Vivian Maier: Taking the Long Way Home

Ihr Leben lang hat Vivian Maier auf ausgedehnten Streifzügen durch die Stadt unzählige Bilder aufgenommen. Einen neuen Zugang zu den Arbeiten der ungewöhnlichen Fotografin verspricht die Ausstellung "Taking the Long Way Home" in der Schweiz.

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Von
  • Angela Meyer

Die Ausstellung Taking the Long Way Home wird am 3. März in der Zürcher Photobastei eröffnet. Bis zum 7. April zeigt sie über 150 Abzüge vor allem aus Vivian Maiers Zeit in New York (frühe 1950er Jahre) und in Chicago (ab 1956). Kurator Daniel Blochwitz konnte hierfür dank der Zusammenarbeit mit der KMS Fine Art Group AG auf noch nie ausgestelltes Material zurückgreifen.

Die erst in den letzten Jahren entdeckten Bilder der Autodidaktin Vivian Maier (1926-2009) haben sie posthum zu einer der bedeutendsten amerikanischen Fotografinnen des 20. Jahrhunderts gemacht. Jahrzehnte lang hat die vor allem als Haushaltshilfe und Kinderfrau arbeitende New Yorkerin ihr auf rund 150.000 Aufnahmen geschätztes Werk sorgfältig aufbewahrt, ohne die Bilder zu zeigen und teilweise sogar ohne sie selbst zu sehen. Bei einer Zwangsversteigerung ihres Besitzes 2007 erwarben drei Bieter neben Vintages und Negativen auch einige tausend unentwickelte Filmrollen. Die ungewöhnliche Geschichte der inzwischen legendären Fotografin erzählt unter anderem der Dokumentarfilm Finding Vivian Maier.

"Taking the Long Way Home" will weniger die geheimnisvolle Person Vivian Maier, sondern primär ihre Fotografien und ihre Motivwahl thematisieren. Was Vivian Maier auszeichne, sei ihre bohrende, furchtlose, aufrichtige, einfühlsame und produktive fotografische Praxis. "Der kuratorische Ansatz ist die Auseinandersetzung mit den Bildern von Vivian Maier und eine Annäherung an die vermutlichen Intentionen der Fotografin bei ihrer Motivwahl und Bildsprache", erklärt Daniel Blochwitz gegenüber heise Foto. "In der Ausstellung versuche ich eine Hängung zu erreichen, die uns vermitteln soll, Vivian Maier bei ihren städtischen Streifzügen zu begleiten und ihr quasi über die Schultern zu schauen. Was sah sie, wie richtete sie ihre Kamera aus, wie näherte sie sich ihren Sujets?"

Vivian Maier - Taking the Long Way Home (9 Bilder)

Untitled, no date

(Bild: Vivian Maier/Maloof Collection, Courtesy Howard Greenberg Gallery, New York)

Ab den 50er-Jahren fotografierte sie oft mit einer zweiäugigen Rolleiflex. Den Blick von oben in den Sucher gerichtet, die Kamera auf Brusthöhe gehalten, wirkte sie bei den Aufnahmen in sich gekehrter und weniger aufdringlich als ein Fotograf mit der Kamera vor dem Gesicht. Die Kamera war so ungefähr auf Augenhöhe mit den von ihr häufig fotografierten Kindern.

Dass sie so die Welt aus der Sicht der Kinder abbildete, hat einen wichtigen Einfluss auf die Wirkung ihrer Bilder: Der Blick des Betrachters begegnet dem der porträtierten Kinder auf einer Ebene, wie früher, als er selbst noch Kind war. Diese Perspektive versetzt ihn auch bei allen anderen Motiven zurück in das Gefühl, mit dem er in seiner Kindheit die Welt wahrgenommen hat, und verleiht den Bildern so eine große Unmittelbarkeit.

Bemerkenswert seien ihr sichtlich waches Auge, ihr Gefühl für den richtigen Augenblick und Ausschnitt, ihr technisches Geschick und ihre mutige Beharrlichkeit, schreibt Blochwitz in einem noch unveröffentlichten, heise Foto vorab zur Verfügung gestellten Essay zur Ausstellung. "Sie fotografierte ja die meisten ihrer Motive nur ein einziges Mal, sodass sich viele ihrer Kontaktabzüge geradezu wie Storyboards lesen: von der Totalen zu einer Stadtszene, auf ein Porträt, danach ein Detail der Straße, bevor sich die Kamera auf ein paar spielende Kinder richtet, und/oder vice versa."

Oft sei auch sie selbst Teil des Abgebildeten, als Reflexion in Spiegeln oder auf glänzenden Oberflächen in raffiniert komponierten Selbstporträts, oder wir sehen, wie sie als leicht erkennbare Silhouette ihres eigenen Schattens das Bildfeld betritt. "Beim Betrachten ihrer Fotografien bin ich jedenfalls fasziniert von ihrer Entscheidung, selbst zu einem so grundlegenden Bestandteil ihres Werks zu werden, statt sich klar von dem abzugrenzen, was sie fotografierte – besonders wenn man bedenkt, dass sie dies mehr als ein Jahrzehnt vor jener Zeit tat, in der das Argument „the personal is political“ in den öffentlichen Diskurs und Bewusstsein rückte."

Blochwitz sieht Maiers Werk in verwandtschaftlicher Nähe zu Fotografinnen und Fotografen wie Robert Frank, Lewis Hine, Ilse Bing, Lisette Model, Dorothea Lange, August Sander, Helen Levitt, Diane Arbus, Weegee, Lee Friedlander und Joel Meyerowitz. Vivian Maier scheine alle Phasen der Street Photography des 20. Jahrhunderts durchlaufen zu haben, selbst die, deren Werk erst deutlich später entstand.

Doch Maier müsse furchtloser gewesen sein als die meisten von ihnen und weniger darauf bedacht, einen wiedererkennbaren Stil zu prägen, sondern entwickelte ein Spektrum von Herangehensweisen. Das Etikett Street Photographer werde ihrer Arbeit daher nicht ganz gerecht. Blochwitz sieht sie eher als urbane Chronistin, die es verstand, Aufnahmen zu machen, in denen die Fotografin und ihr Sujet fast miteinander verschmolzen, und dennoch der Moment geradezu ungestört festgehalten wurde. (anm)