Bosse der Fasern

Die Preise für IP-Traffic fallen ins Bodenlose - ein harter Wettbewerb herrscht unter den Anbietern von Leitungskapazitäten. Dem Anwender gefällts, denn die Preise für Internet-Zugänge fallen entsprechend. Welchen Aufwand die IP-Carrier betreiben, um den Internet-Nutzern verzögerungsfreies Surfen zu ermöglichen, ahnen diese allenfalls.

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Von
  • Holger Bleich
Inhaltsverzeichnis

Was für die deutschen Autobahnen gerade heftig diskutiert wird, ist bei den Daten-Highways längst Realität: Die hiesigen Internet-Trassen sind bis auf eine Ausnahme, nämlich das deutsche Forschungsnetz (DFN), fest in privaten Händen. Die Nutzer zahlen ihre Maut ohne zu murren, oft sogar, ohne sich dessen überhaupt bewusst zu sein. Im Gegenzug sorgen die Betreiberunternehmen, also die Zugangsanbieter und IP-Carrier, jederzeit für genügend breite Straßen und Überleitungen zu Strecken der Konkurrenz. Damit halten sie die Wege kurz, Staus sind die Ausnahme. Die IP-Pakete fließen fast verzögerungsfrei durch deutsche Daten-Highways, obwohl der Verkehr beständig zunimmt.

Heute bekommen Privatanwender eine Quasistandleitung mit 3 MBit/s schon für 50 Euro pro Monat frei Haus - inklusive Telefonanschluss. ADSL über die gute alte Kupferleitung machts möglich. Das einst totgeglaubte Kupfer kann noch mehr. Über kürzere Strecken, also etwa bei der Gebäudeverkabelung, überträgt es problemlos 1 GBit/s oder sogar 10 GBit/s nach dem Gigabit-Ethernet-Standard. Doch für mehr als zur Inhouse-Vernetzung (Local Area Network, LAN) oder zur Zuführung ins Internet finden die Metallkabel kaum noch Verwendung. Bei größeren Entfernungen in Städten (Metropolitan Area Network, MAN) oder darüber hinaus (Wide Area Network, WAN) kommen fast ausschließlich Glasfaserleitungen zum Einsatz.

Gute Gründe dafür gibt es mehrere. Der wichtigste dürfte sein, dass bereits die Kupfer-Streckenkapazität von 10 GBit/s nur noch mit technischen Tricks und ausgeklügelten Multiplex-Verfahren erreicht werden kann [1]. Größere Bandbreiten dürften über Ethernet kaum noch möglich sein, ohne die Störanfälligkeit der Verbindung stark zu erhöhen. Dem gegenüber stehen theoretisch mögliche Kapazitäten der Lichtwellen-Leitungen im TBit/s-Bereich. Für IP-Carrier spielt darüber hinaus die Datensicherheit eine Rolle: Metallkabel sind anfälliger für Lauschangriffe als Glasfaserstrecken.

Jeder IP-Carrier pumpt also die ihm anvertrauten riesigen Datenmengen in Form von Licht bestimmter Wellenlängen durch Glasfaserkabel. Die meist unterirdisch verlegten „Backbone“-Leitungen transportieren IP-Pakete in wenigen Millisekunden über hunderte oder tausende Kilometer.

In der Boom-Phase des Internet 1999 bis 2000 verbuddelten einige Telekommunikationsunternehmen zehntausende Kilometer teures Glasfaserkabel quer durch Europa. Der prognostizierte Hunger nach Bandbreite, so das Analysten-Kalkül damals, würde schon bald eine enorme Nachfrage nach Leitungskapazität erzeugen. Man wollte gerüstet sein, etwa für Application Services, IP-Videotelefonie und TV via Internet.

Die traditionellen TK-Anbieter witterten das große Geschäft und taten sich reihenweise mit IP-Carriern zusammen. Worldcom verleibte sich MCI und UUnet Deutschland ein, der holländische Telefonie-Monopolist KPN gründete mit Qwest das IP-Carrier-Unternehmen KPNQwest. Allein KPNQwest verlegte mehrere extrem leistungsfähige Glasfaserringe mit einer Gesamtlänge von über 25 000 Kilometern durch Europa.

Das weltweite IP-Bandbreitenwachstum in Prozent: Die Carrier investieren offenbar immer weniger in den Ausbau ihrer Infrastruktur.

(Bild: TeleGeography Research, PriMetrica Inc, www.telegeography.com)

Als die New-Economy-Blase schließlich geplatzt war, folgte auch für die Datentransporteure das böse Erwachen. Die neu geschaffenen Kapazitäten lagen brach; das Wachstum nachgefragter Bandbreite blieb weit hinter den Erwartungen zurück. Millioneninvestitionen in Kabel und vor allem teure Technik an den Ein- und Ausgängen der Lichtwellen-Strecken waren im wahrsten Sinne des Wortes in den Sand gesetzt worden [2].

Seit 2001 sinken die Preise für Durchleitung von IP-Paketen jährlich fast um die Hälfte. Traditionsfirmen wie Genuity, die das Internet stark geprägt haben, verschwanden still und leise vom Markt. Bei Worldcom brach eine bis heute andauernde Krise aus, KPNQwest wurde zerschlagen und ein Großteil der Vertriebsmitarbeiter auf die Straße gesetzt. Ein Ende dieser von Börsianern euphemistisch „Marktkonsolidierung“ genannten Ausverkaufsphase ist erst jetzt allmählich in Sicht.

„Mal sehen, ob es uns gelingt, nach dem Höhenflug und dem tiefen Sturz mit der Normalität zurechtzukommen“, sagte Stefan Krüger, Vorstand des deutschen IP-Carriers Lambdanet jüngst auf einer Fachtagung. Seine in Hannover ansässige AG wurde 2004 zu 100 Prozent vom Telefonunternehmen 3U übernommen. Die Glasfaser-Infrastruktur in Spanien und Frankreich kaufte der US-amerikanische Newcomer Cogent, eine Veräußerung des deutschen Netzes konnte man verhindern.

Lambdanet gehört zu den größeren Carriern in Deutschland und musste wie viele seiner Mitbewerber die Strategie ändern, weil mit dem reinen Verkauf von IP-Übertragungskapazität zurzeit kaum Geld zu verdienen ist. Zu seinem Glück erkannte er früh, dass sich die Investitionen in selbst verlegte Glasfaserleitungen nicht lohnen. Das insgesamt etwa 5000 Kilometer lange deutsche Netz betreibt er mit geleasten Fasern.

Angemietet wurden die Lichtwellenleiter „dunkel“ (Dark Fiber), also unbeschaltet, bei Gasline, einem Spin-off einiger Energieversorger. Dieses Unternehmen hat sich darauf spezialisiert, entlang von Strom- und Gastrassen dicke Glasfaserstränge zu legen. Weil man auf diesen Strecken ohnehin die Wegerechte genehmigt bekommen hat, ist der Ausbau billiger und mit relativ wenig bürokratischem Aufwand realisierbar. Praktisch für die TK-Unternehmen: Gasline kümmert sich außerdem um die physische Wartung der Leitungen.

Dunkle Glasfaser gibt es längst nicht nur bei Gasline. Einige Energieversorger sind im Geschäft mit den Lichtwellenstrecken und machen sich dabei ihre bestehende Infrastruktur zunutze. Der in Ostdeutschland stark vertretene schwedische Konzern Vattenfall etwa kam auf die Idee, auf seine Überlandstromleitungen an der deutsch-polnischen Grenze Glasfaserkabelstränge aufzulegen. Und so kommt es, dass ein beträchtlicher Teil des IP-Datenverkehrs von West- nach Osteuropa und zurück über die alten Strommasten im Erzgebirge fließt.

Wenn ein IP-Carrier neue Punkt-zu-Punkt-Strecken benötigt, kann er bei den Dark-Fiber-Versorgern eine einzelne Faser oder auch mehrere anmieten. Der Dark-Fiber-Anbieter verlegt Kabel verschiedener Hersteller. In einem LEAF-Kabel (Large Effective Area Fiber) beispielsweise stehen 144 Fasern zur Verfügung. Mit welcher Kapazität der Carrier die Fasern beschaltet, liegt in seinem Ermessen. Die technische Ausstattung dafür richtet er selbst ein.

Um eine einigermaßen flächendeckende Versorgung mit seinem Backbone-Netz zu gewährleisten, muss ein IP-Carrier zumindest in allen relevanten Großstädten vertreten sein. Dazu betreiben die Unternehmen so genannte Points of Presence (PoP). In diesen Räumlichkeiten schalten sie ihre Punkt-zu-Punkt-Glasfasertrassen zusammen. Von dort aus führen sie außerdem IP-Leitungen zu ihren Kunden. Diese können aus einem kleinen Virtual Private Network (VPN) auf DSL-Kupferbasis bestehen, aber auch aus einer 10-GBit/s-Ringtrasse innerhalb der Stadt zur Anbindung eines großen Rechenzentrums. Lambdanet versorgt beispielsweise Rechenzentren der Webhoster Strato (Karlsruhe) und Intergenia (Düsseldorf).

Außerdem fungieren die IP-Carrier oft auch als Internet Service Provider, indem sie an den PoP noch ein eigenes Rechenzentrum angliedern. Dort bringen sie gegen Gebühr fremde Server unter (Co-Location) oder bieten auch „gemanagte“, also von ihnen gewartete Hardware an. In den PoPs finden überdies noch Router von kleineren lokalen Carriern Platz, die mit dem großen Nachbarn IP-Daten austauschen. Die City-Carrier müssen dafür meist wenig bezahlen. „Uns tut das nicht weh, und wir erhöhen dadurch ja auch die Konnektivität für unsere Kundschaft“, erläutert Andreas Niehaus, Technikchef von Lambdanet. Wenn sich etwa in Hannover der lokale Anbieter htp mit einem Router einquartiert, können dessen Endkunden besser auf Services der Lambdanet-Großkunden zugreifen.

Die PoPs fungieren innerhalb des Netzwerks eines Carriers als Datendrehscheibe. Hier kommen die beleuchteten Fasern aus der Erde. IP-Daten werden umgepackt und je nach Richtung in elektronische oder optische Signale gewandelt. Kernstück dieser Drehkreuze ist Hardware von Austattern für optische Signalübertragung, also beispielsweise von Nortel, Lucent oder Alcatel. Transmitter und optisch-elektrische Wandler (OE-Konverter) machen aus digitalen elektrischen Impulsen Lichtwellen und umgekehrt.

Um mehr Bandbreite aus einer Faser herhauszukitzeln, hat sich das Dense Wavelength Division Multiplexing (DWDM) durchgesetzt. Dabei werden mehrere Signale parallel in den Lichtwellenleiter eingespeist (Multiplex-Verfahren, Mux). Wo das Licht das Kabel wieder verlässt, werden die auf Wellenlängen aufgesplitteten Signale wieder getrennt (Demultiplex, Demux). Mit dieser Methode konnten die IP-Carrier die Kapazitäten ihrer Strecken um ein Vielfaches vergrößern.

Pro Wellenlänge und Faser lassen sich mit heute gängiger Technik Bitraten von 1 GBit/s bis 40 GBit/s erreichen. DWDM macht theoretisch Bandbreiten von weit über 1 TBit/s möglich, die freilich zurzeit niemand braucht.

Lambdanet beispielsweise führt derzeit Kapazitäten von maximal 32 mal 10-GBit/s (unidirektional) auf einer Faser. Auf den „Superrennstrecken wie Düsseldorf-Frankfurt, Düsseldorf-Hannover, Hannover-Berlin“ würde diese Bandbreite tatsächlich nachgefragt, sagt Techniker Niehaus. Vor einem weiteren Ausbau stünden allerdings Optimierungen, um aus der bestehenden Hardware mit weniger Kosten mehr Bandbreite herauszuholen.

Auf dem Weg durch den Lichtwellenleiter wird das Signal schwächer. Etwa alle hundert Kilometer müssen die Carrier auf ihren Strecken das Kabel deshalb aus seinem unterirdischen Bett holen und das Signal auffrischen. Dazu bauen sie Repeaterstationen, die mit optischen Faserverstärkern (Erbium Doped Fiber Amplifer, EDFA) ausgestattet sind. Je nach Bedarf wird bei dieser Gelegenheit am Streckenpunkt noch ein Abzweig eingerichtet, um in der entsprechenden Region Kunden mit IP-Kapazität versorgen zu können oder IP-Daten mit benachbarten Transporteuren auszutauschen.

Die Repeaterstationen kommen meist in Containern unter. Wo etwa ein Gasline-Glasfaserkabel aus dem Boden kommt, frischt jeder Carrier, der darauf Fasern geleast hat, sein eigenes Signal auf. Das führt dazu, dass oft mitten auf der grünen Wiese ganze Containersiedlungen anzutreffen sind.

Für den Transport der Daten in Weitverkehrsnetzen haben sich in den 90er-Jahren bis heute gebräuchliche Standards herausgebildet. Diese Normen helfen Providern, ihre Netze interoperabel zu machen, also für den Anschluss an andere Carrier zu öffnen. Außerdem sorgt ein fester Standard für niedrigere Entwicklungskosten und daher günstigere Preise bei der Hardware.

In nahezu jedem modernen Weitverkehrsnetz kommt als Transporttechnik in Europa die Synchrone Digitale Hierarchie (SDH) und in den USA der fast deckungsgleiche Standard Synchronous Optical Network (SONET) zum Einsatz. Mit einem Zeitmultiplexverfahren werden Nutzdaten (Payloads) in Transport-Container (Synchrone Transport-Module, STM) verpackt und mit einem Header versehen. Jedes Paket hat je nach Streckenbandbreite (STM-Level) eine bestimmte „Byte-Breite“, ist aber stets 125 Nanosekunden „lang“.

SDH gestattet den Verkauf von Kapazitäten je nach eingesetztem STM-Level. Im Angebot stehen beispielsweise STM-1 (155 MBit/s), STM-4 (622 MBit/s), STM-16 (2,5 GBit/s) und STM-64 (10 GBit/s). In den USA bietet der SONET-Standard die gleichen Geschwindigkeitsstufen unter anderen Bezeichnungen: Eine STM-4-Leitung mit der Brutto-Bitrate von 622 MBit/s etwa entspricht in SONET einer OC-12-Verbindung, wobei „OC“ für „Optical Carrier“ steht. STM-16, also 2,5 GBit/s ist das gleiche wie OC-48.

Diese Klassifizierung ist für die IP-Carrier beziehungsweise Provider untereinander wichtig. Inoffiziell teilen sich die Unternehmen in „Tier“-Klassen ein (englisch „tier“ = Stufe, Rang). Als Tier 1 gilt, wer über weite Strecken mindestens STM-16 führt, ein autonomes System mit mindestens nationaler, besser globaler Ausdehnung hat und mit jeder Menge anderer Carrier rege Beziehungen pflegt. Tier-2-Anbieter sind deutlich kleiner, und Tier-3 verfügen über ein lokal beschränktes Glasfasernetz. Diese schwammigen Definitionen lassen den Carriern jede Menge Raum für Streitigkeiten untereinander, nämlich dann, wenn es um die Finanzierung von Austauschknoten geht.

Jeder Backbone-Betreiber verfügt über eines oder mehrere Autonome Systeme (AS). Erfasst und abfragbar sind diese einzelnen Netzwerke in Europa beim RIPE NCC (Réseaux IP Européens Network Coordination Centre). Kunden verlangen natürlich, dass die IP-Daten flott durchs Netz des Unternehmens fließen. Darüber hinaus sollen aber auch alle anderen Netze gut angebunden sein, damit möglichst jeder Punkt im Internet mit wenigen Zwischenstationen und damit schnell erreichbar ist.

Für Carrier ist es daher überlebensnotwendig, möglichst viele Schnittstellen für ein- und ausgehenden Verkehr zur Konkurrenz zu schaffen (Interconnection). Harte Verhandlungen über die Kosten dieser AS-Schnittstellen sind an der Tagesordnung. Je größer das eigene Netz des Carriers (Tier-Kategorie), desto stärker ist seine Verhandlungsposition.

Wendet sich ein Tier 3 etwa mit der Bitte um eine IP-Schnittstelle an einen Tier-1-Carrier, ist die Sache klar: Man schließt einen so genannten IP-Transitvertrag. An einem bestimmten Ort stellen beide Unternehmen Edge-Router (am „Rand“ der Netzwerke) auf, verbinden diese miteinander und legen via Border Gateway Protocol (BGP) fest, welchen Weg die Daten von einem AS zum anderen und umgekehrt nehmen sollen. Der kleine Carrier muss für den Transit durchs Netz des großen bezahlen, weil in aller Regel wesentlich mehr Pakete in Richtung Tier 1 fließen.

Treffen zwei nahezu gleichrangige Carrier aufeinander, findet ein Kräftemessen statt. Ziel ist es zu klären, ob der Datenaustausch kostenneutral, also durch ein privates Peering-Abkommen zu Stande kommen kann. Bei der Analyse einer solchen Situation kommen bisweilen komplexe mathematische Modelle zur Anwendung. Um einige Dinge schon im Vorfeld zu klären, haben die meisten Carrier eine Peering-Policy festgelegt. Dort ist definiert, wann für Mitbewerber die Anfrage für ein Abkommen überhaupt erfolgversprechend sein kann.

Ein klassischer Tier-1-Carrier in Deutschland ist die Deutsche Telekom. Mit ihrem engmaschigen Glasfasernetz, ihren Millionen ADSL-Endkunden im Rücken und ihrer internationalen Ausrichtung tritt nach Berichten kleinerer Unternehmen in Verhandlungen mitunter als patziger Platzhirsch auf. So will die Telekom etwa grundsätzlich mindestens an zwei verhandelbaren Orten Daten tauschen. Die Glasfaserzuführung zu einem Austauschpunkt muss der anfragende Carrier von der Telekom legen lassen - auf eigene Kosten, versteht sich.

Der Betrieb von individuellen Austauschknoten („private peerings“) oder Transitpunkten kostet viel Geld für Hardware und Wartung. Daher haben sich weltweit einige große öffentliche Knoten etabliert. In Europa etwa ist der London Internet Exchange (LINX) größter Anlaufpunkt für die Carrier. An den Knoten können die IP-Transporteure ihre Daten kostenneutral von einem Internet-Netz ins andere umschlagen (Commercial Internet Exchange Point, CIX). Allerdings müssen sie selbst für die Zuführung zum CIX sorgen und meist eine monatliche Unkostenpauschale tragen.

Innerhalb der Länder existieren kleinere Knoten, die eher als Uplink für regionale Carrier dienen. In Deutschland sind das zum Beispiel der INXS in München, der BCIX in Berlin und der HHCIX in Hamburg [3]. Von internationaler Bedeutung ist allerdings nur einer, nämlich der vom Provider-Verband eco betriebene DeCIX in Frankfurt. 141 Carrier und Provider sind dort derzeit angebunden. Das oft so bezeichnete Herz des deutschen Internet pumpt momentan im Durchschnitt etwa 20 GBit/s zwischen den verschiedenen Netzen hin und her, was einer Datenmenge von 2,5 GByte pro Sekunde entspricht. Zu Spitzenlastzeiten kratzt es bereits an der 30-GBit/s-Marke.

Kein Wunder, dass der eco mit dem Ausbau des Knotens kaum nachkommt. Mittlerweile besteht er aus drei Cisco-Switches des Modells Catalyst 6509-NEB-A. Zwei davon stehen beim Colocation-Provider Interxion, der dritte und neueste aus Sicherheitsgründen örtlich separiert im Frankfurter Rechenzentrum von Telecity. Für Carrier spielt es keine Rolle, an welchen der drei Geräte sie sich anschließen lassen, die Switches sind untereinander mit 10-GBit/s-Glasfaserleitungen verbunden.

Jedes der Geräte kostete übrigens mehr als 100 000 Euro. Daher kommt der eco nicht umhin, von den Providern stolze Gebühren zu verlangen. „Die Preise sind aber im internationalen Vergleich moderat und sollen ja nicht dazu dienen, Geld mit dem Betrieb zu verdienen“, erklärt DeCIX-Technikchef Arnold Nipper. Einen 100-MBit/s-Ethernet-Port erhalten Provider für 1000 Euro monatlich plus 500 Euro Anschlussgebühr. Ein weiterer Port wird mit 334 Euro berechnet. Für einen 1-GBit/s-Port müssen die Carrier 1667 Euro pro Monat plus einmalig 1000 Euro bezahlen. Mitglieder des eco-Verbands erhalten reichlich Rabatt, was dem Verein die Kritik einbrachte, mit dem DeCIX auf Mitgliederfang zu gehen.

Die meisten europäischen IP-Routen liegen im Dreieck zwischen den Internet-Hauptstädten London, Paris und Frankfurt.

Der Durchsatz des DeCIX hat sich im Jahr 2004 nahezu verdoppelt. Ein Ende der Fahnenstange sei nicht in Sicht, so Nipper. Allerdings sei zu beobachten, dass aufgrund der ins Bodenlose fallenden IP-Traffic-Preise kleinere Provider zunehmend dazu übergehen, bezahltes Transit bei großen Uplinks einzurichten, anstatt eine teure Zuführungsleitung zum DeCIX zu organisieren.

Auch in Sachen DeCIX spielt die Deutsche Telekom eine Sonderrolle. Bisher hält sie es nicht für nötig, Präsenz am Hauptknoten zu zeigen. Sie öffnet ihr Netz ausschließlich über die erwähnten privaten Peerings und Transitverträge. Branchengerüchten zufolge plant sie aber, eventuell bald einen Port am DeCIX anzumieten.

Das Gesamtvolumen an umhergeschobenen IP-Daten wächst nicht so stark, wie die Steigerung am DeCIX es vermuten lassen könnte. In der aktuellen Ausgabe seines jährlich erscheinenden Reports Global Internet Geography konstatiert das Marktforschungsunternehmen Primetrica ein Wachstum des innereuropäischen IP-Traffic-Volumens um 82 Prozent in 2004. Das ist zwar beachtlich, aber weit weg von der in der Boom-Phase prognostizierten Verdoppelung alle 100 Tage.

Primetrica bat 27 international agierende Carrier zu messen, welche Internet-Applikationen den meisten Traffic verursachen. Normalerweise wird an den Core-Routern der Unternehmen höchstens auf Vermittlungsebene (OSI-Layer 3) mitprotokolliert, die Protokollschichten darüber, also auch die Applikationsschicht (Layer 7) sind wesentlich aufwendiger zu erfassen. Die 27 Provider führten daher nur kurze Stichproben durch.

Demnach machte mit 45 Prozent Web-Traffic (http) den Löwenanteil aus. Immerhin 24 Prozent des gesamten Datenverkehrs wurde laut Prometrica 2004 von P2P-Tauschbörsen-Clients verursacht. E-Mail kam auf zwölf Prozent. Die vielbeschworenen, bandbreitenhungrigen Streaming-Audio- und Video-Protokolle kamen auf gerade mal sieben Prozent. Auch Voice-over-IP-Traffic machte nur sieben Prozent aus.

War 2003 die Internet-Gesamtbandbreite weltweit noch um 78 Prozent gewachsen, stieg sie 2004 nur noch um 46 Prozent. Spitzenreiter war der asiatische Kontinent mit 78 Prozent. Primetrica analysierte parallel die Preisentwicklung beim IP-Transit. Demnach fielen die Preise etwa für einen STM-1-Link in europäischen Großstädten 2004 um 49 Prozent, in den USA sogar noch stärker.

Mit dem Verkauf von Bandbreite sei derzeit kein Geld zu verdienen, lamentieren die Carrier fast unisono. Viele geplante Kapazitätserweiterungen für IP-Strecken liegen vorerst auf Eis, bis, so die Hoffnung, eine steigende Nachfrage die Preise wieder nach oben treibt.

Hinzu kommt, dass einzelne Unternehmen mit Kampfpreisen ausscheren. Der 1999 gegründete IP-Carrier Cogent beispielsweise stieg mit der Übernahme der US-amerikanischen Unternehmen PSInet dick ins Geschäft ein und sorgt gerade auch in Europa für Aufsehen, weil er sich mitten in der Krise kräftig in den hiesigen Markt einkauft. Die erwähnte Übernahme der südwesteuropäischen Lambdanet-Fasern war laut CEO Dave Schaeffer erst der Anfang. Im März 2004 verleibte man sich hierzulande das Netz von Carrier1 ein, im September folgte der Aufkauf des deutschen Traditions-ISP Global Access.

Cogent steht als Gegenmodell für die Geschäftspraxis der meisten Carrier, die gleichzeitig Service Provider sind. Das Unternehmen stellt auf seinem aus vielen Zukäufen zusammengeflickten AS-Netzwerk lediglich puren IP-Transit zur Verfügung. Kaum Geld investiert man in eine feinmaschige Vertriebsstruktur, Service und eine breite Produktpalette.

Dafür wartet Cogent mit absoluten Discount-Preisen und einem Glasfasernetz von zurzeit 49 000 Kilometern Länge auf, frohlockt Firmenchef Schaeffer. Der Mitbewerb beobachtet diesen steilen Aufstieg mit Argwohn. Da Cogent die Preise kaputtmache, erwögen einige Tier-1-Konkurrenten, aus Boykott Peering-Verträge zurückzuziehen, munkelt man in der Branche.

Weil die Marge wegbricht, ist man außerdem verzweifelt auf der Suche nach neuen Geschäftsfeldern. Die Bereitstellung von fix und fertig konfigurierten MPLS-Netzen (Multiprotocol Label Switching) für Unternehmen ist ein Beispiel. Den Kunden wird angeboten, innerhalb des Carrier-AS beliebige Dienste mit einer garantierten Bandbreite (Quality-of-Service) durchzuleiten. So können sie etwa Filialen mit VPN-Anbindung und Voice-over-IP ausstatten.

„Alles Unfug“, behauptete Dave Schaeffer im Gespräch mit c't. Solche Produkte würden Manpower und damit Geld kosten. Seine Kunden würden lediglich Bandbreite satt zu Aldi-Preisen benötigen. Die Ambitionen des Mitbewerbs kommentierte er mit einem süffisanten Lächeln: „Für uns ist das gut, so könnten demnächst wieder ein paar Übernahmenkandidaten mehr verfügbar sein.“

Für die Endkunden hat der Preis- und Verdrängungswettbewerb zunächst den Vorteil ständig fallender Preise sowohl im Zugangs- als auch um Hosting-Bereich. Der Konzentrationsprozess könnte aber längerfristig zum Problem werden: Teilen sich nur sehr wenige Anbieter den Markt, steigt die Wahrscheinlichkeit für Preisabsprachen. Außerdem läuft es der dezentralen Organisationsstruktur des Internet entgegen, wenn der IP-Traffic nur durch wenige dicke Leitungen läuft. Schaltet einer der Carrier sein Netz ab, kann das dann erhebliche Auswirkungen für den gesamten Datenverkehr mit sich bringen, wie das Beispiel KPNQwest bereits ansatzweise zeigte [4].

[1] Roland Kiefer, Peter Winterling, Optische Netze, Technik, Trends und Perspektiven, c't 2/03, S. 152

[2] Holger Bleich, Jürgen Kuri, Petra Vogt, Zwischen Boom und Baustopp, Schweinezyklus beim Ausbau der Internet-Backbones, c't 21/03, S. 184

[3] Irene Heinen, Daten-Disponenten, Neue Internet-Knoten verkürzen Wegstrecken auf dem Daten-Highway, c't 25/03, S. 92

[4] Holger Bleich, Was aus der Boom-Zeit übrig blieb, c't 13/02, S. 22 (hob)