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Was war. Was wird.

Falsches und richtiges Bewusstsein, BSE bei Hühnern, tanzende Sterne und ein Waffenstillstand unter Desktop-Kriegern: Da darf auch Nietzsche in der Wochenschau von Hal Faber nicht fehlen.

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Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Wir Deutschen sind Muffel, weil Umlaute beim Sprechen unser Gesicht unhübsch verrutschen lassen, und zwar nach unten. Wenn wir Lünux sagen, klingt es gehässig und grämig. Solch ein Ünsünn wird aus Ängland gemeldet und natürlich von einem Wissenschaftler mit einer üblichen ördentlichen Stüdie ünterfüttert. Dabei ist dem guten Mann entgangen, dass wir Deutschen eine gute Portion Humor besitzen. Da nehmen wir also ein Huhn, das in Schötländ, im moorigen Norden Englands, lebt und pressen das arme Tier zu einem Ballerspiel. Dann kommt eine Version, die von einem seriösen (langes ö = viel Gram) deutschen Newsticker (nein, nicht [ heise online]) tatsächlich bei vollem Bewusstsein vertrieben wird. Und dann dürfen wir diese humoristische Meldung lesen: "Traurig, aber wahr: Das gesamte deutsche Internet war am Abend betroffen; viele Surfer klagten in E-Mails an die Redaktion über langsame Verbindungen zu diversen Websites. Ein kleines Huhn hat damit der unbestrittenen Zukunftstechnologie Internet in Deutschland die Grenzen gezeigt." Dummerweise konnte man am Tag des Huhns ungestört im deutschen wie im internationalen Internet surfen, ohne Probleme E-Mail empfangen und mit Genuss Newsgroups lesen, ohne ins Stocken zu kommen. Ein bekannter englischer Detektiv würde nun messerscharf schlussfolgern, dass das "gesamte deutsche Internet" etwas anderes sein muss als das Netz, in dem wir uns täglich virtuell bewegen. Inzwischen aber ist in einer neuen Pressemeldung aus dem gesamten deutschen Internet die Standleitung eines Providers geworden, an dem angeblich Dutzende von wichtigen deutschen Firmen angebunden sind. Und die sind nun wohl allesamt vom Hühnerwahnsinn, vulgo ChickenBSE, befallen. Wohl bekomms.

*** BSE hin oder her, manche Hirnkrankheiten lassen sich einfach nicht dingfest machen. Aufmerksame Leser der Wochenschau haben mich darauf hingewiesen, dass die Taufe eines Iuma Dylan-Lucas Thornhill so neu nicht ist. Tatsächlich hat es schon ganz andere Kaliber erwischt, schreiben sie. Seit 1996 heißt ein ganzes Stadion, der Candlestick Park im Süden von San Francisco und Heimat der 49ers und der Giants, zum Ruhme einer Firma 3Com Park, also offensichtlich zum Ruhme der Firma mit dem Palm-Dingsdabumsda. Wie es der Zufall will, wurde in der letzten Woche der 3Com Park wieder zum Candlestick Park umgetauft. Als Gegenleistung für diese großzügige Geste installiert die Firma 3Com in den Logen der Besser-Verdienenden eine Netzwerktopologie, die es gestattet, dass "sie mit ihren PDAs in Kommunikation mit den Fans treten können, die das Spiel zu Hause verfolgen". Was werden wohl die Reichen in ihren Logen zu sagen haben, was die Armen ohne Loge, doch mit einem Palm bewaffnet, wissen möchten?

*** Apropos Hirnkrankheiten: Es kommt nicht alle Tage vor, dass ein förmliches Fax mit der "Bitte um Waffenstillstand" in der Redaktion eintrudelt. Eigentlich ist der Verlag, dem ich den Platz für diese Kolumne verdanke, im Allgemeinen friedlich, freundlich und keineswegs darauf aus, einen Krieg zu beginnen. Schnell entpuppte sich die Bitte denn auch als ein PR-Schreiben der Firma MandrakeSoft: Ihr vorgeschlagener Waffenstillstand bezieht sich auf den Krieg KDE versus Gnome, der laut Fax unzählige Opfer gekostet haben soll. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass der eine oder andere Entwickler viel Zeit in ein Projekt gesteckt hat und damit vielleicht der Open-Source-Bewegung ein Stück seines Lebens opferte. Warum aber von Waffenstillstand die Rede sein muss, warum gleich Opfer zu beklagen sind, das will mir nicht in den Sinn. "Diese Welt wäre schal und fade, wenn wir alle die gleichen Gesichter hätten", heißt es bei MandrakeSoft zum Schluss. Wie wäre die Welt, wenn hinter den unterschiedlichen Visagen auch Gedanken schlummern, die nicht von Opfern, Waffenstillstand und Krieg der Benutzeroberflächen handeln?

*** Ah, nehmen wir angesichts dieser revolutionären Idee eines Bewusstseins, dass das Sein bestimmt, einmal Bezug auf einen gewissen Herrn, der heute vor zwei Tagen seinen hundertsten Todestag zu beklagen hatte. "Ihr führt Krieg? Ihr fürchtet euch vor einem Nachbarn? So nehmt doch die Grenzsteine weg – so habt ihr keinen Nachbarn mehr." Friedrich Nietzsche starb am 25. August vor hundert Jahren in Weimar. Aber man könnte meinen, er beklagte nicht nur die Kriege des imperialistischen Zeitalters, sondern auch den Unsinn, der heutzutage von manchen Menschen angestellt wird, die man neuzeitlich "User" nennt. User im Sinne des legendären Films Tron: Diejenigen, die sich wirklich auszukennen glauben – deren Existenz aber unter der Software umstritten ist. So leben auf manchem Rechner Windows und Linux friedlich nebeneinander her und denken sich ihr Teil. Oder, um noch einmal Nietzsche zu zitieren: "Wer einigermaßen sich vom Leibe eine Vorstellung geschaffen hat – wie viele Systeme da zugleich arbeiten, wie viel für einander und gegen einander getan wird, wie viel Feinheit in der Ausgleichung usw. da ist: Der wird urteilen, dass alles Bewusstsein dagegen gerechnet etwas Armes und Enges ist."

*** Ob das Bewusstsein von so vielen Veranstaltungen zu seinem Todestag Nietzsche wirklich gefreut hätte – das muss wohl dahin gestellt bleiben. Sein Zarathustra jedenfalls mied solche Ehrungen und suchte die Einsamkeit, genoss dort seines Geistes "und wurde dessen zehn Jahre nicht müde" – fast war das schon eine Vorahnung auf die zehnjährige geistige Umnachtung, in der Nietzsche vor seinem Tod sein Dasein fristete. Doch was solls: Schließlich stammt ja auch das Zitat "Warum dürfte die Welt, die uns etwas angeht, nicht eine Fiktion sein?" von ihm. Warum auch sollte die Welt nicht eine Fiktion sein – sind wir doch von Fiktionen umgeben. Da sitze ich hier des Nachts vor so einem Rechner und produziere nichts anderes als – Fiktionen eben. Und die Leser lesen – Fiktionen. An Wirklichkeit gibt es hier nur ein paar elektrische Felder in miniaturisierten Bauteilen, all die bunten Bilder und Texte, die wir auf dem Monitor sehen. Reine Fiktionen? Nein, beileibe nicht, hält man sich an der Tastatur fest: Das sind doch keine Fiktionen, sondern schlicht digitalisierte Darstellungen. Habe ich vielleicht zu viel bei Nietsche geschmökert? Sollte es wirklich so sein, dass hier das Bewusstsein das Sein zu bestimmten versucht? Aber nein, was real sein soll, das sei es bitteschön auch. Wo kämen wir denn hin, wenn alles auf dem Rechner nur fiktional wäre: Wenn das gut gefüllte Konto bei der Internet-Bank nur eine Phantasie wäre; die Wertsteigerung der Aktien im Portefeuille beim Online-Broker nur ein Traum... Richtig, wir kämen ins Chaos, und das wäre dann auf jeden Fall alles andere als virtuell. Also sprach Zarathustra: "Ich sage euch: Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können."

*** Bewusstsein, ob als tanzender Stern oder gefülltes Bankkonto, ist schon eine schwierige Sache, wie unser Freund offensichtlich wusste. So gibt es auch zu den überraschend vielen Glückwünschen zum Geburtstag (danke, danke) natürlich noch ein Nachspiel. Bei der Firma Mindpixel soll die erste wirklich intelligente Intelligenz entstehen, ein neuronales Computerprogramm mit 900 Millionen Aussagen, die von Menschen in möglichst einfacher Form eingegeben werden: "Was denken Sie beim Duschen, wenn das Wasser kalt wird?" Ob dieses bewusste Bewusststein einen tanzenden Stern gebären kann, darüber ließ sich der Initiator dieses Programms, Chris McKinstry, bislang nicht aus. Stattdessen will er ein Buch mit dem schönen Titel Hacking Consciousness veröffentlichen. Seine Idee mit den 900 Millionen Einträgen durch gewöhnliche Menschen wie Sie und ich ist zeitgemäß, erhält doch jeder Teilnehmer pro Eintrag eine Option auf eine Aktie, die nach einem Börsengang richtig gut abgehen könnte. Spaßig allerdings ist das Ansinnen der Teilnehmer an diesem Projekt, den so entstehenden Computer Hal zu nennen. McKinstry und sein Team haben sich für den Namen GAC (für Generic Artificial Consciousness) entschieden, der den anderen missfällt. Sie wollen Hal als Namen, doch Hal sagt, frei nach der Geschichte schottischer Edelmetallbesitzer: Es kann nur einen geben!

*** Kehren wir aber zu der realen Realität zurück: Das Sein bestimmt das Bewusststein, wusste nämlich ein anderer deutscher Philiosoph, aus Trier gebürtig und vor fast 120 Jahren in London gestorben. Seiner Erkenntnis scheint sich nun auch die New Economy nach und nach beugen zu müssen. Da fabulieren all die Startups, Online-Shops und Internet-Firmen mit den verrücktesten Geschäftsideen von dem neuen Arbeitnehmer, der eigentlich selbst Unternehmer sei. Und finden auch genug Dumme, die sich für eine Handvoll Aktien den Arsch aufreißen, als wär's ihr eigen Besitz. All die Dot.com-Beschäftigten würden es nach Ansicht unserer Internet-Entrepeneurs als Beleidigung ansehen, mit normalen Arbeitern und Angestellten in einen Topf geworfen zu werden. Und dann kommen so ein paar Gewerkschaften und wagen es tatsächlich, das ganze notwendig falsche Bewusstsein unserer Startup-Helden mit dem realen Sein zu konfrontieren. Streik in der Hightech-Branche, bei einem der vielgelobten Telekom-Konzerne: Das nicht nur etwa, um etwas mehr Geld herauszuschlagen, sondern auch noch um das Recht, als Gewerkschafter in den Boombranchen arbeiten zu dürfen. Der Gipfel: Nicht einmal übermäßige Überstunden wollen die Leute machen. Da grausen sich unsere Startups sehr. Und fürchten die Erkenntnis, dass ihre schöne neue Welt des E-Commerce doch mehr mit der guten alten politischen Ökonomie zu tun hat, als sie zugeben wollen.

Was wird.

Gleich am Montag findet in Kiel eine von vielen Sommerakademien statt, die diesen "Sommer" etwas erträglicher machen sollen. Die Datenschützer tagen zum Thema E-Privacy. Herauskommen wird keine flammende Resolution, wie sie beim Kampf a la Web gegen Rechts momentan gang und gäbe ist. Wie heißt es so schön in der Ankündigung: "Die Datenschutzbeauftragten können den Grundrechtsschutz im Internet nicht in der herkömmlichen Weise garantieren. Sie haben aber die Verpflichtung, den Bürgerinnen und Bürgern in der Cyberwelt Service und Beratung zum Selbstschutz zu geben und sich gewissermaßen zu 'E-Privacy Commissioners' zu entwickeln." Hat da jemand Bobo gerufen? (Hal Faber) (jk)