Meinung: Runter vom Sockel

Die Idee, dass die Geschichte von herausragenden Einzelpersonen vorangetrieben wird, ist längst widerlegt. In der Technologiebranche aber lebt dieser Mythos weiter – und er ist schädlich.

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Von
  • Amanda Schaffer

Die Idee, dass die Geschichte von herausragenden Einzelpersonen vorangetrieben wird, ist längst widerlegt. In der Technologiebranche aber lebt dieser Mythos weiter – und er ist schädlich.

Amanda Schaffer ist freie Journalistin und schreibt für "Slate", die "New York Times" und andere Publikationen über Wissenschaft und Medizin.

Seit dem Tod von Steve Jobs 2011 ist Elon Musk zur wichtigsten Berühmtheit des Silicon Valley geworden. Er hat es nicht nur auf die Titelseiten von "Fortune" und "Time" sowie auf die Liste der "größten Erfinder von heute" des "Atlantic"-Magazins geschafft – er diente dem Hollywood-Star Robert Downey jr. sogar als Inspiration für seine Darstellung des Superhelden "Iron Man". Musks Unternehmen Tesla Motors und SpaceX haben in der Tat das Potenzial, ihre Branchen grundlegend zu verändern.

Doch die Geschichten über Musks Rolle dabei klingen merkwürdig überholt. Die Vorstellung von "Great Men", die den Wandel quasi im Alleingang vorantreiben, stammt aus dem 19. Jahrhundert. Heute glauben die meisten Wissenschaftshistoriker nicht mehr an den einsamen Erfinder. Selbst herausragende Persönlichkeiten brauchen ein Umfeld, das Ressourcen und Chancen bietet.

Auch Musks Erfolg wäre ohne staatlich finanzierte Grundlagenforschung und Subventionen nicht möglich gewesen. Er hat von einer langen Reihe früherer Innovationen profitiert. Trotzdem hält sich das Heldenbild bei Journalisten und Wagniskapitalgebern hartnäckig. Das ist nicht nur unfair gegenüber anderen Menschen, die ebenfalls ihren Beitrag zu neuen Technologien geleistet haben. Es verzerrt obendrein die Vorstellung der Öffentlichkeit darüber, wie neue Technologien entstehen – und untergraben so die Strukturen für künftige Innovationen.

Nach Studien der Physik und Ökonomie zählte Musk 1995 zu den Gründern eines Unternehmens namens Zip2, das Online-Landkarten für Unternehmen anbot. Er war zwar nicht der eleganteste Programmierer, doch er arbeitete rund um die Uhr und schlief "auf einem Sitzsack neben seinem Schreibtisch", wie Ashlee Vance in seiner Musk-Biografie schreibt. "Musk war bereit, seine Existenz für den Aufbau dieser Plattform aufs Spiel zu setzen", zitiert Vance einen früheren Mitarbeiter. 1999 übernahm Compaq die Firma, und Musk beteiligte sich an der Gründung eines Finanzdienstleisters, aus dem später PayPal werden sollte. Laut Vance begann er an diesem Punkt, "seinen typischen Stil zu entwickeln – in ein ultrakomplexes Geschäft einsteigen und sich dabei nicht im Geringsten daran stören, dass er nicht viel über seine Feinheiten weiß".

Als PayPal 2002 für 1,5 Milliarden Dollar an Ebay verkauft wurde, hatte Musk genug Geld für seine Leidenschaften. Er investierte mehr als 100 Millionen Dollar aus eigenem Vermögen in das Raumfahrtunternehmen SpaceX und gründete gleichzeitig Tesla. Mit den Jahren kultivierte er in den Medien seine Persönlichkeit als "halb Playboy, halb Weltraum-Cowboy", so Vance. Musk verkauft sich als einen Mann, der im Alleingang Berge versetzt, und lässt andere nur ungern an seinen Lorbeeren teilhaben. Bei SpaceX wurden die Ingenieure "jedes Mal kollektiv wütend, wenn Musk in Interviews wieder einmal behauptete, die Falcon-Rakete mehr oder weniger allein konstruiert zu haben", schreibt Vance.

Dabei ist Musk angewiesen auf Menschen, die mehr Ahnung von Autos und Raketen haben als er selbst – und vielleicht auch mehr soziales Geschick. Wer unter Musk überlebt, ist meist ein Arbeitstier und bereit, auf öffentliche Anerkennung zu verzichten. Bei SpaceX gibt es dafür Gwynne Shotwell, die den laufenden Betrieb leitet, bei Tesla den Chief Technology Officer JB Straubel, der bedeutende technische Fortschritte verantwortet. Sie bleiben stets im Schatten.

Dort bleibt auch die Rolle des Staats. Wenn sich Musk mal wieder über die Nasa aufregt, wirkt er geradezu wahnhaft. "SpaceX profitiert von Jahren und Jahren staatlich finanzierter Technologie und öffentlicher Förderung", sagt Mariana Mazzucato, Ökonomin an der University of Sussex. Als SpaceX 2008 nach drei gescheiterten Versuchen die erste Rakete in die Luft brachte, reichte das aus, um von der Nasa Aufträge über 1,6 Milliarden Dollar zu bekommen. Noch Jahre später beruht das Geschäft von SpaceX weitgehend auf öffentlichen Aufträgen. Auch seine Technologie ist zu guten Teilen aus staatlich finanzierten Projekten entstanden. Das soll nicht etwa bedeuten, dass SpaceX keine eigenen Innovationen beigesteuert hätte. Es hat Raketenstarts zum Beispiel deutlich billiger gemacht. Aber dabei profitiert es von Technologien und bestens ausgebildeten Menschen, die es schon vorher gab.

Ähnlich ist die Lage bei Tesla. Lithium-Ionen-Batterien etwa wurden in den späten 1980er-Jahren mit hohen Zuschüssen des US-Energieministeriums und der National Science Foundation entwickelt. Außerdem hat Tesla erheblich von Kreditgarantien und Subventionen profitiert: 2010 erhielt es vom Energieministerium etwa eine Kreditzusage über 465 Millionen Dollar und von Nevada, wo Musk eine "Gigafactory" für Batterien errichtet, 1,29 Milliarden Dollar an Steuererleichterungen. Hinzu kommen laut "Los Angeles Times" noch einmal eine Milliarde Dollar an weiteren Krediten und Steuernachlässen sowie Subventionen für die Kunden. Gegenüber CNBC sagte Musk immerhin, die Subventionen seien zwar nicht erforderlich, aber dennoch "hilfreich" gewesen. Er beharrt also mehr oder weniger darauf, dass staatliche Unterstützung keine große Rolle in seiner Erfolgsgeschichte spielt.

Für Musks Selbstbezogenheit gibt es ein berühmtes Vorbild: Steve Jobs. So wie sich Musk obsessiv um die Türgriffe oder Touchscreens der Tesla-Wagen kümmert, so brachte auch Jobs leidenschaftliche Intensität in das Produktdesign ein. Aber für die wichtigsten technischen Funktionen von Macs, iPods oder iPhones war Jobs nicht selbst verantwortlich.

Eine korrekte Version der Apple-Story würde die Beiträge anderer – etwa von Designer Jonathan Ive – stärker würdigen. Und den historischen Kontext: "Es gibt keine einzige Schlüsseltechnologie hinter dem iPhone, die nicht staatlich finanziert gewesen wäre", schreibt die Ökonomin Mazzucato – etwa Mobilfunk, Internet, GPS, Touch-screens oder Sprachtechnologie. Apple hat diese Technologien zwar auf ebenso neuartige wie beeindruckende Weise miteinander kombiniert. Doch sie beruhen auf vielen Jahren staatlich finanzierter Vorarbeit. Glauben wir wirklich, dass es ohne Musk und Jobs heute keinen Smartphone-Boom und kein Interesse an Elektroautos gäbe?

Diese Frage ist wichtig, denn das Superman-Gerede bringt erhebliche Kosten mit sich. Zunächst einmal beschädigt es die Kultur des Silicon Valley, indem es als Entschuldigung für fürchterliches Verhalten gilt. Musk ist bekannt dafür, leichtfertig Ingenieure zu demütigen und Mitarbeiter zu feuern. Als seine Assistentin, die Tesla und SpaceX zwölf Jahre ihres Lebens gewidmet hat, 2012 um eine Gehaltserhöhung bat, ließ er sie kurzerhand gehen. Nicht einmal rein geschäftlich gesehen ist Musks Gnadenlosigkeit wirklich nützlich, denn sie gefährdet die überlebenswichtigen Beziehungen zu staatlichen Stellen.

Musks größter Feind werde "immer er selbst und sein Umgang mit Menschen" sein, sagte ein früherer Beamter im Gespräch mit Vance. Ähnlich war auch Jobs für kaltes und anmaßendes Auftreten gegenüber Mitarbeitern bekannt. "Diese Bösartigkeit war nicht nötig", schreibt Walter Isaacson in seiner Jobs-Biografie. "Sie hat ihm mehr geschadet als geholfen." Wenn das Silicon Valley weiterhin talentierte Menschen anziehen möchte, wären motivierendere Management-Praktiken sicherlich hilfreich.

Heldenmythen sind noch auf andere Weise schädlich: Gelten Technologie-Leitfiguren als singuläre Einzelkämpfer, können sie leichter einen unangemessenen Anteil am Gewinn einstreichen, statt ihn durch den Verzicht auf Steuertricks teilweise wieder zurück an Agenturen wie die Nasa oder die National Science Foundation fließen zu lassen.

Und zuletzt: Die Anbetung von Technikhelden kann unsere Visionen für die Zukunft verzerren. Warum sollte der Staat beispielsweise den öffentlichen kalifornischen Personenverkehr ausbauen, wenn Musk behauptet, man könne Menschen mit 1200 Kilometern pro Stunde durch einen "Hyperloop" jagen? Eine Gesellschaft muss ihre langfristigen Prioritäten im Technologiebereich selbst bestimmen, ohne dabei den persönlichen Visionen einiger Stars übermäßiges Gewicht einzuräumen.

Statt also die Technologie-Leitfiguren auf ein Podest zu stellen, sollten wir die Rolle des Staates bei der Finanzierung von Grundlagenforschung und als Partner für neue Vorhaben stärker würdigen. Wer die Bedeutung öffentlicher Investitionen herunterredet, erschwert zukünftige Innovationen. (bsc)