32C3: Bei Stromtankstellen "ist vieles schon kaputt"

Der Energietechniker Gunnar Thöle hat auf dem Hackerkongress auf Probleme rund um die Ladeinfrastruktur für Elektroautos wie zu teure Stecker, einen Wildwuchs bei der Abrechnung oder geheime Datenprotokolle hingewiesen.

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32C3: Bei Stromtankstellen "ist vieles schon kaputt"
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Die Politik und die Autoindustrie messen der Elektromobilität seit Jahren hohe Bedeutung zu. Im Alltag fangen die Herausforderungen häufig aber schon beim Laden von "stromschluckenden" Autos an. Die entstehende Infrastruktur "öffentlicher Stromtankstellen" biete zwar viel Potenzial für "kreative Nutzungen", erklärte der Energietechniker Gunnar Thöle am Dienstag auf dem 32. Chaos Communication Congress (32C3) in Hamburg. "Vieles ist aber heute schon kaputt."

Der Nordfriese verwies vor allem auf praktische Einsatz-, Sicherheits- und Datenschutzprobleme, für die bislang Lösungen fehlten. Man komme in Europa zwar mittlerweile mit einem Elektrofahrzeug prinzipiell ganz gut "von Brüssel bis Bergen", wenn man vorab ein wenig plane. Hierzulande gebe es mittlerweile ungefähr 4500 öffentliche Ladeplätze, wobei die Durchdringung nur in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern noch "etwas schlechter" sei. Die meisten dieser modernen Tankstellen erlaubten aber nur ein vergleichsweise langsames Laden mit Wechselstrom.

Zudem sei das Bezahlen "ein Graus". Die Anbieter setzten auf "viel zu viele RFID-Karten", die man oft noch bei den einzelnen Stadtwerken direkt abholen müsse. RWE ermögliche den Geldtransfer mit einer App, die aber offenbar "noch keiner überprüft" habe. Da müsse man dann "zwei bis drei Minuten auf seinem Smartphone rumwischen", was das Verfahren vor allem bei schlechtem Wetter und langsamer Mobilfunkverbindung irgendwo in der Wildnis "schwierig" gestalte.

E-Roaming-Vermittler wie etwa Hubject oder E-Clearing verlangten oft horrende Einstiegssummen, monierte Thöle weiter. Da eine Ladung in der Regel nur ein paar Euro koste, böten auch nur die Volks- und Raiffeisenbanken eine Möglichkeit zum Bezahlen mit EC-Karte an. Theoretisch sei es machbar, die Fahrzeugkennung zur Abrechnung zu übermitteln. Der entsprechende offene Standard werde aber "von niemand angewendet". Die anderen Finanzinstitute meinten, dass die Transaktionsgebühren zu hoch seien. Insgesamt sei es fast unmöglich, Stromtankstellen datenschutzfreundlich und anonym zu nutzen. Der Techniker warf daher die Frage auf, wann man dort endlich "per Bitcoin" bezahlen könne.

Nicht einfacher macht die Sache Thöle zufolge, dass sich gleich drei Systeme für Gleich- und Wechselstrom zum Akkuladen von Autos mehr oder weniger etabliert haben. Gemeinsam hätten sie alle, dass die Ladestellen und die Stecker "viel zu teuer" seien. "Open Hardware"-Projekte etwa für einen "Universal Electric Vehicle Charging Station Controller" (OpenEVSE) oder eine einfache analoge Ladesteuerung (analogEVSE) seien am Laufen, könnten aber offenbar noch Unterstützer gebrauchen.

Ladesäulen mit Typ-2-Stecker erkennen über Widerstände, ob ein Fahrzeug angeschlossen ist und welchen Ladestrom es verdauen kann.

Sympathien zeigte der Fachmann für den Stecker-Typ 2, den die EU-Kommission für den alten Kontinent als Standard zum Wechselstromladen festgelegt hat. Die Funktion der Signalkontakte für diese Variante wurde schon 2001 mit Typ 1 in den Normen SAE J1772 und IEC 61851 beschrieben.

Der Standard beschreibe 7 Pins: drei Phasen, Sternpunkt, Schutzleiter und zwei Steuersignale, erläuterte Thöle. Das Protokoll für den Stecker sei simpel, wenn man es "in richtiger Reihenfolge bedient, kommt Strom". Dies habe den Vorteil, dass der Nutzer während einer Ladepause Energie abziehen könne, um etwa mit einem Elektrokocher Würstchen heiß zu machen oder "den Freifunkrouter mit anzuschließen". Hamburg mache es noch einfacher, diese angenehmen Nebeneffekte zu genießen, da die Stadt gleich eine "Schukosteckdose fürs Handy" mit anbiete.

Beim hierzulande favorisierten Combined Charging System (CCS), das auf dem Typ-2-Stecker basiert und Gleichstrom- sowie Wechselstromladeverfahren zulässt, kritisierte Thöle, dass es noch so gut wie gar nichts "Offenes" dazu gebe. Interessierte könnten sich das Protokoll als nicht gerade günstige DIN-Spezifikation kaufen, aber sonst sei im Bereich einer breiteren Anwendungsplattform noch wenig passiert.

Beim alternativen, von japanischen Autobauern entwickelten Gleichstromladeverfahren Chademo sei die Ausrüstung auch "viel zu teuer", fuhr der Experte fort. Schon ein Stecker dafür koste über 1000 US-Dollar. Abhilfe könnten eventuell per 3D-Druck realisierte Modelle schaffen. Es fehle zudem ein Gerät, "mit dem man an den Batterieinhalt kommt". Tesla wiederum wandere mit seiner proprietären Typ-2-Weiterentwicklung auf den Spuren Microsofts. Niemand wisse, was an den "Superchargern" der Kalifornier genau passiere.

Schon zu Beginn seines Vortrags hatte der Techniker an die Hackergemeinde appelliert, Stromtankstellen durchaus als Experimentierfeld zu sehen, es dabei aber nicht zu übertreiben: "Nehmt den Leuten nicht die Mobilität", betonte er. Diese sei zumindest genauso wichtig wie das Internet.

[Update 4.1.2016 15:55] Satz zur Einstiegsinvestition korrigiert. The New Motion bietet nach eigener Angabe die Anbindung ans IT-Backend kostenlos an. (ea)