Gestählter Goliath

Mit den AMD64-Prozessoren hat AMD den Marktführer Intel empfindlich getroffen, vor allem im Bereich der Server und Desktop-Rechner. Die Core-Mikroarchitektur soll dem früheren Champion neue Schlagkraft verschaffen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 38 Kommentare lesen
Lesezeit: 12 Min.
Von
  • Christof Windeck

Ende Juni feierte Intels neue „Core“-Mikroarchitektur mit dem Woodcrest-Doppelkern eindrucksvoll Premiere: Fünfeinhalb Jahre nach Einführung des ersten Pentium 4 ist damit das Aussterben von dessen NetBurst-Architektur besiegelt. Dieses Prozessorenkonzept war auf extrem hohe Taktfrequenzen ausgelegt, erwies sich aber als Irrweg: Schon die 4-GHz-Grenze wurde nicht offiziell geknackt, weil erst Prozessoren mit mindestens 130 Watt Leistungsaufnahme dermaßen schnell schalten können. War 2003 auf Intels Entwicklerkongress IDF noch von 9- und 10-GHz-Prozessoren die Rede, so kam bereits ein Jahr später die Kehrtwende: Statt gigantischer Frequenzen schreibt sich Intel seither hohe Effizienz und Mehrkerntechnik auf die Fahnen.

Die Kehrtwende hat Intel nicht aus freien Stücken vollzogen, sondern wegen kontinuierlich fallender Marktanteile der Prozessoren für Server und Desktop-Rechner. Mit seinen schnellen und vergleichsweise sparsamen Opterons und Athlons hat sich AMD drei Jahre lang stetig vorgearbeitet. Obwohl Intel immer noch rund 80 Prozent Marktanteil hält und pro Quartal mehr als eine Milliarde US-Dollar Nettoerlös einfährt, sind die Intel-Aktionäre nervös geworden - der Börsenkurs sackt ab.

Intel musste deshalb dringend gegensteuern, konnte aber keine neue Prozessor-Mikroarchitektur aus dem Hut ziehen. Man griff stattdessen auf die in der israelischen Niederlassung entwickelten Mobilprozessoren zurück. Schon der Anfang 2003 eingeführte Pentium M war einer der effizientesten x86-Prozessoren - also eine CPU, die besonders viel Rechenleistung im Verhältnis zu ihrem Energiebedarf liefert. Der Pentium M startete mit 130-Nanometer-Strukturen als Banias, schrumpfte zum Dothan mit 90-nm-Innenleben und erschien schließlich als 65-nm-Doppelkern Anfang 2006 unter dem Namen Core Duo alias Yonah. Dessen angekündigte Ultra-Low-Voltage-Version soll sich bei 1 GHz Taktfrequenz mit gerade einmal 9 Watt begnügen, kommt also grundsätzlich mit sehr wenig Energie aus.

Weil Yonah nur ein 32-Bit-Kern ist und bei Gleitkommaaufgaben nicht mit Pentium 4/D beziehungsweise AMD64 mithalten kann, hat Intel eine Art Turbo-Yonah unter den Codenamen Woodcrest (für Server), Conroe (Desktop-Rechner) und Merom (Laptops) entwickelt. Diese Neulinge sollen die Sparsamkeit von Mobilprozessoren mit der Leistungsfähigkeit von Highend-CPUs kombinieren.

Auf den folgenden Seiten geht es um Intels geplante Produkte und Strategien, in deren Zentrum die neuen Multi-Core-Prozessoren stehen. Deren beeindruckende Performance stellt der nachfolgende Artikel ab Seite 112 vor, schließlich erläutern wir ab Seite 118 die Feinheiten der neuen Core-Mikroarchitektur.

Intels Werbung für die neuen Prozessoren greift die konkurrierenden AMD-Produkte in ungewohnter Direktheit an und zielt genau auf die von AMD herausgestellten Vorteile Spitzenleistung und Effizienz. Während Intel früher nicht einmal den Namen seines schärfsten Konkurrenten öffentlich aussprach, kommt der Markführer jetzt klar zur Sache.

AMD hat allerdings den offenen Schlagabtausch selbst provoziert und Intel nicht nur im Juni 2005 wegen Monopol-Missbrauchs verklagt, sondern im Herbst 2005 auch zu einem öffentlichen Duell der Dual-Core-Serverprozessoren herausgefordert. Bisher düpierten die AMD64-Prozessoren die Intel-Konkurrenten Xeon, Pentium 4 und Pentium D in den meisten Benchmarks, selbst die Semprons rennen deutlich schneller als Celerons. Zudem lässt AMD keine Gelegenheit aus, Intels Server- und Desktop-PC-Prozessoren als Energieverschwender zu geißeln; dazu muss man als Europäer wissen, dass Umweltschutz in den USA zurzeit ein Trendthema ist.

Über mäßige CPU-Performance würden die meisten Käufer wohl noch hinwegsehen - für Alltagsanwendungen und viele 3D-Spiele sind schließlich schon die meisten aktuellen Mittelklasseprozessoren schnell genug. Der hohe Energiebedarf der bisherigen Intel-Desktop-Prozessoren macht sich aber sehr störend bemerkbar: Stromrechnung, Hitze und Lärm wachsen. Die effizienteren AMD-Prozessoren haben sich deshalb respektable Marktanteile erobert. Während AMD-CPUs früher als preiswerte Alternative zu Intel-Prozessoren gehandelt wurden, muss Intel seine Mittelklasse-Doppelkerne zurzeit deutlich billiger verkaufen als AMD. Einige Pentium-D-Modelle kosten dasselbe wie ein Pentium 4 mit gleicher Taktfrequenz, bieten aber zwei Kerne statt nur einem. Im Serverbereich, vor allem bei dicht gepackten Bauformen wie Rack- und Blade-Servern, wiegen die NetBurst-Nachteile noch schwerer.

Der NetBurst-Irrweg ist eine Folge des Taktfrequenz-Wettrüstens, das AMD Ende der 1990er Jahre mit dem Ur-Athlon entfacht hat. Um die Athlons zu übertrumpfen, setzte Intel auf hohe Taktfrequenzen - und nahm dafür eine geringere Effizienz in Kauf. Der Pentium 4 startete 2000 mit 1,5 GHz, auf der IDF-Konferenz im Herbst 2002 demonstrierte Intel einen Pentium 4 mit deutlich mehr als 4 GHz - und sagte zwei Jahre später diese Taktfrequenz wieder ab: Im Oktober 2004 hatte das Unternehmen offenbar erkannt, dass die früheren Einschätzungen des NetBurst-Energiebedarfs völlig daneben lagen.

Hohe Taktfrequenzen erreichen x86-Prozessoren erst bei vergleichsweise hohen Betriebsspannungen; diese „Core Voltage“ steht aber in quadratischem Zusammenhang mit dem Leistungsbedarf. Auf schnelles Schalten optimierte CMOS-Transistoren weisen zudem hohe Leckströme auf, vergeuden also bereits im untätigen Zustand viel Energie. Diese beiden Effekte sind übrigens mit verantwortlich dafür, dass sparsame (Mobil-)Prozessoren deutlich niedrigere Taktfrequenzen erreichen als CPUs für Server, Workstations und Highend-Heimrechner.

AMD hat bei der Entwicklung der AMD64-Kerne schon vor Jahren auf eine möglichst hohe Rechenkraft pro Taktzyklus geachtet, sodass die Athlon-64- und Opteron-Prozessoren auch NetBurst-Kerne mit wesentlich höherer Taktfrequenz übertrumpfen können. Außerdem eignet sich der AMD64-Kern sowohl für Notebooks (mit geringer Kernspannung und Taktfrequenz) als auch für Highend-Desktop-Rechner (Athlon 64 FX mit bis zu 125 Watt Thermal Design Power) oder Server (Opteron mit bis zu 95 Watt TDP).

Weil Intel bei NetBurst zu stark auf hohe Taktfrequenzen geschielt hatte, aber schon bei 3,4 bis 3,8 GHz in die Abwärme-Sackgasse geraten ist, öffnete sich für die AMD64-Kerne ein breites Einfallstor in die Desktop-PC- und Servermärkte. Das Notebook-Segment behielt Intel im Griff, weil der Pentium M rechtzeitig erschien - die Mobilversionen von Athlon 64, Sempron und der Turion 64 waren vergleichsweise weniger erfolgreich als ihre Desktop-PC- und Serververwandtschaft.

Bei den Xeons und einigen Pentium-4/D-Typen versuchte Intel den Leistungsbedarf durch Stromsparfunktionen aus dem Mobilprozessorbereich zu mindern. Mittels Enhanced Intel SpeedStep Technology (EIST) beziehungsweise Demand-Based Switching (DBS) können Prozessoren ihre Taktfrequenz und Kernspannung absenken, wodurch die Energieaufnahme bei geringer Belastung stark sinkt. Einige CPU-Versionen kennen lediglich einen verbesserten Leerlaufzustand (Enhanced C1 Halt State C1E). Sowohl EIST/DBS als auch C1E drosseln aber die Leistungsaufnahme unter Volllast nicht, weshalb hier AMD weiter deutlich in Führung blieb - und dank PowerNow! beziehungsweise Cool-and-Quiet sind AMD64-Kerne auch im Leerlauf sparsam.

Das Absinken der Attraktivität seiner NetBurst-Prozessoren versuchte Intel mit einer Fülle von Zusatzfunktionen zu bremsen: Zunächst kam Hyper-Threading ins Spiel, eine Art Dual-Core-Technik für Arme. Wenige zusätzliche Logikfunktionen ermöglichen dabei auf vergleichsweise billige Art eine Parallelverarbeitung von Instruktionen - aber nicht von zwei identischen Befehlen, sondern nur von bestimmten Befehlskombinationen: Hyper-Threading bringt nämlich keine neuen Ausführungseinheiten, sondern verbessert nur die Auslastung der ohnehin vorhandenen Rechenwerke. Es lassen sich also beispielsweise Ganzzahl-(Integer-) und Multimedia-(MMX-/SSE-)Einheiten gleichzeitig nutzen. Deshalb kann Hyper-Threading nur wenige Applikationen beschleunigen.

Intel kürzt die Hyper-Threading Technology als „HT“ ab und hat im Laufe der Zeit weitere „*T“-Funktionen hinzugefügt, etwa die als Antwort auf AMD64 eingeführte 64-Bit-Erweiterung EM64T, die bereits erwähnte Stromspartechnik EIST, die Hardware-Virtualisierungsunterstützung VT oder die Fernwartungstechnik Intel Active Management Technology (IAMT). Im Serverbereich ist mit der Bensley-Plattform für die neuen Xeon-Prozessoren die I/O Acceleration Technology (I/OAT) auf den Markt gekommen, wahrscheinlich im nächsten Jahr soll die LaGrande Technology (LT) eine bessere Abschottung von Systembereichen durch Speichersegmentierung und kryptographische Sicherung per Trusted Platform Module (TPM) bringen.

Die *T-Funktionen sind auch wesentlicher Bestandteil des (ebenfalls auf dem Herbst-IDF) 2004 verkündeten Plattformierungskonzepts: Statt Prozessoren, Chipsätze, LAN- und WLAN-Adapter einzeln anzupreisen, vermarktet Intel seither Chip-Kombinationen mit definiertem Funktions- (und Treiber-)Umfang. Einige dieser Plattformen - jene für den Massenmarkt - bekommen klangvolle Markennamen verpasst, die Intel dem Zielpublikum mit millionenteuren „Branding“-Kampagnen schmackhaft macht. Zuerst kam die Notebook-Plattform Centrino, wo das Konzept prächtig aufging. Nun sollen Viiv (für Wohnzimmer-Multimedia-Computer) und vPro (für Profi-Desktop-Systeme) folgen. Für Server hat Intel Ende Mai bereits die „Bensley“-Plattform eingeführt.

Per Plattformierung will Intel seine Wertschöpfung pro PC steigern, also neben CPU und Chipsatz noch möglichst viele weitere Intel-Bauelemente verkaufen. Gleichzeitig verdrängt Intel dadurch lästige Konkurrenz von den Platinen, etwa die Chipsatzrivalen ATI, Nvidia, SiS und VIA oder die Netzwerkchiphersteller Broadcom, Marvell und Realtek. Auf die Plattformidee ist aber nicht nur Intel gekommen: Auch Nvidia versucht, die Marke SLI in die Köpfe der PC-Spieler zu hämmern. Mittlerweile gibt es deshalb sogar „SLI-ready“-Speichermodule - obwohl das RAM vergleichsweise wenig mit der Kopplung von 3D-Grafikkarten zu tun hat, dem Ursprung der Abkürzung SLI.

Ob Intels Plattformierungsstrategie bei den Desktop-Rechnern wirklich zünden wird, ist aber offen. Media-Center-PCs sind - zumindest in Deutschland - bisher kein Renner, trotz des Werbeaufwands von Microsoft für Windows XP Media Center Edition (MCE) und obwohl beispielsweise auch AMD (nämlich mit LIVE!) auf den Media-Center-Zug aufgesprungen ist. Bisher sind MCE-PCs - ob mit oder ohne Viiv-Logo - noch viel zu teuer und kompliziert im Vergleich zur typischen braunen Ware, also HiFi-Bausteinen, Videorecordern, Fernsehgeräten und DVD-Playern. Und ihre spezifischen Vorteile entfalten sie noch am ehesten bei der Nutzung von kommerziellen Online-Diensten, die bislang noch wenig verbreitet sind. Wesentliche Triebfedern der Viiv- und MCE-Strategien scheint ohnehin zu sein, restriktive DRM-Funktionen so gut wie möglich zu kaschieren, um deren Akzeptanz zu steigern. Das ist nicht gerade ein Stoff, der potenzielle Käufer zur Begeisterung hinreißt.

Die vPro-Plattform wiederum verspricht attraktive Vorteile für Großfirmen oder IT-Dienstleister, die sehr viele Bürocomputer verwalten. Intel greift hierbei viel diskutierte Schlagworte auf wie hardwaregestützte Kryptographie für Authentifizierung und Zugriffschutz (per TPM), Virtualisierung und Fernwartung/Fernadministrierung. Die Kombination der dazu nötigen Funktionen gelingt aber nur mit nagelneuen Intel-Bauelementen, der nötigen BIOS- und Firmware-Unterstützung und passender Software von Drittanbietern. Es handelt sich um ein sehr kompliziertes, schwer verständliches und in seinen Details kaum übersehbares Konzept, mit dessen korrekter Umsetzung selbst große PC-Hersteller noch ihre liebe Mühe haben.

Die etwas überkandidelt wirkende vPro-Architektur könnte sich allerdings langfristig als geschickter Schachzug erweisen, weil sich damit auch sehr günstig eingekaufte Rechner unterschiedlicher Provenienz und Ausstattung administrativ unter einen Hut bringen lassen. Bisher setzen die großen PC-Hersteller ganz bewusst auf proprietäre Fernwartungsfunktionen, um sich untereinander zu differenzieren und Argumente für möglichst homogene Rechner-Pools zu schaffen. Wenn vPro tatsächlich funktioniert wie geplant, würden sich PCs beliebiger (fernöstlicher) Produzenten mit Standardtools verwalten lassen - doch diese Vision dürfte erst in fernerer Zukunft Realität werden: Die großen Office-PC-Marken wie Dell, Fujitsu Siemens, HP und Lenovo haben nur mäßiges Interesse daran, ihre Produkte aneinander anzugleichen.

"Intel schlägt zurück"
Weitere Artikel zum Thema "Intel schlägt zurück" finden Sie in der c't 16/2006:
Neue Kerne und Plattformen: Intel will den Markt zurück S. 106
Core 2 Duo gegen Athlon 64 X2: Performance und Effizienz S. 112
Intels Core-Architektur unter der Lupe: Optimiert bis ins Detail S. 118

(ciw)