Knirschen im Internet-Gebälk

Die Bereitschaft der großen Backbone-Betreiber, ihre Netze zusammenzuknüpfen, ist einer der Grundpfeiler des Internet. Der harte Preiskampf führt aber dazu, dass Abkommen über kostenneutrale IP-Traffic-Durchleitungen neu geprüft werden. Ergebnis könnte sein, dass einige private Knoten wegfallen und das Internet instabiler wird.

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Von
  • Monika Ermert
Inhaltsverzeichnis

Einige Groß-Carrier wollen nicht mehr hinnehmen, ihre Netze ohne Berechnung des Traffic-Austauschs mit Backbones der Konkurrenz zusammenzuschalten (privates Peering). Bislang galt stets: Wenn zwei Carrier einigermaßen gleich groß sind, können sie einen Austauschpunkt einrichten und dort IP-Daten der Kunden gegenseitig kostenneutral durch das jeweils andere Netz leiten. Die Kunden der Carrier profitieren von kürzeren Latenzzeiten, das Internet als Ganzes von einer feinmaschigen und damit pannensicheren Topologie.

Die lange zelebrierte Einigkeit ist offensichtlich passé, der Markt wird knallhart. Große Tier-2-Provider wie die Deutsche Telekom trennen schon seit einiger Zeit sukzessive ihre Backbones (Depeering) von der vermeintlich kleineren Konkurrenz. Jetzt gibt es auch zwischen den Tier-1-Carriern, also jenen wenigen Global Playern, die ohne Fremdhilfe Zugang zum gesamten Internet bieten können, Krach.

Als „dunkle Künste“ bezeichnen selbst technisch Eingeweihte die Gratwanderung von (kostenlosem) Peering und (bezahltem) IP-Transit. Grundsätzlich fließt beim privaten Peering zwischen zwei Carriern zwar kein Geld. Kommt die Balance zwischen den beiden Partnern aber abhanden, sind Probleme vorprogrammiert. Wenn nämlich die Partner in Zahl und Art der Kunden oder aufgrund der Netzinfrastruktur auseinanderdriften, sinkt beim größeren Partner das Interesse am Peering. Er will für den angenommenen Datenverkehr eine monetäre Gegenleistung, was auf ein Transitabkommen hinausläuft.

Jüngstes Beispiel ist der Streit zwischen den beiden Groß-Carriern Level 3 und Cogent. Als Level 3 festgestellt hatte, das Cogent wesentlich weniger IP-Traffic entgegennimmt als ins Level-3-Netz zur Durchleitung zu pumpen, kappte Level 3 nach Vorankündigung die Cogent-Routen ins eigene Netz. Die Kunden wussten von alledem nichts, konnten aber plötzlich Gegenstellen im Netz des jeweils anderen Streithahns nicht mehr erreichen.

Laut Stephan Gottschalk, Leiter des Network-Management-Center beim virtuellen Provider Vanco, hat Level 3 dabei sogar über andere Peers ankommenden Datenverkehr von Cogent ausgefiltert. Kunden, die jeweils nur bei einem der beiden Kampfhähne Upstream einkaufen, konnten die Kunden des anderen nicht mehr erreichen. Bei Vanco wurde die Cogent-Leitung daher rasch ersetzt. Gottschalks Meinung zu der Aktion: „Das ist nicht gerade das, was man unter einem guten Service für die Kunden versteht.“

„Wenn Cogent die eigenen Kunden nicht darauf vorbereitet hat, ist das Cogents Problem,“ sagte Level-3-Sprecherin Jennifer Daumler. Level 3 bestehe auf einem finanziellen Ausgleich wegen des Ungleichgewichts beim Peering mit Cogent. Im Klartext: Cogent soll Transit einkaufen. Dort steht man dagegen auf dem Standpunkt, es existiere ein nach wie vor geltendes Peering-Abkommen. Level 3 habe sich mit dem Depeering vor allem selbst geschadet, meint Cogent-Sprecher Jeff Henriksen: „Unsere Kunden sind in der Mehrzahl ohnehin multihomed“, also an mehrere Carrier angebunden.

Tatsächlich stecken wohl eher strategische Entscheidungen hinter diesem Depeering. Es ist schließlich nicht das erste, mit dem Cogent abgestraft wurde. Im Sommer hatte der französische IP-Carrier France Telecom Cogent ebenfalls von den Routen abgeschnitten. Prinzipiell spielen Level 3 und Cogent in derselben Liga. Der Unterschied zwischen ihnen rührt aus den Unternehmensgeschichten: Cogent hat sein Netz nach der Internet-Boomphase billig eingekauft und unterbietet nun die Tier-1-Mitbewerber ohne Rücksicht auf Verluste. Aggressives Marketing nennen es die Höflicheren. Von „Schweinepreisen“ sprechen die weniger Zurückhaltenden.

Der Preisverfall für den Einkauf von IP-Traffic ist beträchtlich. In Einzelfällen kommen Provider bereits für acht Euro pro MBit/s und Monat an Carrier-Leitungen - Traffic inklusive. Offiziell verlangt etwa Cogent monatlich zehn Euro pro MBit/s, bleibt aber offen für eine andere Vertragsgestaltung. Bei den klassischen Tier-1-Anbietern wie Level 3 kann der MBit/s-Preis pro Monat im Bereich von 50 Euro liegen. Wer beispielsweise heute in Frankfurt Datenverkehr loswerden will, so erklärte ein ISP, ruft Cogent, Telia, Lambdanet oder andere Carrier nacheinander an und spielt sie gegeneinander aus.

Traffic-Preise im Sinkflug führen bei den Carriern zu ganz neuen Überlegungen. Auch beim im laufenden Betrieb kostenfreien IP-Peering müssen erhebliche Ausgaben für die Zugangsleitung (Local Loop), Router, Rack, Port und Wartung im Austauschpunkt eingerechnet werden. Da kann es durchaus billiger sein, bei einem Bandbreiten-Discounter wie Cogent eine Upstream-Leitung anzumieten. Die Folge könnte sein, dass eine neue Top-Down-Hierarchie entsteht, die das Internet verwundbarer macht.

Auch der Datenaustausch an regionalen Internet Exchanges (IX) wie dem DE-CIX in Frankfurt kann im Vergleich zu den Transitangeboten teuer sein, sagt Andre Scholz, Geschäftsführer des ISP Interscholz in Leonberg. Dies sei insbesondere der Fall, wenn man als Provider den Datenverkehr auch regional immer billiger loswerden könne, aber mit den großen Carriern wie der Telekom (DTAG) extra verhandeln müsse. Die DTAG, die derzeit noch rund 50 Peering-Partner hat, ist am DE-CIX nicht einmal vertreten.

So geht es durch den scharfen Preiskampf nicht nur den alt eingesessenen Groß-Carriern an den Kragen, auch die nicht kommerziell betriebenen öffentlichen Austauschknoten müssen sich der Konkurrenz stellen. Kritiker der großen Carrier hoffen andererseits, dass das Non-for-profit-Modell von den Machtkämpfen der Kommerziellen profitiert.

Auf der Mailing-Liste der North American Operators Group (NANOG) wurde sogar der Eingriff von Reguliererseite in den Peering-Markt ernsthaft diskutiert. Regierungen sollen als Garanten dafür dienen, dass Backbone-Betreiber nicht wegen kommerziellen Auseinandersetzungen plötzlich ihre Kunden im Regen stehen lassen und die Stabilität des Internet gefährden.

Am neunten November läuft die Frist aus, die Level 3 Cogent gesetzt hat, um sich der Forderung nach Transit-Zahlungen zu beugen. Danach will Level 3 die Routen zu Cogent endgültig abschalten. Während Level 3 sich erst einmal bedeckt halten wollte, gab sich Cogents Chief Operations Officer (COO) Reed Harrison im Gespräch mit c't gelassen - ganz nach dem Motto, wer in diesem Machtpoker zwinkert, hat verloren.

c't: Müssen Cogent-Kunden sich auf ein neuerliches Depeering einstellen?

Harrison: Level 3 hat ja angekündigt, dass sie erneut diskonnektieren, wenn wir nicht zu einer Einigung kommen. Wir sind derzeit in Verhandlungen und für unseren Teil optimistisch, dass wir zu einem guten Ergebnis kommen.

c't: Wie viele Ihrer Kunden haben angekündigt, Rechnungen für die Ausfallzeit im Oktober nicht zu bezahlen?

Harrison: Einige Kunden haben angefragt, ob sie Gutschriften erhalten können. Aber für diesen Fall gibt es keine.

c't: Welche Lösung mit Level 3 ist denn denkbar, wie wäre es mit bezahltem Peering?

Harrison: Cogents Politik ist es, kostenlos mit anderen Internet-Providern zu peeren. Wir bezahlen nicht für das Peering und haben selbst eine sehr offene Peering-Politik. Da unterscheiden wir auch nicht so sehr nach Tier 1 oder Tier 2, das sind ohnehin sehr dehnbare Bezeichnungen.

c't: Level 3 sagt, es bestehe ein Ungleichgewicht zwischen den Netzen und man habe zu viele Daten von Ihrer Seite durchzuleiten.

Harrison: Bislang war Level 3 allerdings im Gegenteil sehr daran interessiert, so viel wie möglich Verkehr zu erhalten. Anders als wir rechnen sie nämlich nach Nutzungsvolumen ab. Wir selbst sind daran, unsere Peering-Kapazität zu erhöhen und uns wurde bedeutet, wir sollten die Preise erhöhen. Aber unser Modell basiert darauf, dass die Preise für Konnektivität weiter sinken werden.

c't: Kann man dann als Carrier überhaupt noch Geld verdienen?

Harrison: Das hängt vom jeweiligen Unternehmen ab, würde ich sagen. Cogent hat die Strategie, der Preisführer zu sein. Das funktioniert, weil wir uns auf das Produkt Internetzugang konzentrieren. Ein Vorteil ist sicher auch, dass wir Equipment, für das andere mal vier Milliarden US-Dollar bezahlt haben, für einen Bruchteil gekauft haben. Wir sind praktisch Nutznießer des Misserfolgs von anderen. (hob)