Wie zwei Schildkrötenarten zurückkommen

Mit einer Mischung aus moderner Technologie und altmodischer Zucht wollen Forscher auf den Galapagos-Inseln zwei ausgestorbene Unterarten von Riesenschildkröten zurückholen. Ihr bekanntester Vertreter war Lonesome George.

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Von
  • Kenrick Vezina

Mit einer Mischung aus moderner Technologie und altmodischer Zucht wollen Forscher auf den Galapagos-Inseln zwei ausgestorbene Unterarten von Riesenschildkröten zurückholen. Ihr bekanntester Vertreter war Lonesome George.

In den Genpools von Schwesterarten verbergen sich noch ausgestorbene Unterarten der Galapagos-Riesenschildkröte, die nur darauf warten, von Artenschützern wieder herausgelockt zu werden. Das zumindest ist die Idee hinter einem auf mehrere Jahre angelegten Plan, mit einer Kombination aus genetischen Analysen und sorgfältiger Zucht die Pinta- und die Floreana-Riesenschildkröte zurückzubringen.

Die Geschichte begann im Jahr 2008 mit der Kennzeichnung und genetischen Analyse von mehr als 1500 Schildkröten, die auf der Insel Isabela leben, berichtet Sandra Blakeslee in der New York Times. Bei sieben der untersuchten Schildkröten fanden sich große Anteile von Pinta-DNA, einer Unterart, die 2012 mit dem Tod einer in Gefangenschaft lebenden Schildkröte namens Lonesome George ausgestorben war. George war eine echte Berühmtheit für den Artenschutz und ein Symbol für das fragile Ökosystem auf den Galapagos-Inseln, die Charles Darwin zu seiner Evolutionstheorie inspirierten.

Weitere 89 Tiere entsprachen zumindest teilweise einem genetischen Profil für die Unterart Floreana-Schildkröte. Bei der war man eigentlich davon ausgegangen, dass sie schon bald nach Darwins Besuch auf dem Archipel von hungrigen Seeleuten ausgerottet wurde. Einige dieser Tiere schienen sogar reine Floreana-Schildkröten zu sein, möglicherweise Nachkommen der Linie, die ihren Weg auf die Insel fand, nachdem sie in der nahegelegenen Bucht über Bord geworfen worden war.

In diesem November kehrten die Wissenschaftler zurück, um die Schildkröten einzusammeln, die in ihrem Erbgut Spuren ihrer ausgestorbenen Verwandten tragen. 32 Tiere wurden laut dem Bericht von Henry Nichols in Nature per Lufttransport von der Insel geholt. Allerdings ließen sich nur 7 der bei der Untersuchung im Jahr 2008 identifizierten Tiere wiederfinden. Bei den restlichen arbeitete das Team visuell: Es suchte nach Exemplaren mit einer besonders gut sichtbaren Sattelform des Panzers, wie sie für Pinta- und Floreana-Schildkröten charakteristisch ist. Eines davon war angeblich sogar ein toter Doppelgänger des späten Lonesome George höchstselbst.

Als Nächstes ist geplant, die Tiere in Gefangenschaft zu züchten, um die einzigartige Genetik der verlorenen Populationen so weit wie möglich neu zu erschaffen. „In nur ein paar Generationen müsste es möglich sein, Schildkröten mit 95 Prozent der „verlorenen“ Gene ihrer Vorfahren zu bekommen“, schreibt Blakeslee.

Dieser Ansatz unterscheidet sich sehr von den dramatischeren „Anti-Auslöschungsplänen“, die von Menschen wie dem Harvard-Genetiker George Church und der Long Now Foundation vorangetrieben werden. Diese Pläne beruhen auf genetischer Rekonstruktion und Klonierung. Technisch ist es möglich, jede Art zurückzuholen, für die wir genetisches Material haben – ob über Proben in Museen wie bei der Wandertaube oder über gut erhaltene Fleischstücke wie im Fall der Mammuts. Lonesome George ist mit Sicherheit gut erhalten, weil er nach seinem Tod eingefroren und präpariert wurde, doch in seinem Fall gibt es noch keine Klon-Ambitionen.

Stattdessen arbeiten die Forscher mit genetischen Analysen, insbesondere mit markergestützter Selektion. Dabei handelt es sich im Prinzip um klassische Zucht, nur erweitert durch die Fähigkeit, das Genom von Zuchtpartnern zu analysieren, um darin genetische Marker für die gewünschten Merkmale zu finden. Am Computer erstellte Rekonstruktionen der Pinta- und Floreana-Genome sollen als Ziele für das Zuchtprojekt dienen, und mit Computerhilfe werden auch Vorhersagen über das Ergebnis von komplexen genetischen Kreuzungen erstellt. Selbst wenn das Projekt keinen Erfolg hat, ist es ein Meilenstein bei der Nutzung von Genetik für den Artenerhalt: „Dies ist das erste Mal, dass genetische Informationen so konsequent eingesetzt werden“, sagt Linda Cayot, wissenschaftliche Beraterin für die Galápagos-Naturschutzbehörde.

Fairerweise muss man erwähnen: Eine verlorene Spezies kann nie vollständig wiederhergestellt werden – ökologisch gesehen ist dafür mehr erforderlich als nur eine bestimmte Gen-Ausstattung. Trotzdem dürften die neu gezüchteten Annäherungen ökologisch besser zu den Inseln passen, von denen sie stammen. Die Hoffnung ist also, dass eine kunstvolle Mischung aus Technologie und ganz altmodischem Kindermachen dazu führen wird, dass zwei der von Darwins Arbeiten bekannten Inseln einen Teil ihres einzigartigen evolutionären Erbes zurückbekommen.

(sma)