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Was war. Was wird. Von Krisennummern und anderen Telefon-Nachrichten.

Verschlüsselung verbieten. Whistleblower aufhängen. Totalüberwachung der Kommunikation. Manche dunkle Phantasien von Sicherheitsfanatikern treiben Hal Faber den Angstschweiß auf die Stirn. Lemminge sind nichts dagegen.

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Lemming
Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "On est parti on commence." "Los, lass uns anfangen": eine SMS, wie sie an einem Freitagabend zu Tausenden verschickt werden, wenn sich Gruppen auf den Weg machen zur Disko, ins Konzert oder in den Tod. Gefunden auf einem weggeworfenen Handy, das nach einer Funkzellenabfrage zuletzt bei einem Hotel in Alfortville eine Netzverbindung hatte, wo ein Salah Abdeslam in der Nacht vor dem Terroranschlag zwei Zimmer gebucht hatte. Nach all den Spekulationen, ob die islamofaschistischen Massenmörder des Daesh trickreich über Playstations kommunizierten, das anonyme Twister oder gar Telegram benutzten, diese "Dark-Web-App für Terroristen" (ARD-Kommentar), eine bestürzend einfache forensische Aussage. Doch hilft sie nicht weiter, weil die große Debatte um Verschlüsselungssysteme längst angelaufen ist. Nicht nur bei uns, sondern vor allem in den USA, wo der Wahlkampf anläuft. Dort hat die Kandidatin Hillary Clinton einen ganz grundsätzlichen Gegensatz zwischen der Regierung und den IT-Firmen im Silicon Valley als Wahlkampfthema entdeckt. Noch "besser" läuft es in Großbritannien, wo man an einem neuen Überwachungsgesetz feilt und Journalisten direkt dem Silicon Valley vorwerfen, Jihadisten zu unterstützen. Als Tiefpunkt können die Auswürfe des ehemaligen CIA-Chefs Woolsey gegen Edward Snowden gelten, den er am liebsten am Nacken aufgehängt sehen möchte.

*** Die Terroristen fuhren mit einem Mietwagen aus Brüssel-Molenbeek nach Paris, doch die Frage, ob man Autovermietungen wie Verschlüsselung verbieten sollte, dürfte Verwunderung hervorrufen. Nicht so bei der Verschlüsselung, da darf jeder warnen, wenn das gemeine Volk die Volksverschlüsselung einsetzt. Denn diese schiefen Debatten helfen, vom Versagen der Sicherheitsdienste abzulenken, die im Fall der Pariser Terroristen weitreichende Befugnisse hatten, aber nicht imstande waren, die Reisewege zu überwachen. Bei so einem grundsätzlichen Problem ist es ziemlich egal, ob eine PGP-Variante wie Asrar al-Mujahedeen oder Amn al-Mujahid eingesetzt wurde. Was übrigens nicht nur ein Problem der Sicherheitsbehörden ist. Die bekannteste Veröffentlichung des Daesh ist wohl die Schrift "Remaining Anonymous Online". Sie beginnt mit einer langen Koran-Interpretation, ob Muslime im Zeitalter des Kalifats gegen das Gebot verstoßen dürfen, das Lügen unter Strafe stellt. Wer im Internet seinen Namen verheimlicht und seinen wahren Standort verschleiert, kann innerhalb des Kalifats bestraft werden, doch außerhalb gilt die Taqiyya.

*** So können im Netz kämpfende Terroristen oder ihre Pendants von den Geheimdiensten sich durchaus Anonymous nennen und vorgeben, den IS zu bekämpfen. Bei dieser Atrt von Hackaktivismus von einem Online-Aufstand der Anständigen zu sprechen, ist weit hergeholt, wie schon die Presseerklärung der Kämpfer zeigt. Da wird mal eben die Arbeit von Wikileaks einbezogen. Wenn in den Kommentaren die Aktionen der "Computer-Nerds" gelobt werden, in denen gleichzeitig gefordert wird, den Einsatz bewaffneter Drohnen nicht ausschließlich als extralegale Exekution zu begreifen, dann stimmt das bedenklich. Frank Rieger vom Chaos Computer Club schrieb dazu in der Zeitung für kluge Köpfe:
"Die Auseinandersetzung Anonymous vs. IS erinnert vor diesem Hintergrund in gewisser Weise an das antike griechische Theater und das japanische No-Theater, bei denen die Schauspieler symbolbeladene Masken tragen. Es ist der Konfliktstil der Zukunft."

*** Apropos kluge Köpfe. Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat in diesen Tagen anlässlisch der Absage eines Fußballspiels keine gute Figur gemacht, aber Schwamm drüber. Ein Teil seiner Aussagen würde die Leser dieser Wochenschau nur verunsichern. Beachtenswert sind aber seine Sätze in einer Mini-Diskussion über die "digitale Sorglosigkeit" auf dem IT-Gipfel der Bundesregierung. Ich bräuchte mal von ihnen eine Krisennummer ist als Satz, obwohl er nur halbernst vorgetragen wurde, in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Ausgesprochen vom nominellen obersten Dienstherr des Bundesamtes für Lageberichte über den Stand der IT-Sicherheit, der weltweit größten Sicherheitsbehörde, gegenüber der Institutionen wie die ENISA sich winzig ausmachen. Adressiert an Frank Rieger in seiner Eigenschaft als führenden Kopf des Chaos Computer Clubs, der nach der Erzählung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung die Rufnummernabfrage "mit einem Lächeln zur Kenntnis" nahm. Tatsächlich antwortete Frank Rieger, dass der CCC ein Verein ist, bei dem jeder das tut, was er für wichtig und richtig hält, indem CCCler etwa aktuell Internet in Flüchtlingsheimen installieren. Das ist weit mehr als ein Lächeln, hier auf die Bedeutung der Kommunikation mit der alten Heimat zu verweisen, ob verschlüsselt oder nicht. Hier geht es um die Grundbedürfnisse des Menschen.

*** Auf der Herbsttagung des Bundeskriminalamtes wurden viele große Worte gesprochen wie die zur Ablehnung von Bundeswehreinsätzen im Inneren abseits echter Notlagen. Auch "digitale Bürgerwehren" waren nicht im Sinne des BKA-Chefs Holger Münch – wobei nicht klar wurde, ob Anonymous oder eine andere Gruppe gemeint war. Das meistgeraunte Wort hinter den Kulissen war indes nicht das vom islamistischen Terror, sondern das von "Resonanztaten", also von Anschlägen rechter Extremisten auf Flüchtlingsheime und Gegenreaktionen von Salafisten. Das Wort vom Ende des Glückvorrates machte die Runde, dass mit einer quasi statistischen Sicherheit ein Terroranschlag in Deutschland stattfinden wird. Hinter den Kulissen eilte der Chef des Verfassungsschutzes Hans-Georg Maaßen von Interview zu Interview und warnte vor den an Waffen ausgebildeten Rückkehreren und den Moscheen, die gut besucht sind. Allein den westlichen Lebensstil zu leben, damit die Toleranz und Würde zu demonstrieren, eben die Werte unserer Wohlfühlgesellschaft reiche nicht aus. Natürlich forderte Maaßen auch neues Personal, das 2017 oder 2018 zum Einsatz kommen kann. Hinter einer Paywall der Süddeutschen Zeitung findet sich dieser Gedankengang:
"Bedarf es derzeit besser trainierter und bewaffneter Polizisten? Gut, dann muss ich mehr Steuern zahlen. Ist in IS-Zeiten eine engere Zusammenarbeit europäischer Geheimdienste nötig, macht die längere Vorratsdatenspeicherung Sinn? Selbst darüber sollte man reden, solange jeder mitreden kann. Berechtigte Bedenken muss man deshalb nicht aufgeben. Aber diese Gesellschaft ist gefestigt. Wenn sie unter dem Eindruck der Gefahr Zugeständnisse macht, dann kann sie die dem Staat später auch selbstbewusst wieder nehmen."
Da geht noch was.

Was wird.

Am Montag sollen die Abgeordneten des NSA-Untersuchungsausschusses einen Blick auf jene Selektoren werfen können, die der Bundesnachrichtendienst in eigener Verantwortung auf die von ihm gesammelten Daten loslässt. Es sind nicht die strittigen US-amerikanischen Selektoren, die nach wie vor streng geheim sind, weil man sich unter Freunden vertrauen kann und gemeinsam weiter spionieren muss gegen die Terroristen. Aber es ist ein immerhin ein Einblick in die Funktionsweise der Behörde, die Hand- und Spanndienste für die USA leistet, abseits der Ausführungen gelangweilter Mitarbeiter vor Gericht. Unterforderung am Arbeitsplatz ist jedenfalls eine aparte Begründung und eine tolle Vorlage für den nächsten Bond mit der Lizenz zum Telefonieren.

Auch wenn das Verschlüsseln unter politisch motivierter Verfolgung steht, gibt es Veranstaltungen wie das Forum Privatheit, in dem die Chancen der informationellen Selbstbestimmung in der nahen Zukunft ausgelotet werden. Bei all den Summen, die das Forschungsministerium in neue Projekte der Sicherheitsforschung steckt, ist etwas für die Privatheit übrig geblieben.

Auch da geht noch was. (jk)