Platzmachen für Geflüchtete aus anderen Ländern

Wie zwei in Deutschland geborene Teenager in ein fremdes Land debattiert und abgeschoben wurden

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Der Fall von zwei Hannoveraner Jugendlichen, die in ein sicheres Herkunftsland abgeschoben wurden, aus dem sie nicht kamen, erregt die Gemüter: Bis Mitte Dezember führten Gzim und Ramiz Berisha das Leben von Teenagern in Hannover. Sie gingen zur Schule und engagierten sich in der Freizeit in der Roma-Selbstorganisation Amaro Drom.

Doch der 16. Dezember veränderte ihr Leben grundlegend. In den frühen Morgenstunden wurden die 13- und 15jährigen Schüler mit ihren Familien abgeschoben. Es waren zwei von insgesamt 125 Menschen, die an diesem Tag aus Niedersachsen zwangsweise in die Balkanländer deportiert wurden. Darunter waren viele Kinder und Jugendliche, die in Deutschland geboren waren, von Anfang die deutsche Sprache gelernt und sich in die deutsche Gesellschaft integriert hatten, also alle die Voraussetzungen erfüllten, die hierzulande von Politik und Öffentlichkeit an eine gelungene Integration gestellt werden.

Wobei diese Forderung bei Gzim und Ramiz Berisha schon deshalb fragwürdig ist, weil sie eben in Deutschland geboren wurden und daher auf die dumm-deutsche Frage, woher sie kommen, eben wahrheitsgemäß nur dieses Land angeben hätten können. Dass sie jetzt in ein ihnen völlig unbekanntes Land abgeschoben wurden, ist die Folge einer Regelung, die vor einigen Monaten für eine kurze Zeit für Debatten sorgte.

Damals wurden Länder wie Bosnien und Herzegowina, Montenegro, Serbien, Kosovo, Albanien und Mazedonien zu "sicheren Herkunftsländern" erklärt. Bei den Grünen gab es deswegen innerparteiliche Auseinandersetzungen. Gefühlt war die Basis dagegen, weil schließlich bekannt ist, dass in diesen Ländern Roma noch immer auf verschiedenen Ebenen diskriminiert werden.

Doch im Bundesrat, wo die Grünen eine Machtstellung haben, stimmte auch der erste und einzige Grüne Ministerpräsident von Baden Württemberg für die Regelung. Nun rollte in allen Bundesländern die Abschiebemaschinerie an. Doch die kritische Öffentlichkeit reagiert kaum.

Platzmachen für andere Geflüchtete

Schließlich liegt der Fokus seit einigen Monaten auf anderen Geflüchteten. Diejenigen, die oder deren Eltern einst aus den Balkanländern kamen, werden jetzt weggeschoben wie ein lästiges Möbelstück. Ihnen wird sogar auch manchmal von zivilgesellschaftlichen Gruppen vorgehalten, dass sie es doch im Vergleich zu Menschen aus Syrien oder Afrika gut haben. Sie sollen sich bloß nicht zieren.

Hier wird eine klare Hierarchisierung unter Geflüchteten aufgebaut. Amaro Drom bringt den Zynismus so auf den Punkt: "Sie sind abgeschoben worden mit der Begründung, dass Deutschland Platz schaffen muss. Deutschland muss Platz schaffen, indem Menschen, die geduldet sind, abgeschoben werden in die Länder, welche von der Bundesregierung als "Sichere Herkunftsländer" eingestuft wurden sind."

Das Schicksal von Gzim und Ramiz Berisha wurde auch deshalb bekannt, weil die beiden sich in der Roma-Selbstorganisation engagierten. Die versucht, die Teenager und ihre Eltern jetzt zurückzuholen und hat eine Petition gestartet. In der Begründung heißt es:

"Wir nehmen es nicht an, dass deutsche Jugendliche von deren Zuhause weggerissen werden und irgendwo hingeschickt werden, wo die Bundesregierung meint, dass es deren "Zuhause" ist. Die zwei Jungs fühlen sich hier heimisch und Deutschland ist deren Zuhause! Die beiden haben hier, in Deutschland, vor, eine Ausbildung zu absolvieren und das Leben auf die Reihe zu bekommen, wie viele andere Jugendliche in deren Alter."

Die Abschiebung von in Deutschland geborenen Menschen in sichere Herkunftsländer, aus denen sie nicht kommen, ist natürlich auch eine Drohung für die nun favorisierten Geflüchteten. Ihnen wird so schon mitgeteilt, der Staat sortiert euch ein und entscheidet, wann ihr Platz zu machen habt. Er entscheidet auch für Kinder, die in Deutschland geboren werden, mit.

Auch Thüringen schiebt ab

Von den bundesweiten Abschiebungen in die Balkanstaaten ist auch Thüringen nicht ausgenommen. Das ist deshalb bemerkenswert, weil dort die Linkspartei den Ministerpräsidenten stellt und das Land im Gegensatz zu Baden-Württemberg im Bundesrat der Erweiterung der sicheren Herkunftsländer nicht zustimmte. Im letzten Jahr gab es in Thüringen während der Wintermonate einen Abschiebestopp.

Der wurde in diesem Jahr nicht verlängert, obwohl Antirassismusgruppen und Flüchtlingsorganisationen ein solches Moratorium einforderten. Wohl, weil Antirassisten von einer von der Linkspartei geführten Landesregierung etwas anderes als ein Mitmachen bei den Abschiebungen erwarteten, gab es dort auch Proteste.

Schon bei der Abschiebung sollte mit einer Sitzblockade die Abfahrt eines Polizeifahrzeugs verhindert werden, in der bereits eine Familie gesessen hatte. "Entgegen ihrer eigenen Presseinformation ging die Polizei teilweise sehr rabiat gegen die Menschen in der Sitzblockade vor. Mehrere Protestierende wurden leicht verletzt“, heißt es in einer Pressemitteilung eines antirassistischen Bündnisses.

So gab es wie bereits in der letzten Woche am vergangenen Donnerstag ab 20:00 Uhr in der Innenstadt Erfurts erneut eine kleine Protestdemonstration gegen die Sammelabschiebungen.

Auch in Bayern gibt es Proteste von zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich allerdings weniger gegen die Abschiebung, sondern gegen die dort übliche Praxis richten, Menschen aus nun zu herkunftssicheren Ländern erklärten Balkanländern schon vor ihrer Abschiebung in Abschiebezentren zu konzentrieren. Kinder werden so aus ihren Schulen herausgerissen und bekommen oft über eine längere Zeit keinen Schulunterricht, lautet die Kritik.