Informationelle Selbstbestimmung und "Grundrecht Internet": Neues Denken zwischen alten Fronten

Kann eine von Europa gesetzte Datensparsamkeit der Wirtschaft wie der Politik helfen, die Macht amerikanischer Internet-Konzerne zu begrenzen? Für die einen sind Begriffe wie Privatheit und Privatsphäre veraltet. Andere halten Datensparsamkeit hoch.

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Von
  • Detlef Borchers
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Zwei Tage lang diskutierte das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Forum Privatheit die Frage, wie Privatheit in Zukunft aussehen kann. Beleuchtet wurden juristische, philosophische und ökonomische Aspekte des in Deutschland verbrieften Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, während die technische Seite nur am Rande behandelt wurde. Zum Schluss wurde lebhaft debattiert.

Das Ampel-Modell zur Prüfung von AGB

(Bild: Detlef Bochers / heise online)

Für die einen sind Begriffe wie Privatheit und Privatsphäre veraltet, ihre Definitionen vage und voller Bla-Bla und Sprachmüll. Für die anderen sind sie schlichtweg nicht mehr interessant, wie der österreichische Medientheroretiker Ramón Reichert berichtete.

In seiner Keynote zum Auftakt des zweiten Kongresstages beschäftigte sich Reichert mit der Szene der Selbstvermesser, die ihre Körperdaten veröffentlichen. Sie haben die Weitergabe von Sportdaten extrem positiv aufgeladen und definieren dies gar als neue Kultur definieren. Für Reichert zeugen die Runtastic-Communities davon, dass Arbeit und Privatleben sich zunehmend verschränken, wenn der Marsch im Treppenhaus der Firma genauso gemessen wird wie der heimische Trainingslauf. So löse sich Privatheit auf.

Doch gibt es Widerstände zu dieser Tendenz, wie dies die Workshops der Konferenz zeigten. Sehr häufig wurde der Begriff der Datensparsamkeit und der Datenvermeidung bemüht, wie er seit Mitte der 90er Jahre von den Datenschützern definiert wird. Hier setzte sich das "Forum Privatheit" klar von neuen Bemühungen ab, Menschen den Datenreichtum schmackhaft zu machen. Besonders prägnant vom Wirtschaftsministerium zum IT-Gipfel der Bundesregierung in den Leitplanken digitaler Souveränität formuliert, gab es dazu Widerspruch von den Datenschützern.

Wolf-Dieter Lukas, Abteilungsleiter Schlüsseltechnologien BMBF, meint,Technik könne und müsse dem Datenschutz dienen.

(Bild: Detlef Borchers / heise online)

Vehement kritisierte Marit Hansen, die Leiterin des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz in Schleswig Holstein (ULD) in ihrer Stellungnahme die Rede vom Datenreichtum als "unsachlichen Frontalangriff auf ein Kernprinzip des Datenschutzes". Wer Datenreichtum fordere, müsse die Risiken für die informationelle Selbstbestimmung definieren und eingrenzen.

Aus ökonomischer Sicht machte Arnold Picot auf die intransparenten Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) von Internetkonzernen aufmerksam und schlug ein einfaches Ampelsystem vor, bei dem Nutzer schnell erkennen können, ob ihre Daten an Dritte weitergegeben ("vererbt") werden. Martin Rost vom ULD stellte das Standard-Datenschutzmodell (SDM) vor, das er als neues operatives Grundrecht der Datenschützer bezeichnete.

Die juristische Perspektive wurde unter anderem von Gerrit Hornung erklärt. Er fragte die Teilnehmer des Forums, ob das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht im Bündel mit anderen Grundrechten (Unverletzlichkeit der Wohnung, Fernmeldegeheimnis, Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme) zu einem Recht auf Privatheit zusammengefasst werden kann.

Das "Internet als Grundrecht der Demokratie"? Das Podium stritt heftig. (v.l.n.r: Marc Langebeck, Moderator / Jörn Lamla, Forum Privatheit / Marit Hansen, ULD / Stefan Winners, Hubert Burda Media /Gerold Reichenbach, SPD, stellv. Vorsitzender des BT-Ausschusses Digitale Agenda / Konstantin von Notz, Bündnis 90/Die Grünen /
Wolf-Dieter Lukas, BMBF)

Wie die neuen Ansätze auf alte Denkmuster stoßen, konnte in der abschließenden Podiumsdiskussion über das "Internet als Grundrecht der Demokratie" beobachtet werden. Diese Formulierung lehnte der Grüne Politiker Konstantin von Notz umgehend ab, weil man ebenso vom Internet als Recht einer Diktatur sprechen könne.

Wortreich beklagte Stefan Winners von Hubert Burda Media, wie der deutsche Internet-Konzern gegenüber US-Wettbewerbern benachteiligt sei und forderte eine weltweite "Vereinheitlichung der Spielregeln bei Datenschutz und Steuern". Sonst sei sein Unternehmen in einer Notwehrsituation gefangen.

Wolf-Dieter Lukas vom gastgebenden Bundesforschungsministerium wies darauf hin, dass Technik dem Datenschutz dienen könne und müsse, wenn etwa den Bürgern eine einfache Form der Verschlüsselung ihrer Daten angeboten werde.

Das brachte von Notz auf die Palme, der sich unter großem Beifall sich darüber entrüstete, dass die Bundesregierung 200 Spezialisten einstellen würde, nur um Verschlüsselungssysteme aufzubrechen. Hier schaffe der Staat Unsicherheit und demonstriere das Unwissen der aktuellen Regierung in Sachen IT-Sicherheit. Sie lasse sich alles gefallen, was Facebook und Google machen würde.

An die Adresse der Regierung gerichtet fragte Marit Hansen, warum der Fernsehkanal der Bundesregierung auf Youtube existiere. Sie beklagte mangelnde Sanktionsmöglichkeiten der Datenschützer ebenso wie die mangelhafte Umsetzung gesetzlicher Vorgaben. In seinem Schlusswort zeigte sich Lukas optimistisch: "Das Internet ist ein Instrument unserer Gesellschaft und wir können die Richtung bestimmen." (jk)