Sächsische Superlative

So schnell kann es gehen - da liegt die erste Computer- und Videospielemesse in Leipzig bloß vier Jahre zurück, und schon ist die fünfte Games Convention (GC) in der sächsischen Metropole zu Europas Leitmesse rund um digitales Daddeln geworden. Passend dazu vermeldeten die Veranstalter einen nie gekannten Besucheransturm. Wer sich darauf einließ, sich von den Menschenmassen durch die tosenden, dampfenden Hallen schieben zu lassen, konnte viel Spielbegeisterung, sehr viel Show und gelegentlich auch bemerkenswerte Neuentwicklungen wahrnehmen.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Nico Nowarra

Während die Veranstalter des bisherigen Spiele-Primus E3 (Electronic Entertainment Expo) in Los Angeles einen Schrumpfungsprozess einleiten und sich dort fürs nächste Jahr auf eine eher ruhige und familiäre Messe einstellen, ist die deutsche Games Convention mit Riesenschritten auf dem Weg, den Rang der weltweit wichtigsten Spielemesse einzunehmen. Wer gedacht hatte, noch lauter, gedrängter, aufgeregter und bunter als bei der letztjährigen GC könne es nicht zugehen, den belehrten die fünf Messetage vom 23. bis 27. August 2006 eines Besseren.

Bereits die Ausstellungsfläche war gegenüber dem Vorjahr um 13 Prozent auf stattliche 90 000 m2 gewachsen. 368 Aussteller aus 25 Ländern (2005: 280 aus 15 Ländern) zeigten Fertiges und Kommendes. Die erwartete Besucherzahl von 150 000 wurde weit übertroffen: Insgesamt schoben sich 183 000 Gäste durch die engen Gänge in den Hallen der Leipziger Neuen Messe, davon allein am Samstag rund 75 000. Der Ansturm zeigte die Grenzen der Infrastruktur und brachte die Verantwortlichen gehörig ins Grübeln.

Wer unter den zahllosen Neuvorstellungen im Bereich der Computerspiele nach so etwas wie einem roten Faden suchte, dem mussten die zahlreichen Massen-Online-Rollenspiele (MMORPGs) auffallen. Vor Jahren noch ein Nischengenre, schießen sie seit dem Riesenerfolg von Blizzards World of Warcraft (WoW) wie Pilze aus dem Boden - die Aussicht auf dauerhafte Kundenbindung und meist auch regelmäßig fließende Teilnehmerentgelte wirkt für Hersteller verlockend. Der Anspruch ist dabei vielfach ähnlich: „Wir machen das gleiche wie WoW - nur besser.“ Ob sich ein solcher Millionenerfolg allerdings auch nur ansatzweise wiederholen lässt, ist fraglich.

Eine der stimmungsvollsten Installationen auf der GC: Im Fantasy-Verlies von GOA ließ sich Warhammer Online ausprobieren.

Fantasy-Abenteuer per Internet bietet etwa Der Herr der Ringe Online, das den Spieler nach Tolkiens Mittelerde zur Zeit des Ringkriegs entführt. Bei Warhammer Online liegt der Schwerpunkt auf der Integration von Spieler-gegen-Spieler-Aktionen ins Geschehen. Vanguard - Saga of Heroes von Brad McQuaid, der bereits an der Entstehung des ersten Everquest maßgeblich beteiligt war, soll Spielern ungewohnte Freiheiten im Detail bieten. Bereits etablierte Online-Spiele werden mit Hilfe von Add-ons aufgebessert. Für Everquest 2 wird „Echoes of Faydwer“ erscheinen, Guild Wars erwartet mit „Nightfall“ eine hochkarätige Erweiterung, und Eve Online ist nun in deutscher Fassung erhältlich. Zu „World of Warcraft“ war das für November angekündigte Burning Crusade zu sehen.

Besonders beliebt scheinen derzeit auch Action-Rollenspiele in der Tradition von Blizzards Diablo-Konzept zu sein, natürlich mit aktueller 3D-Grafik. Zu den angekündigten Vertretern dieses Genres gehören etwa das in der Antike angesiedelte Loki und das in einer Mischwelt aus klassischen Fantasy-Elementen sowie technischen Gerätschaften spielende Silverfall, außerdem Legend - Hand of God, das von dem deutschen Entwicklerteam Master Creating stammt. Legend erfreut mit pfiffigen Helden, die einem Riesen beim Kampf nicht ständig nur das Knie verbeulen, sondern ihn auch mal erklimmen, um einen Schwertstreich wirkungsvoll anzusetzen.

In unvermindertem Aufwind befindet sich das klassische Adventure. Mit Sherlock Holmes 3 darf man erneut Verbrechen aufklären, während Tony Tough 2 den Spieler in die Kindheit des vorlauten, bebrillten Cartoon-Detektivs entführt. Vergnügliche Orient-Erlebnisse verspricht Ankh: Herz des Osiris, und am Horizont macht sich bereits Zaubererlegende Simon warm, der in Simon the Sorcerer 4 sein Comeback feiern will.

Neben echten Trends im Spielebereich gibt es auch solche, die von interessierter Seite herbeigewünscht oder auch in Pressemitteilungen herbeigeredet werden. So war bereits im Vorfeld der Messe vielfach zu hören, Computer- und Videospiele seien zunehmend auf ein breiteres Publikum hin ausgerichtet und erreichten mehr und mehr auch ältere sowie weibliche Nutzer.

Mit Schmerzen weiterspielen: die „Painstation“, ein eigenwilliges Kunstprojekt im Rahmen von „pong.mythos“

Wahr ist, dass die Branche das sehr gern hätte. Die vom Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware e. V. (BIU) präsentierten Zahlen erlauben es aber nicht, seriöserweise von einem Trend in dieser Richtung zu sprechen. Regelrechte Frauenlieblinge unter den Spielen sind nach wie vor selten. Solche Titel, bei denen man kreativ sein und abseits vorgegebener Pfade des Sichdurchschlagens oder -schießens agieren darf, muss man mit der Lupe suchen. Vielmehr werden die klassischen Spielegenres konsequenter denn je bedient, und immer seltener sieht man Spiele, die von ihrem Konzept her querliegen und nicht in die etablierten Schubladen passen. Das ist angesichts der drastisch angewachsenen Produktionskosten nachvollziehbar: Wer will schon mit schwer kalkulierbaren Absatzaussichten ein Multimillionen-Risiko eingehen?

Eine erfrischende Ausnahme schaffte es prompt, als bestes PC-Spiel der Messe ausgezeichnet zu werden: Electronic Arts’ Spore stammt aus der Ideenschmiede von Will Wright, der sich im Zusammenhang mit Konzepten wie „SimCity“ oder „Die Sims“ einen Namen gemacht hat. Sein jüngstes Werk lässt den Spieler skurrile Lebewesen erschaffen und manipulieren - vom Einzeller bis zum zivilisationsbildenden intelligenten Wesen. „Spore“ ist mal Kreativwerkzeug, mal Alltagssimulation, mal Eroberungsspiel. Am Schluss befindet man sich auf einem Weltraumstreifzug und soll dabei Schöpfungen fremder Spieler kennenlernen.

Was den gern herbeigeredeten Trend zum älteren Spieler angeht, so ließ dieser sich am (überwiegend jugendlichen) GC-Publikum ebenso wenig festmachen wie an der Ansprache durch die Aussteller - mit einer höchst originellen Ausnahme: Am Stand der Geldspielplattform GameDuell präsentierten Angehörige der so genannten Generation 50 plus mit viel Selbstironie ein spießbürgerliches Camping-Idyll inklusive Gartenzwerg und luden junge Spieler zu Online-Klassiker-Zweikämpfen ein.

Wie bereits in den Vorjahren bot sich Flüchtlingen aus den Hallen 1 und 3 bis 5 der vergleichsweise ruhige und bequem begehbare „GC Familiy“-Bereich in Halle 2 zum Atemschöpfen - oder neudeutsch Chillen - an. Hier gab es nicht nur Informationen in puncto Jugendmedienschutz, sondern auch schöne Edutainment-Ideen mit Raum zum lockeren Ausprobieren. Das betrifft etwa Colorelli von Wacom - das Low-Cost-Paket aus einem kleinen blauen Grafiktablett und spezieller Software bietet Kindern Gelegenheit, mit dem Stift ein Auto durch eine Landschaft zu bugsieren, in der sich durchs Ansteuern bestimmter Häuser Geschicklichkeits- und Kreativspiele starten lassen. Wenn die Kinder Bildschirmpause machen, dürfen die Eltern Stift und Tablett für ihre grafischen Windows-Anwendungen nutzen.

Erstmals präsentierten die Messemacher in diesem Jahr die „GC Art“, einen Bereich, der sich mit Hilfe dreier Sonderausstellungen dem Zusammenhang von Spiel, Kulturbewusstsein und sozialem Miteinander von verschiedenen Seiten näherte. Die Kunstausstellung pong.mythos, die von Leipzig aus noch an andere Orte weiterziehen wird, dreht sich um den Urahn der Videospiele, das Atari-Blocktennisspiel „Pong“. Zu den rund 30 Exponaten verschiedener Künstler gehört ein bestürzend reizvolles Objekt, das zum Nachdenken Anlass gibt - die „Painstation“: Sie malträtiert die Hände ungeschickter Spieler mit Peitschenschlägen, Hitze und Stromstößen und konfrontiert diejenigen, die im Spielfieber dennoch einfach nicht loslassen wollen, mit der Frage, wie viel Schmerz ihnen ein Sieg eigentlich wert ist.

Die Games Convention hat bei allem Wachstum und allen neuen Ideen den Höhepunkt ihrer Möglichkeiten noch nicht erreicht - das wurde deutlich. Man darf neugierig aufs nächste Mal sein. Die GC 2007 in Leipzig ist für den 23. bis 26. August angesetzt - ebenfalls im kommenden Jahr soll übrigens der erste internationale Ableger seine Premiere erleben, die Games Convention Asia in Singapur. (psz)