Ärger um NIVADIS

Die Polizei in Niedersachsen stellt in einem Großprojekt ihre Hard- und Software auf Linux-PCs und Java-Software um. Technische Pannen bei der Einführung ließen die Emotionen hochkochen.

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Schlechtes Timing: Das Einspielen neuer Softwareversionen bremste den Betrieb des neuen Computersystems der niedersächsischen Polizei NIVADIS spürbar aus. In der Startphase hatte das System zunächst klaglos gearbeitet.

Kaum waren sich die Entwickler sicher, diese Probleme wieder im Griff zu haben, als ihnen die Morgenzeitungen massiv die Stimmung verhagelten. NIVADIS bedeute „Ni wa dis so schwer, mit einem Computer zu arbeiten“, zitierte die Nachrichtenagentur dpa wütende Polizisten. Das Innenministerium in Hannover zeigte Nerven und verordnete den Entwicklern zunächst einen Maulkorb.

Innenminister Uwe Schünemann (CDU) hatte Mitte September den offiziellen Startschuss zur Installation des neuen Computersystems gegeben. Die Polizei Niedersachsens feierte, dass mit den fast 12 000 Arbeitsplatzrechnern die größte Linux-Realisierung Deutschlands entstehe. Die Kosten belaufen sich auf über 80 Millionen Euro - das System soll jedoch in den kommenden zehn Jahren über 118 Millionen Euro Einsparungen erbringen. Wunschvorstellung der Niedersachsen ist, dass in allen Bundesländern einheitliche Systeme eingesetzt werden. Bereits im kommenden Jahr soll die Vorgangsbearbeitungssoftware von NIVADIS auch in Bremen eingesetzt werden - dort soll sie auf Windows-2000-Clients laufen. Da kam die negative Berichterstattung nicht gut an.

„Wir hatten lange Antwortzeiten, bis hin zu Timeouts, obwohl die Server immer verfügbar waren“, bestätigte Projektleiter Axel Köhler gegenüber c't. „Da haben die Kollegen einen neuen Vorgang gestartet und manchmal minutenlang nur die Sanduhr angestarrt, die waren natürlich sauer.“ Die Engpässe sollen jedoch seit Mitte November beseitigt sein. Hauptproblem sei gewesen, dass man das System erst Mitte Oktober „im laufenden Produktionsbetrieb“ auf Itanium-64-Server und die BEA-WebLogic-Plattform von Version 6.1 auf 8.1 umgestellt habe, da das eingesetzte „Türmchen“ aus Softwarekomponenten erst zu diesem Zeitpunkt komplett zertifiziert war. Erst nach einem längeren „Parameter-Tuning“ konnte man den Durchsatz bei den Message Queues wieder erhöhen und so die Antwortzeiten drastisch senken.

Auch für Dietmar Eickhoff von Mummert Consulting, die das Projekt gemeinsam mit dem Polizeiamt für Technik und Beschaffung entwickeln, ist der zeitweilige Performance-Engpass kein ungewöhnlicher Vorgang. „Das ist ein ganz normaler Rollout, mit den üblichen Macken und Häkchen“, erklärt Eickhoff, wie er auch „bei jeder Bank“ vorkommen könnte. Aber wenn ein Bankautomat streikt, gehe der Kunde eben zur nächsten Filiale. „Wenn eine Polizeistation nicht einsatzfähig ist, reagiert man natürlich empfindlicher.“

Tatsächlich lastet auf den Softwareentwicklern eine nicht unerhebliche Verantwortung: Das auf Linux Clients und Servern laufende in Java realisierte NIVADIS bündelt praktisch die gesamte Vorgangsbearbeitung bei der Polizei. Das System integriert 23 Einzelanwendungen von der Erfassung eines Fahrraddiebstahls bis zu umfangreichen Ermittlungsverfahren im Bereich der organisierten Kriminalität. Mitte 2004 soll das System auf 11 600 PCs in allen niedersächsischen Polizeiinspektionen laufen.

Die Client-PCs, die unter SUSE 8.1 laufen, ersetzen die bisher verwendeten Motorola-M88k-Systeme und Terminals für einen Siemens BS2000-Server. Die Software wird über lokale Server mit Hilfe von autoyast installiert: Zur Vorgangsbearbeitung kommt ein Open-Office-Paket, für E-Mail Ximian Evolution und „für einige Fachleute“ die Bildverarbeitungs-Suite Gimp auf den Rechner. Das soll, so Köhler, bislang reibungslos funktioniert haben. „Von dem ganzen Linux-Krempel habe ich bislang nicht ein Sterbenswörtchen gehört“.

Die Vorgangsbearbeitungssoftware greift auf einen zentralen Server-Cluster zu, der auf Itanium-Maschinen läuft. Sämtliche in den Polizeiinspektionen vor Ort bearbeitete Daten werden in einer Oracle 9i-Datenbank verwaltet. Mitte 2004 wollen die Entwickler zudem unter anderem eine „elektronische Kriminalakte“ und einen Zugang zum bundesweiten Polizeisystem Inpol Neu integrieren.

Die Daten stehen gleichzeitig für ein Data-Warehousing-System von Cognos zur Verfügung. Quasi in Echtzeit können die Polizeibeamten vor Ort so Berichte und Statistiken auswerten - etwa über besondere Häufungen spezifischer Delikte an speziellen Orten zu bestimmten Zeiten aber auch um betriebswirtschaftliche Betrachtungen durchzuführen - und so effizienter reagieren zu können.

Bedenken, die allgegenwärtige Verfügbarkeit von Informationen könne den Datenschutz aushöhlen, weist Köhler zurück. Jeder Zugriff auf die Datensätze wird automatisch protokolliert, zudem habe man in Zusammenarbeit mit dem niedersächsischen Datenschutzbeauftragten ein ausgefeiltes Regelwerk für die Zugriffsberechtigung erarbeitet. Besonders sensible Vorgänge beispielsweise „sieht nur der betreffende Dienststellenleiter“. (wst) (wst)