Die Zukunft von Windows

Microsoft ist zwar stets darum bemüht, die Branche über seine Zukunftspläne auf dem Laufenden zu halten, aber selten kommt es so geballt wie auf der diesjährigen Professional Developers Conference (PDC) Ende Oktober in Los Angeles. Dort weihte der Softwarehersteller Entwickler in seine Pläne für die Windows-Zukunft ein, die schon bald auch die Anwender angehen.

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Von
  • Peter Siering

Bereits im Vorfeld der Entwicklerkonferenz PDC war klar, dass Microsoft dort eine Vorabversion der zukünftigen Windows-Version „Longhorn“ vorstellen will, spannend blieb aber, was die Entwickler noch ausbrüten würden. Wir zeigen auf den folgenden Seiten, was sie schon fertig haben und woran sie noch arbeiten. Das ist für Anwender nicht minder spannend: Schon bald betreffen die Neuerungen jeden, der einen PC benutzt - schließlich plant Microsoft, den Mainstream-Support für XP Ende 2006 auslaufen zu lassen.

Nicht vor 2005, eher 2006 soll Longhorn als Nachfolger von Windows XP fertig sein. Wie das aktuelle Windows auch wird es das System in verschiedenen Varianten geben. Einzig, dass die Tablet-PC Edition dann nicht mehr als separates Produkt geführt werden soll, war am Rand der PDC zu erfahren. Über weitere Details - etwa ob es weiterhin eine Media Center Edition gibt oder ob die Server gleichzeitig erscheinen - darf weiterhin heftig spekuliert werden.

Wie wichtig Longhorn für Microsoft ist, kann man an den Kosten ermessen. Bill Gates bezifferte in seiner Keynote die Ausgaben für Forschung und Entwicklung auf sieben Milliarden US-Dollar. Die Summe kann das Unternehmen locker aufbringen, was vor allem an seiner herausragenden Marktstellung liegt. Windows gilt nach wie vor als die Cashcow der Redmonder - wie sinnig, dass Microsoft ausgerechnet den Namen einer Rinderrasse als Code-Namen für die nächste Windows-Version gewählt hat ...

Nicht nur das Longhorn-Projekt, sondern auch die diesjährige Professional Developers Conference (PDC) ist eine Veranstaltung der Superlative. Sie reiht sich mit rund 7500 Teilnehmern in die Liste der besonderen PDCs ein wie die, in denen Microsoft erstmals Windows NT der Öffentlichkeit präsentierte (1992), reichlich spät mit großem Tamtam sein Engagement fürs Internet einläutete (1996) und für NT 5 trommelte (1997), das drei Jahre später als Windows 2000 auf den Markt kam.

Im Grunde muss Microsoft dringend handeln, denn in letzter Zeit sorgt XP nicht nur für Freude. Zwar liefert Microsoft mit dessen Einführung eine solide technische Basis (anders als mit den DOS-basierten Varianten Windows 9x und ME), doch die Sicherheit des Systems liegt mehr und mehr im Argen. Fast jede Woche tun sich Sicherheitslücken auf, die dringend das Einspielen von Patches erfordern.

Inzwischen zahlreich erschienene Programme für Windows XP scheitern mitunter an niedrigsten Qualitätsstandards, was die Zuverlässigkeit des Systems beeinträchtigt. Ihr Einsatz schädigt das zugrunde liegende XP so stark, dass es inzwischen schon an die Zustände unter Windows 9x/ME erinnert. Oft gilt das für Virenscanner, die das System extrem ausbremsen oder bei bestimmten Zugriffen einfach abstürzen lassen. Die Ursachen sind in der Regel schlampig erstellte Treiber oder Systemerweiterungen auf ähnlichem niedrigen Niveau - etwas, was zu Zeiten von Windows 2000 wegen der eher exklusiven Versorgungslage selten war.

Diese Problemzonen des Systems will und muss sich Microsoft mit Longhorn vorknöpfen. Erste Sicherheitsverbesserungen sind sogar schon früher in Sicht, sie will Microsoft Windows XP schon im nächsten Jahr mit dem Service Pack 2 angedeihen lassen (im Folgeartikel mehr dazu). Der Job ist aus vielen Gründen nicht ganz einfach.

Momentan gibt es keinen einheitlichen Weg, Patches in Windows einzuspielen; noch ziehen die meisten einen Neustart des Systems nach sich und erreichen Anwender zu spät. Technische Verbesserungen, etwa um defekte Treiber nicht das ganze System mitreißen zu lassen, sind nur schwer im Nachhinein zu realisieren (der Artikel in c't 24/2003 ab S. 118 zeigt, wie Microsoft das in Teilbereichen doch gelingen könnte).

Noch rankt sich die Diskussion um die Sicherheit des Betriebssystems allein um handwerkliche Verbesserungen. Aber in absehbarer Zeit dürfte sie sich auf ein weiteres Schlachtfeld ausdehnen, nämlich die von Microsoft seit einiger Zeit vorangetriebene Next Generation Secure Computing Base (NGSCB, ehemals Palladium).

Die Vorzüge für den Anwender erschöpfen sich bis heute in dem Versprechen, sichere Anwendungen etwa fürs Online-Banking zu bekommen, einschließlich der sicheren Eingabe von PIN und TANs. Noch ist keineswegs sichergestellt, dass das überhaupt funktioniert - dafür sind die vorhandenen Implementierungen nicht weit genug fortgeschritten. Sicher ist nur, dass es Anwender auch behindern dürfte, da es auch die Durchsetzung von Digital Rights Management (DRM) auf breiter Front ermöglicht.

Außer Sicherheit und Stabilität steht vor allem ein weiterer Punkt auf Microsofts To-do-Liste, die Perfomance. Die soll mit Longhorn verbessert werden. Die Eckdaten für einen Longhorn-tauglichen PC mit 800-MHz-Prozessor und 256 MByte RAM, die Microsoft auf der PDC nannte, klingen moderat, dürften aber der typischen Inflation unterworfen sein.

Auffallend hingegen ist die postulierte Verdreifachung der Grafikleistung. Sie dürfte jedoch für die in Aussicht gestellte neue Bedienoberfläche nötig sein, die in der aktuellen Vorversion aber noch fehlt. Ansatzweise gab es sie auf der PDC zu sehen: Aero soll nicht mehr Bitmaps, sondern Vektorgrafik nutzen, etwa um Icons oder auch Dialogfenster stufenlos zu vergrößern, ohne dass sie pixelig wirken. Das wäre ein echter Fortschritt, der eine adequate Darstellung auch auf hochauflösenden Displays verspricht. Mit transparenten Fenstern und Dekorationen soll sich der Anwender besser im Fensterwust zurechtfinden.

Als Aufsatz aufs Dateisystem soll eine Datenbank arbeiten (WinFS), die sich automatisch mit Informationen über die Dokumente des Anwenders füllt und auf Anfrage zügig Antworten liefert, die man einem herkömmlichen Dateisystem mühsam abringen muss. Dieser Meta-Speicher soll allgemein interessante Daten, etwa ein Adressbuch aufnehmen, das dann gleich allen Anwendungen offen steht.

Allgegenwärtig ist auch das von Microsoft propagierte Konzept der Notifications, also Benachrichtigungen, die sich ein Benutzer vom System schicken lassen kann. Auslöser können Aktionen in dem Metaspeicher (WinFS) sein, etwa der Eingang einer dort abzulegenden E-Mail, aber auch andere Ereignisse, die etwa dem System einen Plattendefekt ankündigen. Das System sammelt solche Nachrichten an zentraler Stelle, um sie dem Benutzer bei passender Gelegenheit vorzulegen.

Für all diese Aufgaben rüstet Microsoft die Technik von Longhorn um viele schon im Rahmen von .NET vorgestellte Komponenten auf, bessert nach oder aber ergänzt sie - Details finden Sie ab Seite 118. Unterm Strich läuft es darauf hinaus, dass Microsoft in Longhorn die Visionen zum Leben erweckt, die man seinerzeit für .NET entworfen hat. Longhorn soll das erste Windows sein, das für den immer online weilenden Benutzer, sei es im Büro oder unterwegs mit PDA und Notebook, perfekt die Verbindung zur vernetzten Welt hält.

An diesen Szenarien, die Microsoft allzu gern an die Wand projiziert, ist manches brüchig: Mit den Bemühungen, mit .NET auch Dienste zu schaffen, die Anbieter und Abnehmer anspricht, ist Microsoft gescheitert - die myServices-Pläne [1|#literatur] sind vorerst in der Versenkung verschwunden. Ohne solche Dienste verkümmert aber die Idee, zumindest was ihre Nutzbarkeit durch Anwender angeht, die nicht gerade für ein Unternehmen arbeiten, das sich selbst mit der nötigen Servertechnik ausstaffiert.

Longhorn wird wie seine Vorgänger perfekt auf das Zusammenspiel mit Microsofts Server-Technik abgestimmt sein. Das dürfte bei der neuen Version noch ein Stück weitergehen als bisher. Schon jetzt gilt die enge Verzahnung der eigenen Clients mit den Server-Produkten als bedenklich - bei den Wettbewerbshütern der Europäische Union ist seit langem ein Verfahren dazu anhängig, allerdings noch ohne nennenswerte Konsequenzen für Microsoft.

Man muss kein Experte sein, um in Longhorn eine Fortsetzung der viel kritisierten, aber weitgehend ungerügten Microsoft-Standardstrategie zu erkennen: Erneut wachsen mit der neuen Windows-Version ehemals externe Produkte in das Betriebssystem hinein, mit WinFS etwa eine Datenbank. Da dran hängen weitere Funktionen, etwa ein zentrales Adressbuch - alles Komponenten und Funktionen, die Microsoft perfekt für die Eroberung weiterer Märkte gelegen kommen, etwa den der PDAs und Mobiltelefone.

Wie gehabt lässt Microsoft durch einige Reizwörter den Eindruck entstehen, es handele sich um offene Techniken, etwa XML, Web Services und dergleichen. Hinterfragte man bisher aber die Offenheit von Microsoft-Entwicklungen, so fehlten hier oder da dann doch einige Informationskrümel, die eine unabhängige Implementierung alternativer Server-Dienste erlauben.

Obwohl Microsoft im Vergleich nach dem US-Kartellverfahren auferlegt worden war, Dokumentation und Schnittstellen zu fairen Konditionen und Preisen Dritten zur Verfügung zu stellen, ist der Software-Riese dem bis heute nicht nachgekommen. Immer wieder hat das Gericht den Zustand kritisiert. Alle Nachbesserungsversuche haben nicht zu der eigentlich beabsichtigten Öffnung geführt. Entsprechend wenige Firmen haben sich folglich auf diese Bedingungen eingelassen.

Im Moment gibt es keine Anzeichen dafür, dass Microsoft diese Politik ändern wird. Die Tatsache, dass inzwischen außer großen Firmen auch Behörden und jetzt sogar externe Support-Kräfte Einblick in die Windows-Quelltexte erhalten können, bleibt ein Feigenblatt. Microsoft setzt fort, was schon vor Jahren im Kartellprozess mit der Integration des Internet Explorer kritisiert wurde. (ps)

[1] Peter Siering, Das Microsoft-Internet, .NET und was dranhängt, c't 4/02, S. 64

"Windows-Zukunft"
Weitere Artikel zum Thema finden Sie in der c't 24/2003:
Longhorn Vorabversion im Detail S. 112
Die dahinter stehende Technik S. 118

(ps)