Das Olympia-Debakel der Medien und Parteien

Was Prognosen und Reaktionen vieler Medien über die Wahrnehmung der politischen Sphäre aussagen. Ein Kommentar

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Debakel, Desaster, Katastrophe – der mediale Reflex nach der Abwahl der Olympischen Spiele 2024 durch die Hamburgerinnen und Hamburger war beachtlich. Was für die einen eine demokratische Entscheidung war, machte die anderen fassungslos. "Olympia-Debakel: Entsetzen ist groß", titelte die Mittelbayerische Zeitung. "Ein Desaster", kommentierte die Frankfurter Rundschau. Die FAZ hob die Reaktion des Präsidenten des Deutschen Olympischen Sportbundes, Alfons Hörmann, in den Titel: "Das ist eine Katastrophe".

Die unmittelbare Reaktion ließ einige Akteure und Redakteure übers Ziel hinausschießen. Diskuswerfer Robert Harting schimpfte auf Facebook über "Vision von McDonalds und unbeweglichen Kindern, von dicken Kindern". Und selbst die tagesschau.de schrieb am Morgen vom "Debakel", um diese Wertung nach Leserprotesten zu entfernen. Spiegel Online titelte – in dieser Reihenfolge: "Geschockt, enttäuscht, begeistert", wo es eigentlich doch hätte heißen können: "Begeistert, zufrieden, enttäuscht".

Etablierte Redaktionen, so konnte man meinen, taten sich zu Wochenbeginn schwer, ein demokratisches Votum zu akzeptieren, das den wirtschaftlichen, medialen und politischen Kräfteverhältnissen trotzte. Auf der einen Seite stand die GmbH "Feuer und Flamme für Hamburg", ein Bündnis mit Unterstützung von Privatpersonen, Unternehmern, Verbänden, Vereinen, der Handelskammer, Stiftungen, dem Hamburger Sportbund, Medien des Axel-Springer-Verlags, den Grünen, der SPD, der CDU, der FDP, der Funke Mediengruppe und anderen Akteuren. 1,6 Millionen Euro soll die Kampagne gekostet haben.

Auf der anderen Seite stand das Bündnis "NOlympiaHamburg", eine spendenfinanzierte Basisinitiative, die offenbar den Nerv der Hanseaten getroffen hatte. Angesichts eines zweifelhaften Finanzierungskonzeptes und der sogenannten Elbphilharminie, einer 800-Millionen-Euro-Bauruine in der luxuriösen Hafen-City, verzichteten die Hamburgerinnen und Hamburger. 52 Prozent votierten gegen das Mega-Event (Hamburger sparen 1,2 Milliarden - oder deutlich mehr)
. Entgegen aller Erwartungen und professionellen Prognosen übrigens.

Solche Vorhersagen und auch die ersten Reaktionen etablierter Medien sagen in erster Linie etwas über deren Wahrnehmung der politischen Sphäre aus. Wenn die Regierung aus Sozialdemokraten und Grünen für die Olympischen Spiele ist, wenn die CDU dafür ist und die FDP – was kann dann schon schiefgehen?

Das ZDF etwa stellte eine eigene Umfrage mit einer angeblich 56-prozentigen Befürwortung am Abstimmungstag quasi schon als Endergebnis dar: "Dieses Abstimmungsergebnis kam zustande, obwohl kaum jemand den Kostenprognosen für die Spiele geglaubt hat". In der Parteienlandschaft waren alleine die hanseatischen Linken – gegen Bundesgrößen wie Gregor Gysi übrigens – gegen die Bewerbung. Die Sensibilität, Politik breiter als Parteienmeinungen wahrzunehmen, hatten die meisten Medien nicht. Sie haben damit am Sonntag ebenso verloren, weil sie mehrheitlich eine These bestätigt haben, die im medienkritischen Diskurs mit zunehmender Vehemenz vertreten wird: eine zu starke Nähe zur Macht, zu wenig Unabhängigkeit.

Das ist das eigentliche Debakel, das Desaster und die Katastrophe: die vehemente Frontstellung, die Arroganz gegen eine Stadt, die mehr Demokratie gewagt hat als Parteien und Medien ihr zugestanden haben. Eigentlich eine schöne Lehre von der Waterkant.