen Server ein und führen sie dort in nach Interessen sortierten Chat-Räumen zusammen. Hat man den gesuchten Gesprächspartner gefunden, stellt man per Mausklick eine Verbindung her; die eigentlichen Bild-, Ton- und gegebenenfalls noch Text- und Binärdaten werden dann meist direkt von dem einen auf den anderen Rechner übertragen. Andere Programme sparen sich den Umweg und initiieren den Kontakt über die IP-Adressen der Gesprächsteilnehmer.

Beide Verfahren haben Vor- und Nachteile. Eine direkte Verbindung über die IP-Adresse bleibt von anderen Benutzern des Programms, die ebenfalls gerade online sind, unbemerkt. Dafür muss man die Adresse für jeden Anruf erst ermitteln, etwa per ipconfig auf der Kommandozeile, und dem Gesprächspartner mitteilen, zum Beispiel per Telefon, E-Mail oder Instant-Messenger. Da sich die IP-Adressen der meisten Internetteilnehmer mit jeder Einwahl ändern, hilft es auch nicht, die von regelmäßigen Gesprächspartnern zu speichern, etwa im Telefonbuch oder auf einer Kurzwahltaste, wie sie Alice bietet. Wohl aber hilft ein Trick: Wer sich bei einem dynamischen DNS-Dienst wie etwa www.dyndns.org anmeldet, erhält - nicht nur zum Videotelefonieren - einen festen Rechnernamen zum Beispiel stephct.dyndns.org. Diesen können sich alle Gesprächspartner notieren und jedes Mal wieder verwenden, obwohl die dahinter liegende IP-Adresse immer eine andere ist. Damit man dem DynDNS-Betreiber die vom Provider zugewiesene IP-Adresse nicht Tag für Tag mitteilen muss, kann man auch einen DynDNS-Client aufsetzen, der das automatisch erledigt. Beides ist kostenlos; weitere Details stehen in [2].

Etwas einfacher geht es bei der anderen Methode: Ein Server, der zwischen beiden Teilnehmern vermittelt, kann diese auch über andere Erkennungsmerkmale identifizieren, zum Beispiel über die E-Mail-Adresse (MSN Messenger) oder eine Kombination mehrerer Daten, die im Adressbuch des Betreibers stehen (li-com). Dann braucht man die IP-Adresse eines Gesprächspartners nicht zu kennen, sondern einfach nur seinen Namen anzuklicken. Die meisten Anwender werden mit dieser Methode besser zurechtkommen, doch manchen mag der mangelnde Datenschutz stören: Ist es Ihnen recht, dass andere jederzeit sehen, wenn Sie online sind? Wie können Sie vermeiden, von wildfremden Leuten angequatscht, womöglich belästigt zu werden? Vor allem Eltern, die mit ihren minderjährigen Kindern videotelefonieren wollen, werden diese Aspekte bei der Wahl des richtigen Programms berücksichtigen wollen. Zu Recht, denn drei Kandidaten im Testfeld werden bevorzugt von Erwachsenen benutzt, die auf der Suche nach Cybersex nackt vor der Kamera sitzen.

Die Programme meistern das Datenschutzproblem unterschiedlich gut. Während der MSN Messenger die Aufnahme von Kontaktdaten eines Gesprächspartners nur erlaubt, wenn dieser zustimmt, listet li-com freizügig alle Nutzer des Programms auf, ob diese nun online sind oder nicht - jeder kann jeden anrufen. Der Hersteller argumentiert, er könne seine Benutzer nicht vollständig vor Belästigung schützen, sei aber immerhin vorbereitet: Ein Belästiger könne im Nachhinein eindeutig über Namen, Adresse, IP-Adresse und Rechnernamen identifiziert werden, weil li-com diese Daten samt Zeitstempel auf dem Rechner eines Angerufenen in einer versteckten Datei protokolliert. In Kombination mit den Daten, die der Server des Herstellers speichert, könne der Hersteller alle „ermittlungstechnisch relevanten“ Daten eines Belästigers an die Behörden weiterleiten, doch sei dieser Fall bisher noch nie eingetreten. Eine Möglichkeit, bestimmte Teilnehmer zu blockieren, bietet li-com ebenso wenig wie etwa Alice. Auch wer gelegentlich ungestört bleiben möchte, etwa während eines Videotelefonats, muss zu einem anderen Programm greifen.

Die meisten Testkandidaten können ein Videotelefonat nur zwischen zwei Benutzern vermitteln. Lediglich iSpQ Video Chat und iVisit erlauben auch ein Familientreffen im Netz. iSpQ macht allerdings nach maximal vier Teilnehmern Schluss, die Bildqualität leidet dann schon sichtbar. Damit es kein Kuddelmuddel gibt, darf nur sprechen, wer den dafür vorgesehenen Button klickt. iVisit-Benutzer hingegen können nur den Teilnehmer hören, dessen Fenster gerade aktiv ist.

Jeder Anwender sieht neben dem Konterfei des Gesprächspartners auch sein eigenes, entweder Bild-im-Bild oder in einem eigenen Fenster - aber immer spiegelverkehrt: So kann man sich stets ins rechte Licht rücken. An den anderen wird das Bild freilich so geschickt, wie es die Kamera aufzeichnet, damit der auch ein Dokument lesen kann, das man ihm vor die Nase hält.

Während das selige NetMeeting nur ein briefmarkengroßes Bildchen über die Leitung schaufelte, stellen die neueren Programme dank besserer Kompressions- und Skalierungsalgorithmen größere und schärfere Bilder vom Gesprächspartner dar. Bei zwei Kandidaten, iChat AV und li-com, kann man den Videostream sogar auf volle Monitorgröße aufblähen - dadurch gerät das Bild zwar pixelig, mit etwas Abstand vom Monitor betrachtet aber gar nicht so schlecht. Je höher die übertragene Auflösung, desto niedriger die erzielte Framerate (fps). Unter 10 fps ruckelt das Video, ab 15 wird es flüssig. Meist schwankt die Framerate, je nachdem, wie stark sich die Teilnehmer vor ihren Kameras bewegen. Tipp: Schalten Sie das Licht ein, das bringt manchmal ein paar fps.

Mit welcher Framerate das Videotelefonat letztlich stattfindet, hängt aber auch von anderen Faktoren ab: der Kamerahardware inklusive PC-Schnittstelle, der Rechnerleistung, der Leitungsbandbreite und der Laufzeit der einzelnen Datenpakete, der so genannten Latenz. Eine zu große Latenz macht sich als träge Kommunikation bemerkbar - beim Partner kommen Bild und Ton etwas verspätet an. Bei älteren Programmen litt sogar die Synchronisation zwischen beiden, doch dieses Problem haben inzwischen fast alle im Griff.

Auch Paketverluste spielen eine Rolle, denn sie führen zu einer schlechteren Video- und Tonqualität - im Extremfall sogar zu Unterbrechungen der Kommunikation. Wer Probleme hat, kann relativ leicht herausfinden, ob die Leitung schuld ist: mit dem Befehl ping -l 500 -n 100 auf der Windows-Kommandozeile beziehungsweise mit ping -s 500 -c 100 im Terminal von Mac OS X. Die Latenz wird in Millisekunden angegeben, typisch für DSL sind Werte zwischen 60 und 70 ms. Die am Schluss ausgeworfene Anzahl verlorener Pakete beträgt idealerweise null Prozent. Sind die Werte Ihrer Leitung schlechter, hilft es unter Umständen, sich erneut beim Provider einzuwählen - oder notfalls das Videotelefonat zu verschieben.

Die unten im Kasten angegebenen, durchschnittlichen Frameraten haben wir unter nahezu vergleichbaren Bedingungen ermittelt. Beide Rechner waren per DSL-Leitung (einmal via T-Online, einmal via Arcor) im Internet. Das Messverfahren ist dasselbe wie beim letzten Mal: Ein Motor sorgte für immer den gleichen Bewegungsablauf eines Testaufbaus vor der Kamera, das übertragene Video zeichneten wir zehn Sekunden (250 Frames) lang mit Hilfe eines Screen Movie Recorders auf, um anschließend die erzielten Frames zu zählen, in denen sich das Bild bewegte, und einen Mittelwert pro Sekunde zu bilden. An den Windows-PCs kam die „380 USB 2.0 SpaceC@m“ von Trust zum Einsatz, am Mac Apples iSight mit FireWire-Anschluss. Im Unterschied zum letzten Test, bei dem wir noch USB-1.1-Kameras verwenden mussten, konnten wir so Verzögerungen von Bild und Ton wegen zu geringer Busgeschwindigkeit weitgehend ausschließen. Die abgedruckten Werte kann man mit einer ISDN-Leitung bei aktiviertem zweiten B-Kanal (Multi-Link) ebenfalls erreichen, weil über eine DSL-Verbindung beide Rechner ja auch nur mit 128 kBit/s senden (Upstream). Vom schnelleren Empfang mit 768 kBit/s (Downstream) profitiert man allenfalls beim Videotelefonieren mit mehreren Teilnehmern gleichzeitig. Einfaches 64-kBit-ISDN ist für Videotelefonie hingegen nicht zu gebrauchen. In der Checkliste auf Seite 116 geben wir darüber hinaus unsere subjektiven Eindrücke von der Bildqualität wieder, denn diese korreliert nicht immer mit der erzielten Framerate.

Auch die Qualität des übertragenen Tons steht in der Tabelle. Um gleiche Bedingungen zu schaffen, haben wir alle Programme dieselbe Passage ei-nes Hörbuchs, von einem MP3-Player über den Mikrofon-Eingang eingespeist, übertragen lassen und am anderen Ende der Leitung per Headset angehört. Fast alle Kandidaten übertragen den Ton gut bis sehr gut verständlich, einige mit einem deutlichen Rauschen untermalt. Nur ICUII blamierte sich - dessen Benutzer müssen entweder eine sehr schnelle Leitung besitzen oder sich mit dem Austausch von Text begnügen; offenbar frisst der Videostream zu viel Bandbreite.

Bis auf iSpQ Video Chat kann jedes Programm Sprache in beide Richtungen gleichzeitig übertragen - den dazu benötigten Full-Duplex-Modus beherrschen übrigens fast alle am Markt befindlichen Soundkarten, auch die auf den Mainboards verlöteten Soundchips. Falls nicht, genügt meist ein Treiber-Update.

[1] Holger Dambeck, Stephan Ehrmann, Man sieht sich, Videotelefonie übers Internet: Neun Programme für bis zu 40 Euro, c't 17/02, S. 98

[2] Torsten Kleinz, Nachsendeauftrag, Serverdienste mit dynamischen IP-Adressen anbieten, c't 10/03, S. 210 (ha)