Der Schutzwall gegen Populismus wird brüchig

Wenn ein Essener SPD-Ortsverband wie Pegdia klingt und eine liberale Publizistin Anleihen bei Sarrazin macht

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

"Genug ist genug Integration hat Grenzen der Norden ist voll." Ohne Punkt und Komma stehen diese Sätze unter einen Aufruf für einen Fackelmarsch und man denkt sofort an die AFD, an Pegida oder ähnliche Gruppen. Doch es waren Ortsvereine der SPD-Essen, die mit diesen Parolen zu Aktionen gegen Flüchtlingsunterkünfte in der Essener Nordstadt aufgerufen hatten.

Es bedurfte erst eines Machtworts der NRW-Ministerpräsidentin, bis ihre Parteifreunde aus Essen die Aktion absagten. Mittlerweile betreibt der verantwortliche SPD-Lokalpolitiker Schadensbegrenzung und entschuldigt sich für die "falsche Wortwahl". Eine bessere Formulierung hat er im FR-Interview schon parat: "Für eine gerechte Verteilung der künftigen Flüchtlingsstandorte in der Stadt Essen."

Die AfD kann auch aus der Absage der geplanten Aktion noch Profit ziehen. Schließlich kann es der Partei nur recht sein, wenn ihre Parolen bei den etablierten Parteien so gut ankommen. Aber es wäre zu einfach, jetzt die Schuld einer besonders fordistisch geprägten SPD zu geben, die vielleicht eine aussterbende männliche Arbeiterklasse repräsentiert, der die Arbeit ausgeht.

Eine Liberale warnt vor der "Diktatur des Guten“

Denn in diesen Tagen werden auch manchen anderen Ansichten vertreten, die man eigentlich nur am rechten Rand vermutete. Die Publizistin Viola Roggenkamp ist eine belesene Liberale, die sich gegen den Antisemitismus und für die Rechte von sexuellen Minderheiten einsetzt. In der letzten Woche begann sie einen längeren Artikel über die deutsche Flüchtlingspolitik mit einem seltsamen Einstieg. "Gute deutsche Freunde reden nicht mehr mit mir. Meine Meinung dümpelt nach ihrer Meinung in der braunen Brühe rechtsextremer Gesinnung. Was habe ich Schreckliches gesagt?"

Wer Roggenkamps bisherige Texte kennt, ist verwirrt. Wie könnte man ihr auch nur eine Nähe zu rechtem Gedankengut vorwerfen? Doch je mehr man sich mit ihren Beitrag beschäftigt, desto größer wird das Gefühl, der Einstieg sei auch eine Warnung an die Leser.

Zunächst äußert sie Befürchtungen, die angesichts der Kölner Silvesternacht sicher gerade für Menschen, die sich für die Rechte von Frauen und sexuellen Minderheiten einsetzen, nicht unbegründet sind:

"Wir sind Zeugen von etwas geworden, was uns alle erschreckt hat: sexuelle Terrorisierung westlicher Frauen durch muslimische Männer, und dem gegenüber eine hilflose Polizei. Nach Aussagen von betroffenen Frauen haben sich die Männer verhalten, als täten sie nichts Außergewöhnliches, nichts Verbotenes."

Doch dann driftet der Text in eine Richtung, die eine Zustimmung aus dem rechten Lager geradezu herausfordert:

"Wir leben in der Diktatur des Guten. Wie kam es dazu? Der ganze Schlammassel begann, als die Bundeskanzlerin in Rostock einem palästinensischen Mädchen, kurz vor dessen Abschiebung in den Libanon, unmissverständlich vor laufender TV-Kamera erklärte, weshalb Deutschland nicht allen Menschen helfen könne. Das kam gar nicht gut an. Und wenig später die frohe Botschaft aus Berlin: Deutschland schafft das."

Schon der Zusammenhang ist konstruiert. Es wird unterstellt, die kritischen Äußerungen auf das Merkel-Statement hätten die Bundeskanzlerin dann bewogen, die Grenzen zeitweilig zu öffnen. Unterschlagen wird, dass es die Autonomie der Migration war - tausende Geflüchtete, die an den Grenzen standen -, die diese zeitweilige Öffnung bewirkte. Auch Roggenkamp sagt nicht, was stattdessen hätte geschehen sollen Mit solchen Fragen gibt sich Roggenkamp nicht ab, um immer mehr in eine Sprache zu verfallen, die Pegida gefällt:

"Es gibt in der westlichen Welt kein zweites Land, das sich dem nicht abreißenden Flüchtlingsstrom aus islamischen Ländern so bedenkenlos öffnet wie Deutschland, dabei geführt von einer Einheitsregierung, unterstützt von sich freiwillig gleichschaltenden Medien."

Ein bisschen Rassismus - darf ich?

Das Gerede von der Einheitsregierung und den freiwillig sich gleichschaltenden Medien sind nun Denkstrukturen aus dem Pegidaumfeld und halten keiner kritischen Prüfung statt. Es gab eine große Koalition von Parteien, die in den letzten Jahren permanent die Rechte für Geflüchtete verschlechtert haben.

Es gab in den letzten Monaten viele Abschiebungen von Menschen, die teilweise in Deutschland geboren waren, in die Balkanstaaten, und der Großteil der Presse befürwortet diese Politik. Dass Roggenkamp beklagt, dass Deutschland angeblich die Grenzen bedenkenlos Menschen aus islamischen Ländern öffnet, und nicht einmal nachfragt, warum sie sich auf den strapaziösen Weg machen, ist kein gutes Zeugnis für eine Frau ihres intellektuellen Niveaus.

Doch es kommt noch schlimmer und Roggenkamp weiß selber, dass sie da die Grenze zum Rassismus mehr als streift. Daher beginnt sie mit der rhetorischen Wendung: "Betrachten wir es noch einmal. Darf ich?" Das ist die intellektuelle Variante der von Sarrazinisten aller Couleur gebrauchten Wendung "Man wird ja wird ja wohl noch sagen dürfen." Natürlich wird Sarrazin und sein großer Erfolg von Roggenkamp mit keinem Wort erwähnt. Das hätte ja auch nicht ins Bild des sich abschaffenden Deutschland gepasst, das die Publizistin da zeichnet, bevor sie sich dann endgültig rhetorisch vergaloppiert.

Dass sich Merkel mit einen ob seines Transit glücklichen Flüchtlings hat fotografieren lassen, ist für Roggenkamp fast schon ein Untergang des Abendlands:

"Eine international geachtete Politikerin Wange an Wange mit einem aller Mutmaßungen nach arabischen Flüchtling. Sie hält ihr freundliches Gesicht für Deutschland hin. Der glückliche Flüchtling schmust mit der mächtigen Frau. Wie dieses Bild in den sexistischen Niederungen einer muslimischen Welt interpretiert wird? Wir können es uns vorstellen."

Dass der Geflüchtete mit Merkel gemeinsam in die Kamera lächelt, scheint nun keine islamistische Praxis. Das ist für die Autorin irrelevant. Stattdessen ergeht sie sich in merkwürdigen Spekulationen.

Nur wer ist dieses "wir", das Roggenkamp hier auf einmal einführt. Die AFD, Pegida die vielen Deutschen, die jetzt denken, das musste mal gesagt werden und gut, dass es Roggenkamp getan hat, der kann man ja keine rechte Gesinnung vorwerfen?

Und was soll ausgesagt werden, wenn der Mann, der mit Merkel "schmust" als "mutmaßlich arabischer Flüchtling" bezeichnet wird? Es ist sicher nicht unwahrscheinlich, dass er aus einem arabischen Land geflohen ist? Aber was hat ihn zur Flucht getrieben? Aus welchem Land kam er überhaupt? Ist er vielleicht, wie ein großer Teil der Migranten, gerade vor den Islamisten geflohen, deren Praktiken Roggenkamp mit Recht in ihrem Artikel verurteilt? Diese Frage stellt sich die Publizistin nicht.

Es wird die Gleichung "Geflohene aus arabischen Staaten sind gleich Islamisten" aufgemacht. Genau davor haben nach den Anschlägen im November in Paris noch viele Besonnene gewarnt. Es darf nicht sein, dass die islamistischen Anschläge gegen die Menschen in Anschlag gebracht werden, die oft vor Islamisten in ihren Ländern fliehen. Roggenkamp setzt aber gleich.

Statt über die sexistischen Niederungen zu spekulieren, die das Bild eines glücklichen Migranten, der sich gemeinsam mit Merkel ablichten lässt, in der arabischen Welt auslösen soll, könnte Roggenkamp auch mal analysieren, wie es kommt, dass eine ausgewiesene Liberale in Zeiten eines gesellschaftlichen Rechtsrucks gleich in eine neue Richtung ziehen will. Und sie ist da nicht allein.

In den letzten Wochen entdeckten manche, die man als feinsinnige Intellektuelle kennen und schätzen gelernt hat, die Liebe zum Volk. In der Süddeutschen Zeitung wurden Reinhard Jirgl und Rüdiger Safransky als "Wortführer einer nationalkonservativen Bewegung" bezeichnet.