Neustart auf vier Rädern

Die Fahrzeughersteller, Apple und Google liefern sich ein Wettrennen um das Betriebssystem fürs Auto.

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Von
  • Will Knight

Die Fahrzeughersteller, Apple und Google liefern sich ein Wettrennen um das Betriebssystem fürs Auto.

"Wohin möchtest du?", fragt Siri. Es war ein sonniger, verträumter Vormittag im Silicon Valley. Ich sitze auf dem Beifahrersitz eines Hyundai Sonata. Er kommt mir eigentlich ganz normal vor – abgesehen von den Apple-Symbolen auf dem Bildschirm und der emotionslosen Stimme von Apples virtueller Assistentin Siri, die aus den Lautsprechern dringt. Ich frage sie nach einem nahe gelegenen Sushi-Restaurant. Sie liest mir einige Läden vor, wartet auf meine Auswahl und zeigt mir dann auf dem Bildschirm den Weg.

Der Hyundai ist eines der ersten Serienfahrzeuge, die Apples Software "CarPlay" unterstützen. Sie überträgt die Inhalte eines per Kabel angeschlossenen iPhones ans Auto. Die meisten anderen Hersteller wollen nachziehen. Zwar haben praktisch alle Autohersteller auch ihre eigenen Infotainment-Systeme mit eigenen Bedienkonzepten und eigenen Apps, aber viele Autofahrer nutzen lieber das vertraute Smartphone. Also kaufen sie zu einem neuen Auto auch noch gleich einen Saugnapf für fünf Dollar dazu, kleben das Gerät an die Windschutzscheibe und fingern während der Fahrt daran herum. Eine wenig befriedigende Lösung: Bei meinem Mietwagen fiel es auf dem Weg vom Flughafen mehrmals ab und verschwand unter dem Beifahrersitz. Laut National Safety Council hängen mehr als 25 Prozent aller Verkehrsunfälle in den USA mit der Nutzung von Mobiltelefonen zusammen.

CarPlay lenkt deutlich weniger ab. Aufgerufen über einen Knopf am Lenkrad, kann ich mit Siri problemlos SMS versenden, telefonieren und Ziele in das Navi eingeben. Das Gleiche gilt auch für Googles Konkurrenzprodukt Android Auto, wie ich bei einer Fahrt mit einem anderen Hyundai Sonata feststelle. Google-Produktmanager Daniel Holle verbindet sein Nexus-Smartphone per Kabel mit dem Auto, und sofort gehört dessen Touchscreen der Assistenz-App "Google Now", die aktuelle Empfehlungen auf Basis von Positionsdaten, Suchanfragen oder Mails gibt. In unserem Fall zeigt sie den Weg zur nächsten Starbucks-Filiale an, weil Holle kurz zuvor im Web nach einem Café gesucht hat. Hätte er ein Ticket für einen baldigen Flug in seinem Postfach, erklärt mir Holle, stünde nun der Weg zum Flughafen auf dem Schirm. "Zu guten Teilen machen wir das wegen der Fahrsicherheit", sagt er. "Aber zugleich gibt es eine enorme Chance, digitale Erfahrungen im Auto zu ermöglichen." (Natürlich haben solche Systeme auch ihre Grenzen: Wenn das Smartphone seine Verbindung verliert oder die Batterien leer sind, geht nichts mehr. Und die Sprachassistenten verstehen mich nicht immer richtig.)

Neue Autos rollen heute mit 50 bis 100 Computern vom Band, auf denen Millionen Zeilen Programmcode laufen. Ihre Rechenleistung nimmt laufend zu. Im Februar hat der amerikanische Chiphersteller Nvidia zwei neue Grafikchips für Autos angekündigt: Der eine kann 3D-Grafiken für bis zu drei Displays im Auto gleichzeitig erzeugen, der andere Daten von bis zu zwölf Kameras sammeln und verarbeiten. Auf letzterem läuft selbstlernende Software, die Hindernisse auf der Straße erkennt. Die beiden Chips lassen erahnen, welche enormen Möglichkeiten moderne Autos für IT-Firmen bieten. Noch gibt es allerdings keine Software, die – wie ein echtes Betriebssystem – umfassenden Gebrauch von all den Computern macht. Google und Apple können einstweilen nur wenige Fahrdaten nutzen. Etwa ob ein Auto vorwärts oder rückwärts fährt. Tiefere Einblicke verweigern die Autohersteller noch. Eine entscheidende Frage ist, ob sich das künftig ändern wird. Wer auch immer in Zukunft die Software für die zahlreichen Auto-Steuergeräte liefert, wird die Innovationen im Automobilbereich prägen. Wenn Apple und Google Zugriff auf die vielen Rechner im Auto bekämen, könnten sie mit ihrer Software-Kompetenz ein solches Betriebssystem für Autos schaffen.

Vielleicht ist das auch die Erklärung dafür, warum sich Apple und Google jetzt auch an Fahrzeug-Hardware versuchen: Sie wollen den vollen Zugriff auf die Zeit von Menschen in Autos, ohne darauf zu warten, dass die klassischen Hersteller ihnen weitere Teile ihrer Fahrzeuge zugänglich machen. Google hat bereits eigene selbstfahrende Autos gebaut, die mit einer Kombination aus Sensoren, Kartendaten und intelligenter Software arbeiten. Auch Apple entwickelt offenbar ein eigenes Auto. Das Unternehmen kommentiert derartige "Gerüchte und Spekulationen" zwar nicht. Aber es stellt gerade Dutzende Leute mit einschlägigen Kenntnissen ein. Außerdem wurden auf kalifornischen Straßen schon sensorbestückte Vans gesehen, die Apple gehören. Die weitaus größere Chance für Apple und Google liegt allerdings darin, nicht nur die eigenen, sondern alle Autos mit Software für automatisches Fahren, fortgeschrittene Diagnostik oder drahtlose Updates zu versehen. Schon jetzt gibt es bei Android Auto einen Knopf, der für künftige Diagnose-Apps reserviert ist.

Google erwartet, dass diese Apps zunächst von den Autoherstellern selbst kommen werden. Sie sollen dann deutlich mehr Informationen liefern als die mysteriös blinkenden Motor-Warnleuchten von heute. Natürlich würde aber auch Google selbst gern auf die Autodaten zugreifen, sagt Holle. Denn dann könnte Google Now zum Beispiel einen Besuch in der nächsten Werkstatt arrangieren, wenn der Motor zu heiß wird.

Wenn sie verhindern wollen, dass Google und Apple in diese Lücke stoßen, müssen die Autohersteller sie selbst schließen. Also gründen sie Labore im Silicon Valley. Ford etwa hat in diesem Januar eine Forschungsabteilung in Palo Alto eröffnet, in direkter Nachbarschaft zu Skype und Hewlett-Packard. Sie ist ausgestattet wie ein typisches Start-up: rote Sitzsäcke, 3D-Drucker und viele leere Tische, an denen bald über hundert Ingenieure arbeiten sollen. Ich treffe mich dort mit dem Interface-Designer Casey Feldman. Als ich komme, steht er gerade auf einem Balancierbrett vor seinem Schreibtisch und arbeitet an "Sync 3", dem neuesten Infotainment-System von Ford. Noch läuft es mit Fords eigener Software, doch künftig will der Hersteller den Bildschirm auch CarPlay oder Android Auto überlassen. Zum Testen verwendet Feldman eine Kiste mit Touchscreen und Reglern, ungefähr so groß wie ein Mini-Kühlschrank.

Schon 2010 hatte Ford sein erstes eigenes Touchscreen-Interface eingeführt, genannt "MyFord Touch". Es steckte voller Fehler, Kunden fanden es übermäßig kompliziert. Als Ford 2011 bei den Zuverlässigkeitsranglisten der Zeitschrift "Consumer Report" vom 10. auf den 20. Platz abrutschte, galt MyFord Touch als zentrale Ursache. Als Reaktion verschickte Ford 250000 Speichersticks mit Software-Updates an seine Kunden.

Mit Sync 3 will Ford es nun besser machen. Es kann nicht nur Apps wie Spotify oder Pandora Radio ausführen, sondern verbindet sich auch mit dem heimischen WLAN, um Patches und Updates abzurufen. "Das ist ein kultureller Wandel", sagt Dragos Maciuca, technischer Leiter des Ford-Labors. Man wolle "einen Teil der Einstellung und Prozesse des Silicon Valley in die Autoindustrie übernehmen", erklärt er. Das äußert sich zum Beispiel durch eine gewisse Offenheit: Ein Modul namens OpenXC ermöglicht es Entwicklern, eine Vielzahl von Sensordaten aus dem Auto abzurufen und in ihre Apps oder Anwendungen einfließen zu lassen. Ein Ford-Ingenieur hat damit beispielsweise einen Schalthebel entwickelt, der aufleuchtet oder vibriert, wenn es Zeit zum Schalten ist.

Ansonsten hat OpenXC bislang allerdings wenig bewirkt. Wenn irgendjemand Ideen für weitere Anwendungen hat, dann Chris Gerdes. Er ist Maschinenbauprofessor und leitet das Dynamic Design Lab der Stanford University. Ursprünglich wollte er in Robotik promovieren, doch nachdem er einen alten Chevy Cavalier komplett restauriert hatte, stieg sein Interesse an Autos. In seinem Labor arbeiteten Studenten in großen, offenen Arbeitsbereichen an unterschiedlichen Projekten: ein leichtes Auto mit Solarantrieb, ein handgefertigter Dünenbuggy, ein Ford Fusion voller Sensoren. Gerdes zeigt auf den Fusion. Nachdem Ford den Studenten eine spezielle Software-Schnittstelle geöffnet hatte, war es für sie relativ einfach, das Auto autonom fahren zu lassen. Der Buggy treibt die Programmierbarkeit auf die Spitze – so gut wie jede Komponente lässt sich über einen computergesteuerten Aktuator verstellen. Die Federung jedes einzelnen Rads kann beispielsweise so angesteuert werden, dass sie eine normale Straße glatt bügeln wie eine Eisdecke.

Tesla zeigt schon im Alltag, wie bedeutend Software-Innovationen für Autohersteller werden könnten. Die Elektrolimousine Model S, auf dem Markt seit 2012, ist das wohl am stärksten computerisierte Serienauto der Welt. Es hat einen 17-Zoll-Touchscreen, eine Mobilfunkverbindung und einen Webbrowser. Fahrer können alles Mögliche am Fahrzeug einstellen, beispielsweise Federung und Beschleunigung (von "normal" bis "irre"). Alle paar Monate bekommen sie ein Software-Update mit neuen Funktionen, etwa einen Berg-Anfahrmodus oder eine Toter-Winkel-Warnung. Für diesen Sommer hat Tesla-Chef Elon Musk ein weiteres Update angekündigt, das Modellen, die bereits mit den nötigen Sensoren ausgestattet sind, autonome Autobahnfahrten ermöglicht. Das Unternehmen mit Sitz in Palo Alto arbeitet sogar schon an einem Autopiloten, der den Wagen rechtzeitig vor die Tür fährt, wenn ein Termin im Kalender des Besitzers steht.

Wie sinnvoll Software-Updates aus der Ferne sein können, zeigte sich Ende 2013. Damals waren mehrere Model S in Flammen aufgegangen, nachdem auf der Fahrbahn herumliegender Müll ihre Batterien aufgeschlitzt hatte. Statt die Wagen zurück in die Werkstätten zu rufen, änderte Tesla per Mobilfunk die Fahrwerkseinstellung, um die Bodenfreiheit zu erhöhen.

Gleichzeitig jedoch locken solche Möglichkeiten auch Übeltäter an (siehe folgende Seite). "Niemand weiß so richtig viel über Autosicherheit und worauf es dabei eigentlich ankommt, weil es zu wenig Forschung darüber gibt", sagte Computerexperte Charlie Miller, der bereits einen Toyota Prius und einen Jeep Cherokee gehackt hat. Stanford-Forscher Gerdes glaubt trotzdem nicht, dass Sicherheitsbedenken die Computerisierung von Autos verzögern werden: "Die entscheidende Frage ist, wie schnell man vorgehen kann, ohne auf Sicherheit zu verzichten." (bsc)