Wohlfühlbeauftragt

Nach kühler Sachlichkeit scheinen nun gefühlsbetonte Trends im Anmarsch zu sein. Es gibt das ganze auch schon als Beruf – den Chief Happiness Officer.

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Von
  • Peter Glaser

Nach kühler Sachlichkeit scheinen nun gefühlsbetonte Trends im Anmarsch zu sein. Es gibt das ganze auch schon als Beruf – den Chief Happiness Officer.

Als der amerikanische Internet-Unternehmer Tony Hsieh ein Buch mit dem verheißungsvollen Titel Delivering Happiness veröffentlichte – Glück verbreiten –, war er bereits seit längerem CEO des erfolgreichen Online-Schuh- und Bekleidungsshops Zappos und ein gefragter Referent auf Kongressen. Hsieh schrieb das Manuskript in zweieinhalb Wochen, zum Teil in hochkonzentrierten Schichten von bis zu 24 Stunden, wachgehalten von Kaffeebohnen in Wodka. Das Buch hielt sich 27 Wochen lang in der Bestsellerliste der New York Times.

Glück in einem Unternehmen? War es bislang nicht so gewesen, dass man Geschäfte und Gefühle sorgsam auseinanderhielt? Frei nach dem Motto: Fachleute sind wie Atombomben: wirkungsvoll, teuer und schwer zum Explodieren zu bringen. Seine Gefühle unter Kontrolle zu halten, war immer gleichbedeutend mit Professionalität gewesen. Wenn jemand möchte, dass man, in der Julihitze schwitzend, eine stimmungsvolle Weihnachtsgeschichte für ihn schreibt, weil er ein halbes Jahr vorproduziert: kein Problem. Oder wenn der Auftraggeber ein Choleriker, unentschlossen, ein Leuteschinder oder alles zusammen ist: ganz bei der Sache bleiben und Empfindungen so leise drehen wie es eben geht. Don't cry, work.

Auch wenn es von Tony Hsies Wohlfühlwerk keine deutsche Übersetzung gibt, so hat es doch ein davon inspiriertes neues Berufsbild bis nach Deutschland geschafft: der Chief Happiness Officer. (Auf der Suche nach Informationen zu dem neuen Arbeitsfeld wird man in der englischen Wikipedia übrigens direkt zu dem Fastfood-Maskottchen Ronald McDonald umgeleitet.) In den USA ist der Titel längst nicht mehr ungewöhnlich. Hsieh etwa füllt die Funktion inzwischen in seinem eigenen Unternehmen aus.

Hierzulande zu den Pionieren gehören Firmen wie die Münchner Digital-Agentur Cobe, die sich neben vier Geschäftsführern auch einen Glücksbeauftragten leistet, Johannes Deck. Das hat ganz unromantische Gründe, die Geschäftsführer Felix van de Sand unter der Bezeichnung "Barcelona-Prinzip" zusammenfasst: Man möchte seine Mitarbeiter binden, so wie der Fußballclub seine Spieler selbst großzieht und zu halten versucht. "Über Gehälter können wir nicht mit den großen Agenturen um Talente konkurrieren", konstatiert van de Sand. "Also müssen wir ein anderes Alleinstellungsmerkmal schaffen. Bei uns können sich die Mitarbeiter entwickeln. Und – sie sollen sich wohl fühlen." (Der Vorname Felix kommt, nebenbei, aus dem Lateinischen und bedeutet "der Glückliche").

Die konkrete Arbeit des Glücksoffiziers besteht vor allem aus Kommunikation. Deck spricht viel mit den Kollegen über ihre Ziele, ihre Antriebe, ihre Gestaltungswünsche. In einem nächsten Schritt möchte er für jeden Mitarbeiter einen individuellen Entwicklungsplan erstellen, in dem die persönliche Motivation zum Tragen kommt.

Und es ist nicht nur das Glück. Es ist der ganze weiche Bogen der Gefühle, der sich nun wie eine wundersame Brandung durch die kantige Welt des Kommerz bewegt. Tatsächlich soll sich der moderne, maschinenumstellte Mensch auch an seinen Gefühlen zutiefst erkennen lassen. Während Viele angesichts moderner Überwachungsmethoden Alpträume bekommen, fühlt sich der potenzielle Besitzer eines neuen Bentley offenbar geschmeichelt, wenn mit großem Aufwand versucht wird, in sein Innerstes vorzudringen. Mit Hilfe einer App namens Inspirator lässt sich eine Luxusversion der Inbetriebnahme vornehmen, indem zuerst ein virtueller Bentley basierend auf Leidenschaften, Lebensart, Geschmack und Persönlichkeitstypus des neuen Besitzers zusammengestellt wird.

Gefühlserkennungssoftware misst und analysiert die Emotionen des künftigen Eigners anhand nuancierter Gesichtsausdrücke. Bei der Programmierung griff der Fahrzeughersteller auf die weltgrößte Gefühlsdatenbank zurück, in der aus 3,4 Millionen Gesichtern aus 75 Ländern 12 Milliarden Emotionsdatenpunkte extrahiert werden konnten. Die Inspirator-App identifiziert 34 signifikante Stellen im Gesicht, während der Kunde einen gefühlsbetonten Film gezeigt bekommt, und verwendet die Reaktionen darauf anschließend zur Konfiguration des perfekten Bentley.

Glückliche Menschen haben ihr Leben selbst in der Hand. Sie schaffen die Balance zwischen dem, was sie haben und dem, was sie wollen. Und glückliche Menschen sind kreativ und neugierig. Dem Glücksforscher Ed Diener zufolge sammeln sie kleine, positive Anlässe zu einem Kontinuum stiller Wonne, statt auf das große Glück zu warten. Der Emotionsexperte Mihaly Csikszentmihalyi nimmt an, dass bestimmte Verrichtungen wie Essen, Reden, Geselligsein, Sex, Sport oder Mediengenuss den Menschen potenziell glücklich machen und dass es darüber hinaus eine bestimmte Intensität von Gefühlen gibt – nicht zu wenig, nicht überfordernd – die ein glücksnahes Gefühl auslösen. Csikszentmihalyi gab ihr den Namen Flow.

Gefühle sind die interessanteste Art von Ungenauigkeit, die wir kennen. Sie helfen uns, auf große, schwer bestimmbare Informationsschwaden, die uns sowohl aus unserem Körper und aus der ihn umgebenden Welt, wie auch von unseren Mitwesen erreichen, schnell und konsistent zu reagieren oder selbst initiativ zu werden. Sie machen das Unmögliche möglich, indem sie Widersprüche in der Schwebe lassen oder scheinbar unzusammengehörende Signale aus den Informationsozeanen miteinander verbinden und so, wie Unterseevulkane, die neue Inseln bilden, Fundamente für die Vernunft legen.

Gefühle sind die Fußsoldaten der Vernunft. Manchmal sehe ich das, was wir Tagesbewusstsein nennen, als ein einziges hell erleuchtetes Fenster hoch oben in einer dunklen Wolkenkratzerstadt, die wir insgesamt sind, und in der weich, schwarz und schnell die Gefühlsströme fließen und uns mit allem versorgen, das es außer ein wenig Vernunft noch braucht. (bsc)