S21: Fast zehn Milliarden für Bahnhof-Verkleinerung

Nicht nur in Berlin und Hamburg, auch in Stuttgart können sie Kostenexplosion. Das Besondere dort: Der neue Tiefbahnhof wird weniger leisten können als der alte Kopfbahnhof

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Die Bahn hat derzeit mehr als ein Problem, und mindestens eines davon ist definitiv selbstgemacht: Der Dauerbrenner Stuttgart 21, die Mega-Baustelle im Herzen der Baden-Württemberger Landeshauptstadt. Gegen den erklärten Willen der Stuttgarter* und mit extremer Polizeigewalt durchgesetzt, wird dort der Hauptbahnhof abgerissen und in den Keller gelegt.

Derzeitge Kostenschätzung: 6,5 Milliarden Euro. Seit 2010 wird gewerkelt und gebuddelt, bis 2021 will man fertig sein. Vielleicht. Erfahrungen mit anderen Baustellen wie der Hamburger Elbphilharmonie oder dem Berliner Flughafen BER (Kosten voaussichtlich 5,4 Milliarden Euro) lassen nichts Gutes erwarten.

Nun hat eine vom "Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21" im Auftrag gegebene Studie eine neue Kostenschätzung ergeben. 9,8 Milliarden Euro werde das ganze Projekt kosten, meint
der Gutachter Martin Vieregg. Der Bau werde frühestens 2024 fertiggestellt werden.

"Die offizielle durch die DB AG selbst vorgenommene Kostenprognose für Stuttgart 21 lag 2008 noch bei 2,8 Mrd EUR. Basierend auf diesen Zahlen wurden politische Beschlüsse getroffen, die später nicht mehr revidiert wurden. Die vorliegende Kostenprognose liegt nun mit 9,8 Mrd EUR genau um Faktor 3,5 höher."
Gutachten der Vieregg-Rössler GmbH

Das Gutachten kommt außerdem zu dem Schluss, dass der teure Umbau die Kapazität des Bahnhofs massiv einschränken werde. Die Planung basiere auf dem Bedarf von 1994. Treppen, Gleise und Bahnsteigbreiten seien auf maximal 32 Züge pro Stunde ausgelegt. Derzeit würden den Kopfbahnhof aber 37 Züge pro Stunde verlassen, da der Regionalverkehr gegenüber 1994 deutlich zugenommen habe. Die Kapazitätsobergrenze des alten Bahnhofs liege laut Landesregierung bei 50 und nach Ansicht des Gutachterbüros bei 54 Zügen pro Stunde.

Bereits im Jahre 2008 hatte die Vieregg-Rößler GmbH im Auftrag des BUND Baden-Württemberg und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Gemeinderat der Stadt Stuttgart für den Umbau Kosten von mindestens 6,8 Milliarden Euro prognostiziert. Bahn und CDU-Landesregierung hatten seinerzeit heftig dementiert. Als Grund für die weitere Verteuerung und die spätere Fertigstellung sehen die Gutachter gravierende Mängel beim Grundwassermanagement und beim Brandschutz.

Das Aktionsbündnis sieht durch die erneute Verzögerung und Verteuerung eine grundsätzlich "neue Lage" geschaffen."Der Ausstieg aus Stuttgart 21 ist jetzt unaufschiebbar", meint Bündnissprecher Eisenhart von Loeper. Ein Baustopp sei notwenig, "um ehrlich Inventur zu machen bei den Kosten". Und weiter: "Statt das Projekt durch Weiterbau mit größtmöglichem Schaden an die Wand zu fahren, muss und jetzt der Ausstieg gemeinsam gelingen."

Gescheitert sei, so Bernhard Knierim vom Bündnis „Bahn für Alle“, „die Konzernstrategie von Grube und seinem Vorgänger Mehdorn mit Zukäufen bahnfremder Logistiker im Ausland und einem Abbau der Eisenbahn in Deutschland“. Nun stehe das Unternehmen mit fast zwanzig Milliarden Euro neuen Schulden seit 1994 und einem Milliardendefizit in diesem Jahr da.

*Update: Das ist so nicht korrekt. Als ich dies schrieb, hatte ich im Hinterkopf, dass es bei dem landesweiten Volksentscheid 2011 eine Mehrheit in Stuttgart für den Ausstieg aus dem Projekt gegeben hatte. Meine Erinnerung war jedoch falsch. Tatsächlich gab es aber auch in Stuttgart eine knappe Mehrheit für den Weiterbau (siehe hier). Aber es bleibt natürlich, dass dem Wahlvolk vor der Abstimmung ausdrücklich versprochen wurde, dass es keine weitere Kostensteigerung geben würde, und dass davon auszugehen ist, dass dieses Versprechen einen nicht unwesentlichen Einfluss auf das Abstimmungsverhalten hatte.