Die Grenzen des Erlaubten

Die groß angelegten Kampagnen der Unterhaltungsindustrie bewirken statt Rechtssicherheit eher das Gegenteil. Welche Formen der Mediennutzung sind heute überhaupt noch erlaubt? Wo genau liegt die Grenze zur Illegalität? Und was soll man tun, wenn man sich plötzlich auf der falschen Seite des Gesetzes wiederfindet?

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Gerald Himmelein
  • Joerg Heidrich
Inhaltsverzeichnis

Seit Jahren fährt die Unterhaltungsindustrie aggressive Kampagnen gegen vermeintliche illegale Kopien. „Copy Kills Music“, „Nur Original ist legal“, „Raubkopierer sind Verbrecher“ - im Laufe der Zeit ist der Eindruck entstanden, das Kopieren von Musik oder Filmen sei generell verboten. Die Unterhaltungsindustrie zeigt wenig Interesse, diesen Eindruck zu minimieren: Abschreckung statt Aufklärung heißt die Devise (mehr dazu im Kasten „Kampagne gegen die Wirklichkeit“).

Höchste Zeit, das Rechtsempfinden wieder gerade zu rücken - allerdings ist das nicht so einfach. Nicht erst seit der Novelle vom 23. September 2003 ist das Urheberrecht ein Minenfeld.

Einige der Informationen auf den folgenden Seiten fanden sich in anderer Form bereits in vergangenen Ausgaben von c't wieder. Für diesen Artikel haben wir in den strittigen Bereichen vier deutsche Rechtsanwälte befragt, für die Urheberrechtsfragen ihr täglich Brot ist. Stellungnahmen erhielten wir von den Anwälten Dr. Marco Gercke aus Köln (Kanzlei Gercke), Dr. Till Jaeger aus München (JBB Rechtsanwälte), Jörg F. Smid aus Hamburg (Damm & Mann Anwaltssozietät) sowie Michael Terhaag aus Düsseldorf (Withöft & Terhaag).

Nur juristische Laien werden sich wundern, dass sich deren Ansichten darüber, was Recht ist, bisweilen diametral gegenüberstehen. Selbst Rechtsprofis lästern gern: „Zwei Anwälte, drei Meinungen.“ Die Diskrepanzen ergeben sich daraus, dass viele Formulierungen aus dem novellierten Urheberrecht immer noch auf eine endgültige Definition durch ranghohe Richter warten; entsprechend großer Spielraum bleibt zur Interpretation. Wer nun meint, dass der Gesetzgeber Bockmist fabriziert hat, als er ein jeden Bürger betreffendes Gesetz so unklar formulierte, dem kann man nicht widersprechen.

Wer von Recht spricht, meint damit meist einen Anspruch auf etwas. Das oft beschworene „Recht auf Privatkopie“ steht in keinem Gesetz. Privatkopien werden bestenfalls geduldet, eine Ermächtigung fehlt jedoch. In welchen Grenzen diese Duldung bei Audio, Video und Text stattfindet, definiert der § 53 des Urheberrechtsgesetzes, kurz UrhG - Details dazu im Kasten „Privatkopien nach UrhG“.

Die Erlaubnis der Privatkopie geht darauf zurück, dass die Autoren des Urheberrechts eine Kriminalisierung von privaten Kopierern verhindern wollten. Zur Entschädigung der Rechtsinhaber sieht das Gesetz Verwertungsgesellschaften vor. Für Tonträger ist etwa die GEMA zuständig (Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte), für Texte die VG Wort.

Die Verwertungsgesellschaften kassieren Pauschalgebühren für Geräte, mit denen sich analoge oder digitale Kopien anfertigen lassen. Diese werden dann nach Ausschüttungsschlüsseln an die Urheber weitergegeben. Derartige Pauschalen können jedoch keine zehntausendfachen Kopien ausgleichen.

Für die Unterhaltungsindustrie ist das PC-Zeitalter deshalb ein so großes Problem, weil digitale Kopien auch nach der siebten Vervielfältigung keinen Unterschied zum Original aufweisen müssen. Selbst wenn Qualitätsverluste auftreten, fallen diese bedeutend geringer aus als bei der siebten Generation einer analogen Tonbandaufnahme.

Grundsätzlich darf ein Anwender von jeder legal erworbenen CD, Musikkassette oder Schallplatte eine Kopie zum Eigengebrauch herstellen. Nach einem Gerichtsurteil des Bundesgerichtshofs von 1978 geht die Rechtsliteratur davon aus, dass fünf bis sieben Kopien okay sind. Das Urheberrechtsgesetz setzt selbst keine Obergrenze. Diese Kopien dürfen auch an unmittelbare Freunde und Familienmitglieder weitergegeben werden, da dies keine Verbreitung darstellt. Wer mehr Exemplare kopiert, Kopien verkauft oder Kopien an Unbekannte verschenkt, verlässt damit den legalen Bereich. Hier wird schon ein „Kostenersatz“ als Verkauf interpretiert.

Ob die Kopie analog oder digital erfolgt, ist zunächst egal. Da die Duplikate von einem Original stammen, dürfen sogar beschenkte Freunde ihrerseits wieder sieben Kopien anfertigen. Rein theoretisch kann sich daraus eine Verästelung in unzählige legale Duplikate ergeben, die alle von einem Original abstammen. Die Unterhaltungsindustrie beschwört diese Schreckensvision auch gerne. Ihr Ziel ist eine Gesetzesänderung, dass künftig nur noch Kopien von Originalen zulässig sein sollen. Praxisnah ist eine solche Befürchtung wohl nicht.

Prinzipiell spricht nichts dagegen, eine geborgte Audio-CD zu kopieren, sofern dieser Tonträger legal ist. Selbst ein aus der Bibliothek geliehener Silberling darf daheim legal kopiert werden.

Eine Ausnahme stellen kopiergeschützte Musik-CDs dar: Ist deren Kopiersperre „wirksam“, so darf sie vom Anwender nicht umgangen werden - auch nicht zum Grabben ins MP3-Format für den tragbaren Musik-Player. Was „Wirksamkeit“ konkret bedeutet, ist aber noch weitgehend offen. Das Urhebergesetz formuliert diesen Aspekt extrem unscharf (siehe Kasten „Kopiersperren nach UrhG“).

Mehr als zwei Jahre nach der Verabschiedung der Urheberrechtsnovelle fehlen immer noch Gerichtsentscheidungen darüber, was eine „wirksame“ technische Maßnahme darstellt.

Der beliebte Audio-Grabber „Exact Audio Copy“ (EAC) bietet eine Option, bei Audio-CDs die „ursprüngliche TOC“ zu ermitteln. Viele Kopiersperren für Musik-CDs bauen auf einem absichtlich verfälschten zweiten Inhaltsverzeichnis auf. Mit diesem Befehl weist der Anwender jedoch EAC an, das korrekte Inhaltsverzeichnis einzulesen. Legal oder illegal? Die befragten Anwälte waren sich uneins. Zwei argumentierten, ein Kopierschutz sei wirksam, wenn die Umgehung zusätzliche Werkzeuge benötige. EAC verstoße somit gegen das Urheberrecht. Die anderen beiden zweifelten daran, dass schon ein ungültiges Inhaltsverzeichnis auf der CD eine wirksame Kopiersperre darstellt. Dr. Till Jaeger: „Die Software fällt lediglich auf einen Trick nicht herein.“ Würde man falsche Angaben im CD-Inhaltsverzeichnis bereits als wirksame Maßnahme auslegen, müssten letztlich alle CD-Player als urheberrechtsverletzende „Vorrichtungen“ angesehen werden.

Hinzu kommt, dass dieser eine Befehl bei EAC nicht den wesentlichen Teil des Funktionsumfangs ausmacht. Aus dem gleichen Grund dürfen auch CD/DVD-Laufwerke verkauft werden, die beim Einlesen alle Audio-Kopiersperren ignorieren. Nur bewerben dürfen Hersteller diese Eigenschaft nicht.

Bei den meisten CD-Audio-Kopiersperren ist die Manipulation des Inhaltsverzeichnisses nur der Anfang. Da werden Audiodaten als Daten-Tracks markiert und Fehlerkorrekturwerte manipuliert, auf dass auch dem letzten Brenner schwindelig werde. Einige Un-CDs sind derart verkorkst, dass sich selbst Auto-CD-Spieler, teure DVD-Player und billige Heimstereoanlagen daran verschlucken. Wenn sich der Kopierschutz als Wiedergabesperre manifestiert, liegt die Suche nach alternativen Methoden zur Audio-Extraktion nahe. Darf man eine kopiergeschützte CD am CD-Spieler abspielen und das Ergebnis über ein analoges oder digitales Kabel am PC aufnehmen?

Eine analoge Aufnahme wurde allgemein gebilligt; bei der digitalen Aufnahme zeigten sich die Juristen etwas vorsichtiger: „Auch hier wird man wohl sagen müssen, dass die Kopiersperre im normalen Betrieb durchaus ihre Wirkung entfaltet“, meint Michael Terhaag. Demnach wäre der Schutz wirksam und die Aufnahme per SPDIF eine Umgehung. Aber: „Hier ließe sich im Einzelfall durchaus auch anders argumentieren.“ Für Dr. Marco Gercke ist die Sache dagegen eindeutig: „Das Abspielen selbst kann keine Umgehung des Kopierschutzes darstellen.“

Aufnahmen aus dem Radio sind ebenso erlaubt, selbst wenn die Sender digital sind oder im Internet per Streaming gesendet werden. Die zahlreichen Programme zur digitalen Aufnahme von Internet-Streams am Markt sind also völlig legitim. Ausschlaggebend ist stets, ob eine Kopiersperre im Weg steht. Ob diese beim konkreten Gerät des Anwenders greift, ist dabei sekundär. Nur weil die Spielekonsole Xbox 360 die meisten kopiergeschützten Musik-CDs ohne Murren wiedergibt, legalisiert dies noch lange keine Kopie.

Zum Glück der Anwender geht die Verwendung von Audio-Kopiersperren bei Musik-CDs seit einigen Monaten spürbar zurück. Zum Redaktionsschluss waren nur vier Alben aus den Top 20 der Hitparade kopiergeschützt. Von den Top-10-Samplern enthielt kein einziger eine Sperre. Vor zwei Jahren sah es dagegen umgekehrt aus, da erschien keine Bravo-Hits-CD mehr ohne Cactus Data Shield. Ob die aktuelle Tendenz von Bestand bleiben soll, möchten die Platten-Labels aber nicht verraten.

Das deutsche Urheberrecht sieht „Vervielfältigungen zum privaten und sonstigen eigenen Gebrauch“ von rechtlich geschützten Inhalten vor. Vorausgesetzt, dass das Quellmedium keine „offensichtlich rechtswidrige Vorlage“ ist, erlaubt § 53 des Urheberrechtsgesetzes nach der Novelle vom 10. 9. 2003 unter folgenden Einschränkungen „einzelne Vervielfältigungsstücke“:

  • zum eigenen wissenschaftlichen Gebrauch
  • zur Aufnahme in ein eigenes Archiv bei Besitz der Vorlage, sofern
    • die Vervielfältigung fotomechanisch oder nach einem „Verfahren mit ähnlicher Wirkung“ stattfindet oder
    • die Aufnahme analog genutzt wird oder
    • das Archiv nicht wirtschaftlich genutzt wird.
      Von besonderer Bedeutung ist hier das „oder“ - demnach muss mindestens eines dieser Kriterien erfüllt sein. Das Gesetz verlangt aber nicht, dass sämtliche Kriterien zutreffen.
    • zur „Unterrichtung über Tagesfragen“ bei Funksendungen
    • zum „sonstigen eigenen Gebrauch“ kleiner publizierter Auszüge oder Werke, die seit mindestens zwei Jahren vergriffen sind.
  • Weiterhin gestattet das Urheberrecht die Vervielfältigung von Auszügen geschützter Werke für Schulzwecke und Prüfungen.
    • Auszüge aus digitalen Datenbanken sind von den meisten Kopiergenehmigungen ausgeschlossen, sofern sie nicht zu wissenschaftlichen Zwecken eingesetzt werden sollen.
    • Private Vervielfältigungen dürfen weder unkontrolliert weitergegeben (verbreitet) noch öffentlich wiedergegeben werden.
  • Nur mit Erlaubnis des Rechtsinhabers zulässig sind:
    • Aufnahmen öffentlicher Aufführungen, einschließlich Film- und Tonvorführungen
    • das Anfertigen „graphischer Aufzeichnungen“ von Musikwerken oder eine vollständige Vervielfältigung von Büchern oder Zeitschriften

Weiter eingeschränkt wird die Privatkopie durch § 95 - Details siehe Kasten „Kopiersperren nach UrhG“.

[1] Dr. Kerstin Bäcker, Dr. Matthias Lausen, Musik-Downloads in der Grauzone, Legalitäts-Check: Allofmp3 und Weblisten

[2] Holger Bleich, Massenstrafanzeigen gegen P2P-Nutzer: Bagatellregelung durch die Hintertür

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