Aufbruch ins Neuland

Ein neuer Think Tank soll der deutschen Industrie in Sachen Digitalisierung auf die Sprünge helfen. Ob das hilft?

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Ein neuer Think Tank soll der deutschen Industrie in Sachen Digitalisierung auf die Sprünge helfen. Ob das hilft?

Neulich in Berlin: Gegeben wird die feierliche Eröffnung des Digital Society Institute (DSI). Das ist ein Think Tank der European School of Management and Technology – einer privat finanzierten Kaderschmiede für zukünftige Industriekapitäne, die ironischerweise im ehemaligen Staatsrats-Gebäude der DDR residiert.

Sandro Gaycken, der frisch gebackene Direktor des DSI, skizzierte die Aufgabe des Instituts ganz unbescheiden: In der Vergangenheit habe Europa bei der Digitalisierung oftmals nur die Rolle eines Statisten gespielt. Das müsse sich ändern. Und zu diesem Zweck will das DSI "Perspektiven und Strategien entwickeln, Orientierungsrahmen bieten und Handlungsempfehlungen" für die Politik erarbeiten.

Wenn's weiter nichts ist.

Aber so ganz aus der hohlen Hand schien die Ankündigung dann doch nicht zu sein. Für uns Menschen aus der Provinz ist Berlin ja immer ein leicht seltsamer Ort: Voller repräsentativer Gebäude und wichtiger, eiliger Menschen, die wahlweise schwarze Anzüge tragen und modische Krawatten, oder lässige Hoodies. Aber dies hier war noch mal ganz speziell: Bei wissenschaftlichen Veranstaltungen habe ich noch nie derartig viele hohen Regierungsbeamte gesehen: eine Staatssekretärin aus dem Wirtschaftsministerium, der Chef des Planungsstabes im auswärtigen Amt und der "IT-Beauftragte der Bundesregierung" aus dem Innenministerium.

Es scheint also, als ob die Bundesregierung den neuen Internet-Think-Tank der deutschen Industrie, in Gestalt von Allianz, BASF, VW – und bald auch in Gesellschaft von TÜV Nord und Rheinmetall – durchaus ernst nimmt.

Think Tank ist übrigens ein hübscher Begriff, der heutzutage gerne mit "Denkfabrik" übersetzt wird. Aber eigentlich finde die wörtliche Übersetzung Denk-Panzer viel treffender. Denn sie unterstreicht, dass hier nicht ganz wertfrei kluge Menschen um die besten Ideen streiten. Viel mehr scheint es unter anderem darum zu gehen, ein explizites Gegengewicht zum von Google finanzierten Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft zu bilden.

Was ich aber nicht verstehe: Wenn die Politik mittlerweile endlich erkannt hat, welche tiefgreifenden Veränderungen von der Digitalisierung ausgehen (einige Passagen aus den Reden lassen das zumindest vermuten), warum gibt es dann keine vergleichbare, staatliche Institution? Warum gibt es einen Wettbewerb um "Exzellenz-Universitäten" aber keine neue "Frankfurter Schule", die den neuen Plattform-Kapitalismus einer radikalen Analyse unterzieht? Warum gibt es ausgezeichnete Forschung zur IT-Sicherheit, aber kein Institut für Informatik und Gesellschaft, das den Widerspruch zwischen Sicherheit und Privatsphäre beleuchtet? Und wo sind eigentlich die deutschen Philosophen, Juristen und Ökonomen, wenn man sie mal braucht? Und bitte sagen Sie jetzt nicht: in Talkshows. (wst)