Mordfall des Menschenrechtsanwalts Tahir Elci: Vorwürfe der staatlichen Vertuschung

Türkei: Oppositionelle monieren Behinderungen bei der Spurensicherung zur Aufklärung des Mordes. Regierung wirft der PKK vor, für den Mord verantwortlich zu sein. Videos werfen Fragen auf

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Der Mord am vergangenen Samstag an Tahir Elci, einem der bekanntesten kurdischen Anwälte, in Diyarbakir im Anschluss an eine Pressekonferenz, wird von staatlicher Seite vertuscht, werfen Oppositionelle der Regierung in Ankara vor.

Obwohl eine bis Montag andauernde Ausgangssperre über das Viertel verhängt wurde, fand nach Aussage des CHP-Politikers Naci Sapan gegenüber der Zeitung Hürriyet bis Montag keinerlei Tatortsicherung statt. Kinder würden mit herumliegenden Patronenhülsen spielen. Die Regierung behauptet, die Staatsanwälte seien bei ihren Ermittlungen von Unbekannten mit Gewehren und Raketenwerfern behindert worden, daher konnten von 83 festgestellten Beweismitteln nur 40 gesichert werden.

Ministerpräsident Ahmet Davutoglu beschuldigte seinerseits die PKK, den Fall vertuschen zu wollen, weil PKK-Mitglieder bei der Pressekonferenz das Feuer auf Polizisten eröffnet haben sollen und ein Querschläger den Anwalt dabei getötet hätte. Der HDP-Kovorsitzende Selahattin Demirtas widersprach dieser Version am Dienstag in Ankara und beschuldigte seinerseits die türkische Regierung, in den Mord verwickelt zu sein. Letztendlich könne nur durch das Auffinden des tödlichen Geschosses der Beweis erbracht werden, dass Elci durch Polizeikugeln starb.

Nach türkischen und kurdischen Medienberichten hatten forensische Untersuchungen ergeben, dass Elci aus größerer Entfernung durch einen Schuss in den Nacken getötet wurde. Dies deutet auf die gezielte Tat eines Scharfschützen und nicht auf einen zufälligen Querschläger hin.

Die HDP stellte am Montag einen Antrag im Parlament zur Einsetzung einer Untersuchungskommission für die Vorgänge. Der Antrag wurde von der AKP und der faschistischen MHP abgelehnt. An die Seite der HDP stellte sich erstaunlicherweise die kemalistische CHP: Der CHP-Abgeordnete Sezgin Tanrikulu, Elcis Vorgänger als Chef der Anwaltskammer, erinnerte während der Parlamentsdebatte daran, dass Nackenschüsse ein Erkennungszeichen des Geheimdienstes der Militärpolizei Jitem bei der Ermordung kurdischer Oppositioneller in den 1990er Jahren waren.

Videoaufnahmen, die in sozialen Netzwerken kursieren, targen nicht zur Aufklärumng bei, sondern werfen weitere Fragen auf: In einem Video, dass von einem Schweizer kommentiert wird, sind Personen, angeblich Zivilpolizisten zu sehen, die aus nächster Nähe auf ihnen Entgegenlaufende, die angeblichen Mörder Elcis, feuern, ohne diese zu treffen, bzw. wirkungslos treffen, weil Geschosse oder Hülsen, genau ist das nicht zu erkennen, an den Beschossenen abprallen.

Dies wird dahingehend gedeutet, dass die Polizisten absichtlich daneben schossen oder eine spezielle, harmlose Munition benutzten. Über das Bildmaterial lässt sich das nicht fraglos klären. Wie so oft bei "Videobeweisen" gibt es Fragen zu Kontext und Ausschnitt, die einer Aufklärung im Wege stehen. So liefert das Video mehr Fragen als Antworten. Wirkliche Aufklärung wäre nur möglich, wenn es eine unabhängige Spurensicherung geben würde, die Antworten auf das im Netz kursierende Videomaterial liefern kann. .

Erdogan unter Verdacht

Die Luft wird dünn für Erdogan: Putin wirft der türkischen Regierung vor, den IS durch Ölkäufe zu unterstützen. Auch Erdogans Sohn Bilal steht unter Verdacht, über seine Reederei dies mit organisiert zu haben. Mittlerweile lebt er mit seiner Familie im italienischen Exil.

Es gibt viele Videos und Aufnahmen im Netz, die den Vorwurf der Zusammenarbeit von türkischen Soldaten und dem IS erhärten. Als gewiss gilt, dass der Grenzübergang Reyhanli in der Provinz Hatay zu den Hauptrouten des Öl- und Waffenhandels zwischen der Türkei und dem IS gehört. Türkische Bauernhöfe an der syrischen Grenze im Hatay dienten als Zwischenlager für Waffenlieferungen.

Auch die Bagdadbahn wurde für Waffenlieferungen genutzt, es gibt Aufnahmen von Zügen, auf denen türkische Panzer zu sehen waren - Adressat unbekannt. Oder Aufnahmen von Islamisten, die im Norden über Unterführungen unter der Bagdadbahn von der Türkei nach Nordsyrien die Grenze passieren. Aber diese Beweise wird Erdogan nicht gelten lassen.