Türkei: HDP zieht vor Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte

Die türkisch-kurdische Oppositionspartei beklagt Entzug der Grundrechte durch Ausgangssperren in Kurdengebieten. Indessen erregt Präsident Erdogan Aufsehen mit einem Hitler-Vergleich

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Die stellvertretende Co-Vorsitzende der türkisch-kurdischen Oppositionspartei HDP, Meral Danis Bestas, hatte wegen der Ausgangssperren in den kurdischen Gebieten einen Eilantrag vor das türkische Verfassungsgericht gebracht. Die Ausgangssperren seien gesetzeswidrig, beklagt der Antrag, weil "der Bevölkerung Grundrechte wie Freiheit, Recht auf Leben, Bildung und Reisefreiheit entzogen werden".

Das türkische Verfassungsgericht lehnte den Antrag jedoch ab. Deswegen zieht die HDP jetzt mit einem entsprechenden Eilantrag vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ein.

Die Ausgangssperren gelten mittlerweile in 18 Städten. Die Schulen wurden in den betroffenen Gebieten geschlossen, die Lehrer abgezogen. Die Bewohner sind zum großen Teil von der Wasser-, Strom- und Lebensmittelversorgung abgeschnitten. Dem türkischen Militär wird sogar die aktive Zerstörung von Stromleitungen vorgeworfen, untermauert werden die Vorwürfe mit Videos.

Durch den Kälteeinbruch verschärft sich die Situation zunehmend. Ohne Strom, Wasser, Lebensmittel und Heizungsmöglichkeiten kapitulieren in den kurdischen Gebieten immer mehr Menschen und packen ihr verbliebenes Hab und Gut. 200.000 Menschen sollen mittlerweile auf der Flucht sein. Das brutale, auf Einschüchterung abzielende Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte in den kurdischen Orten soll laut kursierenden Schätzungen bislang für beinahe 200 Opfer unter der Zivilbevölkerung gesorgt haben, darunter viele Frauen, Kinder und Alte, wird hervorgehoben. Offiziell beglaubigt sind diese Zahlen nicht, allerdings sind die Terroraktionen der türkischen Armee nicht zu übersehen (Der Krieg der Türkei und Europas Schweigen).

Die Bewohner der kurdischen Städte und Dörfer, Frauen und Männer, wehren sich mit der Ausrufung von selbstverwalteten Zonen und bildeten Bürgerräte, die versuchen, das Lebensnotwendigste zu organisieren. Jugendverbände versuchen, belagerte Stadtviertel gegen das Militär zu verteidigen.

Politisch sucht man Wege, den Friedensprozess wieder anzuwerfen. So fand am Wochenende in Diyarbakir (kurd. Amed) eine Zusammenkunft des DTK (Kongress für eine Demokratische Gesellschaft) statt. Der Kongress forderte "die Beendigung der gewaltsamen Angriffe des türkischen Staates auf die kurdische Zivilbevölkerung im Südosten der Türkei und eine Wiederaufnahme des Friedensprozess zwischen der türkischen AKP - Regierung und der PKK".

Zu hoffen ist, dass solche Friedensappelle Gehör finden bei Kräften, die, wie die EU, Einfluss auf die türkische Regierung haben.

Erdogan spricht von Hitler-Deutschland

Für internationale Beachtung sorgte jedoch wieder einmal der türkische Präsident Erdogan - mit einem Hitler-Vergleich. Erdogan wirbt bekanntlich derzeit in eigener Sache dafür, dass das Präsidentamt in der Türkei mit mehr Machtbefugnissen ausgestattet wird. Von Journalisten befragt, wie sich ein Präsidialsystem mit der Beibehaltung der "einheitlichen Staatsstruktur" in der Türkei vertrage, fiel Erdogan folgender Satz ein, der von mehreren Medien wiedergegeben wurde - und auch in einem Bild-und Tonmitschnitt dokumentiert ist:

"Es gibt aktuell Beispiele in der Welt und auch Beispiele in der Vergangenheit. Wenn Sie an Hitler-Deutschland denken, haben Sie eins. In anderen Staaten werden Sie ähnliche Beispiele finden."

Die europäischen Medien zeigten sich irritiert über die Hervorhebung von Hitler-Deutschland. Im Nachhinein relativierte Erdogans Büro die Äußerungen, die die türkische Zeitung Hürriyet als erste zitiert hatte. Es sei "inakzeptabel", dass die Bemerkungen Erdoğans als "positive Referenz" zum Nationalsozialismus "interpretiert" würden, teilte Präsidentenbüro am Freitag mit. Es sei inakzeptabel, den Eindruck zu erwecken, Erdogan stelle Hitler-Deutschland in einem positiven Licht dar, erklärte das Präsidialamt.

Im "korrigierenden Rückzieher" argumentiert das Präsidialamt laut Berichten damit, dass Erdogan lediglich aufzeigen wollte, dass ein Präsidialsystem keine föderative Ordnung zur Grundvoraussetzung haben müsse. Vage bleibt, wie Erdogan das Präsidialsystem in seinen Bemerkungen gegen Möglichkeiten des Machtmissbrauchs abgrenzt hat.

So fragen sich Kritiker Erdogans zurecht, warum ihm dazu gerade ein Hitler-Vergleich einfällt. Es gäbe andere, worauf ja auch in der Rechtfertigung im Nachhinein hingewiesen wird. Angesichts der Politik, die Erdogan in den letzten Monaten in den Kurdengebieten, bei der Vorbereitung von Neuwahlen und dem Einsatz der Killerkommandos der "Esedullah Timleri" verfolgt hat, gibt es nicht wenige kritische Beobachter, die darin diktatorische Elemente erkennen und auch im Hitler-Vergleich mehr sehen als eine missverständliche Äußerung.