Tut uns leid, aber wo Ihr Geld gerade ist, ist unbekannt

Außer Kontrolle

Bargeld steht schon lange auf der Abschussliste. Ein persönlicher Kommentar pro Bargeld.

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

In den "Bargeld weg"-Artikeln in deutschen Medien heißt es weitgehend ohne Gegenargumente: Das Leben ohne Bargeld ist so schön - kein schweres Münzgeld mit sich herumtragen, flexibel auch in mehreren Ländern ... ach, dann würden natürlich auch noch die Geldflüsse in Bezug auf Terrorismus und Kinderpornographie geststoppt, genauso wie Transferleistungserschleichung und Steuerhinterziehung.

Was bei den Kontra-Artikeln bislang auffällig wenig zur Sprache kommt, ist der Aspekt der Menschlichkeit und der Spontaneität, was finanzielle Hilfe angeht.

Zwar mögen die Obdachlosenzeitungen per Karte bezahlbar sein - doch was ist mit dem Euro extra, den der Verkäufer erhält, damit er sich in der Kälte auch einmal einen Kaffee holen kann? Wie kann ohne Bargeld schnell einmal einem Obdachlosen etwas zugesteckt werden, dem ALG II-Bezieher einmal flexibel geholfen oder aber Verwandten, Freunden ...?

Die kleine, schnelle, menschliche Geste, einmal jemandem 50 Cent oder einen Euro zu geben ist so nicht mehr machbar. Sie setzt voraus, dass dies auch nachvollziehbar für etliche Stellen sein soll und dass derjenige auch ein Konto hat. Etwas, was heutzutage keineswegs selbstverständlich ist, denn noch immer gibt es kein Anrecht auf eine Bankverbindung - angeblich sind in Europa derzeit ca. 58 Millionen Menschen ohne Konto, die Arbeiterkammer in Österreich spricht von 30 Millionen Menschen, allein in Österreich sollen es 150.000 sein. Für die wäre die Abschaffung des Bargeldes insofern ein finanzielles Desaster. Zu befürchten wäre, dass auf ähnliche Ideen wie die Lebensmittelgutscheine für ALG II-Bezieher ausgewichen würde, was diesen starke Nachteile beschert.

Ich gebe zu, dass ich gegen die Abschaffung des Bargeldes bin. Nicht nur aus den Gründen, dass so der Bürger noch transparenter wird, dass Flexibilität und Spontaneität auf der Strecke bleiben, sondern auch weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass Bargeld gegenüber dem, was auf dem Konto ist, einen entscheidenden Vorteil hat – ich habe es direkt bei mir und nicht nur eine abstrakte Forderung gegenüber der Bank.

Als ich einst von Celle nach Paderborn umzog, nutzte ich den Umzugsservice meiner Bank, um mir die umständliche "Konto auflöschen, Konto neu eröffnen"-Odyssee zu ersparen. Doch als ich mit nur ein paar kleinen Restbeständen Bargeld in Paderborn ankam, war zwar mein Konto in Celle aufgelöst worden und das in Paderborn war eröffnet – das Geld jedoch, immerhin ca. 3.000 Mark, war, wie mir mitgeteilt wurde, "auf dem Bearbeitungsweg". Und das obgleich ich den Umzugsservice früh genug beauftragt hatte. Es dauerte noch knapp eine Woche bis ich Zugriff auf mein Geld erhielt. In der Zwischenzeit musste mir meine Mutter aushelfen, was natürlich auch Kosten verursachte (Versicherung des Geldbetrages, Eilpost ...).

Ähnliche Erfahrungen können einem ins Haus stehen, wenn die Geldkarte defekt ist, ein Ausweispapier nicht vorliegt usw. Derartige Aspekte werden jedoch nur selten erwähnt, wenn es darum geht, nach und nach die Bevölkerung auf ein Leben ohne Bargeld einzustimmen. Einfach gesagt: ohne Bargeld habe ich die Kontrolle darüber verloren, ob ich Zugriff auf mein Geld erhalte. Natürlich kann auch Bargeld entwertet werden - aber sofern ich es in der Hand habe und es noch etwas wert ist, kann ich darüber verfügen. Ein nicht zu verachtender Vorteil.