Spielregeln für die vernetzte Wissenschaft

Eine Studie zu „Märkten der virtualisierten Wissenschaft“ fordert, die Bedingungen für die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen, die mit öffentlichen Geldern finanziert wurden, zu klären. Die Förderung der vernetzten und virtuellen Wissenschaft erfordere zudem öffentliche Investitionen.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Christiane Schulzki-Haddouti
Inhaltsverzeichnis

Open Access, der freie Zugang zu Forschungsergebnissen [1], und die Förderung der Infrastrukturen für eine vernetzte, virtualisierte Wissenschaft sind die beiden zentralen Themen, die eine Studie der Denkfabrik Rand Europa der Bundesregierung ans Herz legt. Die Studie mit dem Titel „Markets of Virtual Science“, die im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung erstellt wurde, untersuchte, welche ökonomischen und politischen Folgen die Virtualisierung der Wissenschaft haben könnte, bei der Wissenschaftler in vernetzten IT-Infrastrukturen über Instituts- und Landesgrenzen hinweg zusammenarbeiten.

Als Ergebnis der Studie wird betont, dass das geistige Eigentum zunehmend als Produktionsfaktor der Wissensgesellschaft an Bedeutung gewinnen wird. Doch paradoxerweise stiegen die Kosten des Wissenszugangs durch die Preispolitik der Verlage. Open Access als alternative Form des Wissenszugangs und der wissenschaftlichen Produktion, die freie Publikation wissenschaftlicher Ergebnisse im Internet biete, werde an Bedeutung gewinnen.

Die Wissenschaftler, die die Rand-Studie erstellt haben, sehen eindeutig die Regierung in der Pflicht, wenn es darum geht, Ergebnisse von Forschungen, die mit öffentlichen Geldern finanziert wurden, allgemein verfügbar zu machen. Sie müsse entweder die Bedingungen für die Publikation der Forschungsergebnisse mit wissenschaftlichen Verlagen aushandeln oder von den Wissenschaftlern fordern, ihre Arbeit auch in frei zugänglichen Zeitschriften zu veröffentlichen.

Die Studie kritisiert, dass sich die anfallenden Kosten von Wissenschaft und ihrer Infrastruktur bislang kaum von außen überprüfen ließen. Auch seien die derzeit praktizierten Geschäftsmodelle für wissenschaftliche Dienstleistungen nicht dauerhaft tragfähig und entsprächen nicht den realen Kostenstrukturen. Deshalb müssten die Produktionskosten bei vernetzten wissenschaftlichen Kooperationen und die Kosten von wissenschaftlicher Publikationen neu bewertet werden. Die Studie emfiehlt daher, bei der Finanzierung öffentlicher Forschung ein gesondertes Budget für die Kosten von Veröffentlichungen auszuweisen.

Weitere Empfehlungen für eine nachhaltige Virtualisierung der Wissenschaft gehen aber weit über die aktuelle Urheberrechtsdebatte und die Diskussion um Open Access hinaus. Das „System Wissenschaft“ in einer zunehmend virtualisierten Umgebung wird künftig „vermutlich komplizierter und schwieriger zu handhaben sein“, zieht die Rand-Studie Bilanz. Bestimmte wissenschaftliche Arbeiten werden jedoch deutliche Fortschritte hinsichtlich Effizienz und Effektivität erzielen. Grundsätzlich verändere die Virtualisierung die Kostenstruktur der Wissenschaft und macht Anfangsinvestitionen in Infrastruktur und unterstützende Technologien erforderlich. Es entstünden neue wissenschaftliche Methoden, Produkte, Verteilungskanäle sowie Netzwerke für die Zusammenarbeit und wissenschaftliche Konkurrenten.

Vernetzte, virtualisierte Wissenschaft kann die Forscher dazu zwingen, mehr als Unternehmer zu denken, unabhängig davon, ob eine Kommerzialisierung im Spiel ist oder nicht, meint man bei Rand. Da sich mit der Virtualisierung und Vernetzung der Wissenschaft die Struktur und das Niveau der Kosten sowie die Gelegenheiten für einen breiteren und einfacheren Zugriff ändern, werde sich dies auch auf die Art der Teilnehmer, den Grad und die Organisation der Zusammenarbeit sowie die strategische Richtung der Wissenschaft etwa in Richtung angewandter Forschung auswirken. Bislang sind Änderungen am deutlichsten in den Disziplinen zu beobachten, in denen große Mengen komplexer Rechenarbeit und eine hohe Speicherkapazität erforderlich sind (vor allem Klimaforschung, Astrophysik, Teilchenphysik, Biomedizin): Beispielsweise können Forscher ohne direkten Zugriff auf große Forschungseinrichtungen über GRID-Netzwerke gleichberechtigt an den Forschungen und Berechnungen teilnehmen.

Eindeutig empfehlen die Rand-Experten, dass die Forschungspolitik die Vernetzung der Wissenschaft fördern und ihre Auswirkungen unterstützen solle. Der Aufbau der Infrastruktur für die virtualisierte Wissenschaft, vor allem der Netzwerke der nächsten Generation, könne aber nicht allein dem Markt überlassen bleiben. Es liege im öffentlichen Interesse, ein dichtes wissenschaftliches Netzwerk zu schaffen, das die Ressourcen in ganz Deutschland verknüpft, den Wissenschaftlern die modernsten Einrichtungen bietet und die Wissenschaft mit Industrie und Regierung verbindet. Und die Studie betont, unabhängig von virtueller Wissenschaft, Open Access, unternehmerischen Forscherdenken und Förderung vernetzter Infrastrukturen, die Verantwortung der Politik für die Grundlagenforschung: Durch öffentliche Finanzierungsmechanismen sei sicherzustellen, dass die Vertragsforschung für die Industrie nicht die „von der Neugier angetriebene“ Grundlagenforschung verdrängt.

[1] Richard Sietmann, Über die Ketten der Wissensgesellschaft, Der Kulturkampf über den Zugang zu wissenschaftlichen Veröffentlichungen verschärft sich, c't 12/06, S. 190 (jk)